Über Wien wäre die Strecke angenehmer gewesen, aber Viktor war klar, dass man den Porsche und die Leiche bald finden und ihm zuschreiben würde. Es war ihm daher lieber im Innern Tschechiens nach Brünn weiterzufahren. Es kam ja auch nicht auf die Minute an. Der Erfinder war nicht dumm, das hatte Dimitri mit dem Leben bezahlt. Viktor hatte Michael unterschätzt. Das würde ihm kein zweites mal passieren. Viktor war es egal, ob er einen Tag verlieren würde, weil er bis Brünn hochfuhr, wo er Freunde in Waffenschmugglerkreisen hatte. Es würde ein Tag mehr Angst für seine Opfer sein. Angst, das wußte auch Viktor, wenn auch nur aus seiner Kindheit, Angst tut auch weh! Auf eine ganz eigene gemeine Art, lähmt die Angst, wen auch immer sie befallen hat. Sie lähmt alles am Menschen, sie bremst ihn ein wie ein latent vorhandener Schmerz, von dem man weiß: er kann jederzeit, jetzt oder aber übermorgen akut werden. Ja, Angst ist ein ganz beschissenes Gefühl, das dir jede Lebensqualität kaputtmacht.
So wie ihm als Kind, wenn er sich unter dem Bett versteckt hatte, bis Vater von seiner allabendlichen Zechtour heimkam. Beinahe jeden Abend hörte er, wie seine Mutter die ersten Schläge einsteckte, wie Vater sie irgenwann von der Kinderzimmertür wegstieß und dann zu ihm kam. Die Schläge waren nicht das Schlimmste, wußte er jetzt im Nachhinein. Das Warten darauf, immer und immer wieder das Warten in Angst auf das Kommende, Unvermeidliche... Eines Tages, er war vielleicht zwölf, fasste er den Entschluss, seine Mutter zu schützen. Er nahm sich nach dem Essen ein Messer mit in sein Zimmer. Er versteckte sich nicht mehr unter seinem Bett. Als Vater heimkam und die Mutter wie üblich anschrie, öffnete er die Zimmertür ging auf Vater zu und rammte ihm das Messer bis zum Anschlg in den Bauch. Und wieder und wieder. "Du tust Mama nicht mehr weh." Sagte er dann ganz ruhig zu dem am Boden liegenden Sterbenden. Er legte das Messer in die Spüle, ging an seiner total schockierten Mutter vorbei in sein Zimmer und legte sich ins Bett. Niemanden würde er jemals noch fürchten. Er wußte jetzt, wie leicht es ist, einen Menschen zu töten.
Selina hatte mir in der Zwischenzeit ins Bett geholfen. Ich durfte bereits mit Hife der Krücken, den Weg ins Schlafzimmer "gehend " zurücklegen, was anfänglich tollpatschig wirkte, aber mit jedem Schritt besser wurde. Allerdings war noch jeder Schritt mit Schmerz verbunden. Wir hatten gemütlich gegessen und legten uns jetzt schlafen. Es fühlte sich an, als währen wir immer schon ein Paar gewesen. Selina lag neben mir auf der Seite, den Kopf auf die Hand gestützt und schaute mich verliebt an. "Du mußt ganz ruhig liegenbleiben Schatz! Entspann dich! Du sollst deine Muskeln nicht anspannen." - "Selina, Was tust du da?" - "Ich fühle ob du deine Oberschenkelmuskeln entspannt hast." - "Das ist aber nicht mein Oberschenkel!" - "Er ist auch nicht entspannt..."