Ines hatte, wie immer, alles im Griff. Sie war beim Personal beliebt und respektiert, weil sie durch ihre Geradlinigkeit und Strenge Probleme sofort ansprach und eliminierte. Sie war streng aber gerecht. Eine gewisse Strenge ist in dieser Position notwendig, weil man sich in diesem Beruf einfach keinen Schlendrian leisten kann. Man kann nicht einfach sagen: "Ach ja, die Tabletten von Frau Maier. Hab ich gestern vergessen. Geb ich ihr halt heute doppelt..."
Sie hatte eine Schwester zu Frau Montar geschickt, um die Formalitäten zu erledigen und ein paar Unterschriften, die notwendigen Behandlungen betreffend, einzuholen. Frau Montar verwies sie des Zimmers. "Sie haben hier kein Hausrecht, Frau Montar, sie können mich nicht rauswerfen!" - "Ich will sofort ihre Chefin sprechen! Sofort! Haben sie nicht verstanden?" - "Die Chefin hat jetzt keine Zeit!" - "Das ist eine Unverschämtheit! Das lass ich mir nicht bieten. Ich unterschreibe hier gar nichts! Wagen sie nicht noch einmal, mit diesem Wisch daher zu kommen! Ich will meinen Sohn sprechen! Ich werde dafür sorgen, dass sie fliegen!"
"Frau Montar, wir dürfen sie nicht behandeln, wenn sie uns nicht ihre Einwilligung dazu geben!" - "Verschwinden sie endlich und wagen sie es nicht, ohne ihren Chef zurück zu kommen!" Die junge Schwester hatte keine Chance, mit Frau Montar vernünftig zu kommunizieren. Schließlich verließ sie das Zimmer um Schwester Ines Bescheid zu geben. Sie fürchtete sich ein Wenig, mit der Misserfolgsmeldung zu ihrer Chefin zu gehn, aber sie wusste, dass sie es nicht aufschieben durfte, damit nicht irgendwelche routinemäßige Behandlungen vor der Unterschrifteneinholung erfolgen konnten. Schwester Ines schien durchaus Verständnis zu haben. "Ich habe es wirklich versucht, Schwester Ines. Ich habe ihr gut zugeredet und ihr das wieder und wieder erklärt, aber sie hat mich nur beschimpft. Sie wird nichts unterschreiben und sie wird dafür sorgen, dass ich rausfliege! Und sie möchte sofort mit ihrem Sohn sprechen!
Ines ließ ihre Diplomkrankenschwestern nacheinander einzeln versuchen, von Frau Montar eine Unterschrift einzuholen. Ohne Erfolg! Schließlich ließ sie Herrn Doktor Glimpf holen um einen Zeugen zu haben und ging in seiner Begleitung zu Frau Renate Montar. "Was wollen sie schon wieder hier, sie inkompetente Person! Ich habe ihnen gesagt, ich will meinen Sohn sprechen."
"Frau Montar, ich gebe ihnen hiermit die letzte Möglichkeit, unsere allgemeinen Geschäftsbedingungen zu unterschreiben und auch die Behandlungsformalitäten. Wenn sie das nicht wollen, muss ich sie ersuchen, unsere Klinik umgehend zu verlassen, denn dann sind wir nicht ermächtigt, sie zu behandeln und werden ihr Bett an jemanden vergeben, der unsere Dienste zu schätzen weiß."
"Sie wagen es? Sie werfen mich hinaus?" - "Nein! Ich werfe sie nicht hinaus! Ich fordere sie auf, unsere AGB's zu akzeptieren, oder aber ihren Behandlungsplatz für eine andere bedürftige Person freizugeben!"
"Das wird ihnen noch leid tun! Sie werfen mich aus der Klinik meines Sohnes! Das können sie morgen in der Zeitung lesen, das garantiere ich ihnen! Ihre Stunden in dieser Klinik sind gezählt, Schwester! Und sie werden nicht, wie ich, erhobenen Hauptes hinausgehen!"
Ines wusste sofort, dass es jetzt Probleme geben würde. Große Probleme, deren Bekämpfung keinen Aufschub duldeten. Sie musste tun, was sie um jeden Preis vermeiden hatte wollen, sie musste Michael persönlich anrufen. Sie hatte sich geschworen, das nur im äußersten Notfall zu tun. Doch sie musste versuchen, den von Michaels Mutter provozierten Imageverlust im Keim zu ersticken. Michael war für sie ebenso Freund geworden wie Selina. Allerdings hatte sie großen Respekt vor ihm und ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie ihn von ihrer Entscheidung, Renate Montar der Klinik zu verweisen, unverzüglich informieren musste. Sie saß an Selinas Schreibtisch und wählte deren Handy an. "Selina, es tut mir wahnsinnig leid, aber was wir beide vermeiden wollten, ist eingetroffen! Ich muss mit Michael selbst sprechen...