Frau Stöckl stellte Michael eine Cola hin und setzte sich ihm gegenüber. "Michael, du hast gestern als Einziger die richtige Entscheidung getroffen und dabei unserem Chef das Leben gerettet!" - "Ich wollte ihm den Arm nicht brechen, Frau Stöckl, aber das erste Mal hab ich überhaupt nichts ausgerichtet und lange kann das kein Mensch überleben! Nur deshalb habe ich so fest zugeschlagen..." - "Und das war auch die einzige Möglichkeit und sie hatte auch Erfolg! Der Chef sieht das genau so und lässt dich schön grüßen. Er muss heute noch zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben, wegen der Herzrythmus-Kontrollen, aber er wird bald heim dürfen. Er hat mich gebeten, dich zu fragen, ob du kurz zu ihm kommen möchtest" - "Ja, das würde ich schon gerne, aber ich weiß nicht wie." - "Das ist kein Problem, Micha, ich bestell dir jetzt ein Taxi, das dich ins Krankenhaus bringt. Er liegt in Zimmer vierhundertdreizehn. Du wirst nachher wieder von einem Taxi abgeholt und zurückgebracht. Möchtest du das?" - "Sehr gerne Frau Stöckl!" - "Gut, dann bleib bei mir im Büro und trink deine Cola, ich ruf dir ein Taxi."
Michael war in seinem ganzen Leben noch nie Taxi gefahren und genoss es, war aber sehr aufgeregt. Was würde Schliermann von ihm wollen? Im Krankenhaus angekommen, ging er schnurstracks zu Zimmer vierhundertdreizehn. Er Klopfte, und trat ein. Der Ingenieur lag mit hochgestelltem Rückenteil in seinem Bett und hatte ein paar Saugnäpfe auf seiner offengelegten Brust kleben. Dünne Kabel gingen von ihnen aus zu einer Maschine, einem Elektro-Kardiographen, der seinen Herzschlag maß und auf einem Papierstreifen dokumentierte. Außerdem, war seine Rechte unterhalb des Ellenbogens eingegipst und ein paar orangefarbene Finger lugten ganz unten hervor. An den Fingernägeln waren sie bis auf den Daumen allesamt blau.
"Schön, dass du gekommen bist, mein Junge! Schnapp dir einen Sessel und setz dich zu mir, bitte!" - "Guten Tag Herr Schliermann!" Grüßte Michael freundlich, während er sich einen Sessel holte. Er gab ihm ein Wenig unbeholfen die Hand, das heißt, er wollte, besann sich aber dann eines Besseren und berührte nur kurz seine Linke. "Tut es sehr weh? Das wollte ich nämlich nicht, aber ich musste doch was tun..." - "Du bist ein kluger und umsichtiger Bursche! Ich bin sehr stolz auf dich!" - "Danke, Herr Schliermann!" - "Michael, weißt du, was ein Mentor ist?" - "Ich glaube ja. Das ist jemand, der einen Studenten unter seine Fittiche nimmt und ihn sein Wissen lehrt oder so ähnlich." - "So ähnlich Michi. Ich würde gern dein Mentor sein, denn du bist ein anständiger und kluger Junge, den ich gerne unterstützen würde." - "Das ist sehr nett von ihnen, Herr Schliermann, aber ich kann leider nicht studieren. Selbst, wenn sich meine Mutter das leisten könnte, sie würde mir das nicht bezahlen. Sie müssen wissen, sie ist nicht gerade die Art Mutter auf die man stolz sein könnte. Und das ist noch gelinde gesagt..." - "Ich weiß, dass sie schwierig ist, aber würdest du denn gerne auf die Fachhochschule gehn und Ingenieur werden?" - "Ohja, aber ich gehöre halt mal nicht zu den Leuten, die sich das leisten können." - "Ich würde sagen, dass du dir das sehr wohl leisten kannst mein Junge. Übrigens Danke, dass du mich vor dem Tod bewahrt hast! Ich möchte noch eine Weile leben und dir beim Studieren helfen!" - "Aber wie..?" - "Hör zu mein Junge. Ich bin alleinstehend. Ich habe weder Frau noch Kinder. Ich habe meinen Beruf, ja! Und ich habe natürlich auch einen Haufen Geld, denn alleine macht das Ausgeben keinen Spaß. Ich hab ein tolles Haus und sogar ein kleines Seehaus, aber ich habe außer meiner Arbeit keine wirklich sinnvolle Aufgabe. Nun hat mir Mirko Juvanovic von deiner schwierigen Beziehung zu deiner Mutter erzählt als er sich für dich um die Praktikumsstelle bemüht hat. Er hat dich in den höchsten Tönen gelobt und dich als sehr intelligenten und anständigen Kerl angepriesen und ich muss sagen, er hat nicht gelogen. Ich bin sehr zufrieden mit seiner Wahl! Immerhin verdanke ich dir die Tatsache, dass ich dem Tod nochmal von der Schaufel springen konnte! Ich bin gerne bereit dein Studium zu finanzieren, Michi!" - "Aber das ist nicht richtig... das darf nichts kosten, sowas! Das tut man weil man' s tut! Nicht um was zu kriegen dafür! Das ist nicht gut... Ich meine, das ist voll schön, dass sie das täten, aber das steht mir nicht zu, Herr Schliermann!" - "Siehst du Michi, das ist es, was mich zu dieser Entscheidung bewogen hat! Es wäre nicht richtig, das von mir zu fordern, da hast du schon recht! Aber du bist nicht gierig, du bist wirklich der anständige Kerl, den Mirko mir beschrieben hat und DAFÜR verdienst du von mir gefördert zu werden. Aus diesem Grund steht es dir sehr wohl zu! Betrachte es als einen Gefallen, den du mir tust, wenn du mein Angebot annimmst. Lass mich ein Bisschen von deiner Umsicht an dich zurückgeben. Es wäre zu schade, wenn ein brillanter Kopf wie du nicht studieren könnte, weil er zu stolz ist, mich als Mentor zu akzeptieren. Ich glaube, dass aus dir ein großer Techniker werden kann, der, wer weiß,... vielleicht das Rad neu erfindet? Übrigens: Ich heiße Horst..."