Hermine sah ihrem Spiegelbild fest in die Augen. Ein Lederband und eine Bernsteinspange bändigten die widerspenstigen Locken. Den Preis bezahlen, dachte sie sarkastisch und erschreckte darüber, wie selbstverständlich die Floskel geworden war. Sie hätte schreien mögen, aber sie schwieg. Sie war immer ernster gewesen, wie die anderen Mädchen ihres Alters. Aber es spielte letztlich keine Rolle. Die Korsage schien sie wie eine Rüstung zu schützen. Sie suchte den Schutz im Spiegel, den Ron ihr bei dieser Sache nicht geben konnte. Er hieße es nicht gut. Natürlich nicht, denn er liebte sie.
Ihr Blick glitt an ihrem Abbild hinunter. Manche nannten sie hinter vorgehaltener Hand eine schwarze Göttin – es war lächerlich. Denn welche Macht hatte sie schon im großen Spiel? Im Gegenteil zu den meisten anderen wusste sie, was es hieß, den Preis zu bezahlen. Gryffindors taten, was zu tun war, sagten die Leute. Sie würde den Preis zahlen, das war sie sich schuldig und letztlich auch Harry. Etwas in ihrem Herzen verkrampfte sich. Ein letztes Mal atmete sie tief durch und ging hinüber in Harrys Privaträume, wo er sie ohne weiteres empfing.
„Ihr beide wisst, was ich erwarte. Wenn irgendetwas benötigt wird, wendet Euch direkt an mich. Die Sache hat meine absolute Aufmerksamkeit. Dann könnt ihr beiden Turteltäubchen jetzt gehen“, schloss er gerade sein Gespräch mit den Zwillingen, die beide perplex wirkten. „Turteltäubchen? Harry, bitte.“, tadelte ihn Hermine eher gewohnheitsmäßig. Es lenkte ihn nicht ab.
„Ich hatte Dich früher erwartet. Was hat Dich aufgehalten? Hast Du Angst vor mir, Mine? Oder hast Du Angst vor Dir?“ Dieser leise Spott ließ ihn noch gefährlicher wirken. „Ich habe keine Angst vor Dir.“, belog sie sich selbst. Er stand so nah vor ihr, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte. Sie hatte ihn noch nie so gesehen. Sie hatte nie den Mann gesehen, der er war. Es beunruhigte sie, wie unendlich sanft mit der Hand über ihre Wange strich. Dunkle Verführung war anders, wie sie wusste.
Oft genug hatte sie sie gesehen. Noch beunruhigender empfand sie dieses Wohlgefühl. Er lächelte beinahe, als sie einen energischen Schritt zurückging. „Ich bin nicht zu Deinen Spielchen aufgelegt. Wir müssen reden, es geht um Ron.“ Er schlenderte zu dem kleinen Tisch und goß sich einen Absinth ein. „Auch einen?“, fragte er. Sie schüttelte stumm den Kopf. Sie mochte es nicht, am Nachmittag zu trinken. Fasziniert beobachtete sie, mit welcher Eleganz er den Zucker entzündete. „Setz´ Dich doch. Entspann´ Dich. Es geschieht nichts, was Du nicht willst.“ Er log nicht. Es würde nichts geschehen, was sie nicht wollte. Die Magie würde es verhindern. Genau dieser Teil machte ihr Angst. Trotzig sagte sie: „Ich stehe lieber.“ Er glitt in den Sessel und schaute sie taxierend an: „Wie Du willst.“ Ihr Unbehagen erreichte einen neuen Höhepunkt. „Du weißt, warum ich hier bin.“, sagte sie leise. „Du möchtest, dass ich Ron aus der Sache heraushalte. Du willst den Preis bezahlen.“ Seine sanfte Stimme erschreckte sie weit mehr, als es Arroganz oder Kälte getan hätten. Er spielte nun doch mit ihr, da war sie sich sicher. „Was soll ich von Dir fordern? Welchen Wert hat Rons Sicherheit für Dich?“
Seidig und zärtlich berührte seine Magie ihre Haut. Die Verführungskraft verwirrte sie so sehr, dass sie sich plötzlich nicht mehr sicher war, ob sie ihn nicht wollte. Vielleicht hatte sie ihn all´ die Jahre tatsächlich gewollte, ihn heimlich begehrt und sich nun an den Falschen gebunden. Unsinn. Konzentriere Dich, Hermine. „Ich tue alles, was Du verlangst.“ Sie war sich nicht mehr sicher, was genau sie meinte. „Alles was ich verlange oder wonach Du verlangst, Mine?“ Er ließ sie nicht aus den Augen. „Hör´ auf mit mir zu spielen.“, sagte sie halbherzig.
Er öffnete den obersten Knopf seiner Robe. Nur mit Mühe widerstand sie der Versuchung, sich auf seine Schoß zu setzen oder wegzulaufen. „Wer sagt denn, dass ich spiele?“ Der zweite Knopf bannte ihre Aufmerksamkeit. Er schloß die Tür mit einem Zauber. „Wir sollten doch nicht gestört werden.“ Sie fuhr von dem Geräusch zusammen. „Du kannst Ron nicht in Gefahr bringen. Er ist Dein Freund. Bitte erinnere Dich daran. Er würde alles für Dich tun.“ Lord Potter spielte mit dem kostbaren Kelch in seiner Hand.
„Weshalb glaubst Du, ich könne mich nicht erinnern? Wieso maßest Du Dir an zu glauben, ich wisse nicht, was ich verloren habe. Warum sollte ich nicht mehr wissen, was Liebe ist und was Freundschaft bedeutet? Sex ist nur ein Abklatsch von Liebe. Gehorsam ist weniger als Loyalität. Glaubst Du, ich weiß das nicht? Ich bin, was ich bin, aber ich habe nichts vergessen.“ Sie spürte einen nie gesehenen Schmerz und fand sich oberflächlich und dumm. Er hatte tatsächlich ein ultimatives Opfer gebracht. Diese Fragen von ihm brachten sie aus dem Konzept. Sie folgte dem Impuls ihn zu küssen. Er erwiderte den Kuss, leicht wie ein Windhauch im Frühling. Dann schob er sie von sich: „Glaubst Du, ich würde Ron auf diese Weise verletzten oder Ginny? In dem ich mit Dir schlafe?“ Sie schwieg und starrte auf den Tisch. „Was ist dann der Preis?“, unterbrach sie das Schweigen nach einer Weile. „Was ist der Preis der Hermine Granger?“
Er blieb die Antwort schuldig und löste den Zauber an der Tür. Sie stand auf und spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Frustriert und verwirrt ging sie hinaus. Sie hörte sein Flüstern nicht mehr: „Harry Potter zahlte den Preis für Hermine Granger und Ronald Weasley.“ Er nahm die Karaffe mit dem Absinth, setzte sie an und trank sie aus. Dann warf er das Kristall gegen einen Schrank. Sie zerschellte mit lautem Klirren.