MAX
Na toll, ein Schönling. Das waren meine ersten Gedanken, als ich ihn das erste Mal sah. Seine Tasche lässig um die Schulter gehangen, leicht lächelnd und mit einem Blick als ob ihm die ganze Klasse gehörte, strahlte er ein unglaubliches Selbstbewusstsein aus. Abschätzend betrachtete er jeden von uns, während ihn die Lehrerin vorstellte. „Das ist Tom Schuster. Er ist von Höhenstedt nach Grünberg gezogen und wird ab heute eure Klasse verstärken." Dieser musterte gerade Daniel, den Klassensprecher und Kapitän unserer Fußballmannschaft „1. FC Grünberg", der sich nun ein bisschen gerader hinsetzte. Dann wanderte sein Blick eine Bankreihe vor, zu den Mädchen unserer Klasse, die, wenn man sie mit den Anderen der Klassenstufe verglich, doch ein ziemlicher Glücksgriff waren. Ich sah zu den Mädchen, die nervös auf ihren Stuhl hin und her rutschten. Einige liefen rot an, andere begannen zu kichern. Ich verdrehte die Augen. Das musste der Neuling mitbekommen haben, denn er betrachtete mich interessiert. Seine dunklen Augen taxierten mich regelrecht und ich bekam Gänsehaut. „Erzählst du uns davon Tom?" Nur langsam wendete er seinen Blick und fing an zu erzählen. Das musste man ihm lassen, Multitasking hatte er drauf. Ich hatte nicht den kleinsten Schimmer was Frau Meisner gefragt hatte. „Deutsch und Musik. Ich spiele Klavier und lese sehr gern." Ein Seufzen ging durch die Mädchenreihe und erneut verdrehte ich meine Augen. Der schien nicht nur ein Schönling zu sein sondern regelrecht einer Boygroup entsprungen. Seine ersten Fans hatte er anscheinend schon. Und wieder fiel sein Blick auf mich und diesmal lächelte er. „Sehr schön. Da hoffe ich, dass wir bei der nächsten Musikveranstaltung etwas von dir hören." Nun verdrehten auch andere Jungs ihre Augen. „Neben Maximilian ist ein Platz frei. Dort kannst du dich hinsetzen." Frau Meisner zeigte auf mich. Er schaute kurz verdutzt und schlenderte dann in aller Ruhe durch die Reihen, bevor er sich neben mich setzte. Tom sah mich an und senkte seinen Kopf ein wenig. Das musste wohl seine Art eines „Hallo" gewesen sein. Der Neuling packte seine Sachen auf die Bank und schon klingelte es zum Unterricht. An sich fand ich einen Banknachbarn gar nicht so schlecht. Endlich auch jemanden zum Quatschen, während der langweiligen Unterrichtsstunden. Doch das glaubte ich nur, denn Tom dachte gar nicht daran mit mir zu erzählen. Aufmerksam folgte er dem Unterricht. Ein bisschen enttäuscht versuchte ich schließlich auch dem Unterricht zu folgen, aber richtig funktionierte es nicht. Ich hasste Deutsch. Wozu musste man Gedichte interpretieren können? Diese Frage stellte ich mir bestimmt tausendmal pro Unterrichtsstunde. Was das Einfühlen in literarische Texte betraf war ich eine absolute Niete. Doch Gott sei Dank war die nächste Stunde Chemie. Wenigstens ein Fach, wo mir niemand etwas vormachen konnte.
Auch in Chemie setzte sich Tom neben mich. Naja, er hatte keine Wahl, denn neben mir war der einzige freie Platz. Herr Schäfer betrat den Chemieraum, ein betagter Mann in weißem Kittel und mit einer extrem riesigen Schutzbrille, die er im Unterricht nie abnahm. In dieser Stunde fingen wir ein neues Thema an „Das Rosten - Seine Ursachen und Folgen". Erfreut über dieses Thema öffnete ich glücklich meinen Hefter. Neben mir hörte ich nur einen leisen Seufzer. Herr Schäfer schrieb eine Reaktionsgleichung an die Tafel, die die Klasse allein beenden sollte. Nach nicht mal einer Minute war ich fertig. Gelangweilt saß ich da und sah zu Tom hinüber. Dieser blätterte verzweifelt in seinem Tafelwerk hin und her, dann legte er es zur Seite und seine Lippen formten einen Satz der verdammt nach „So eine Scheiße" klang. „Kann ich dir helfen?" Mit einem dankbaren Blick nickte er. Ich glaube, dass ich noch niemanden gesehen hatte, der so verzweifelt über eine Reaktionsgleichung saß wie er. Zwar versuchte ich ihm zu erklären, wie man die Aufgabe lösen konnte und er nickte auch immer, hatte aber dennoch das Gefühl, dass er es nicht verstanden hatte. Es klingelte zum Stundenschluss. Nun war erst einmal Hofpause. Tom schien in Ordnung zu sein und wir gingen gemeinsam raus auf den Schulhof. „Du magst Chemie nicht sonderlich oder?" Er hob genervt die Augenbrauen. „Nicht mögen ist noch untertrieben. Ich habe von Chemie keine Ahnung. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Stoffe miteinander reagieren. Soweit reicht meine Fantasie nicht aus." Er lachte verlegen und ich zuckte nur mit der Schulter. Nobody is perfekt, nicht mal der schönste Schönling. „Wann machst du die Deutschhausaufgaben?" Tom, der gerade nach seiner Brotbüchse kramte sah auf. „Die Gedichtinterpretation?" Ich nickte. „Die hab ich schon im Unterricht gemacht." Unfassbar. Er lachte, als er meinen verdatterten Blick sah. „Deutsch ist mein Lieblingsfach. Ich finde es einfach toll, wie Menschen die Gefühle, die sie in sich tragen, mit Worten so mitfühlend darlegen können." Der hatte doch ein Vollschaden. „Läuft bei dir, oder? Also ich sehe das nicht so. Chemie, das ist etwas Festgelegtes. Man hat Regeln, nach denen man sich richten kann. Dort braucht man sich nicht in irgendetwas einfühlen." Er sah mich verständnislos an und wir setzten unseren Weg fort. Tom und ich gingen zu dem Rest unserer Klasse. Daniel erwartete uns schon, mit der Kippe in der Hand. „Ah, der Neuling. Komm gleich mal her!" Er ging zu unserem Klassensprecher hin und fragte, was er denn wolle. „Ziemlich vorlaut der Neue, oder?" Nicken durchzog die Reihe der Köpfe. Diesmal kein albernes Gekicher, da die Mädels woanders standen. „Nun gut, dir ist noch mal verziehen." Er wedelte wie ein Pseudokönig mit der Hand. „Also, was bist du für ein Typ?" Mit einem fragenden Blick sah Tom Daniel an. „Ich meine was du gerne machst. Ein Expresschecker bist du nicht gerade, oder?" Tom lächelte unbeeindruckt und sagte dann ruhig und deutlich: „Hättest du vorhin aufgepasst müsstest du mich nicht fragen. Ich lese gern, schreibe Gedichte und spiele Klavier." Alle außer mir lachten. „Ein Weichei also. Schön. Bist du vielleicht noch schwul?" Es wurde still. Daniel war bekannt für seinen verbalen Attaken. Wie würde Tom wohl reagieren? Gespannt beobachteten wir die zwei. Der Neuling ging ganz nah zu ihm hin und flüsterte in sein Ohr, so dass wir es nicht hören konnten. Daniel ging ein Stück zurück und grinste Tom an. „Gute Antwort. Ich merk es mir." Der Rest hatte nie erfahren, was er Daniel gesagt hatte.
So ging nach weiteren sechs Unterrichtsstunden die Schule zu Ende und ich machte mich auf den Nachhauseweg. Unterwegs holte mich Tom ein. „Anscheinend haben wir den gleichen Weg." Ich fragte ihn, in welcher Straße er wohnte und überrascht stellte ich fest, dass wir fast Nachbarn waren. Verwundert sah ich Tom an. Ich hatte ihn noch nie in meiner Straße gesehen. OK, er war erst in den Sommerferien hergezogen, aber man hätte ihn doch mal sehen müssen, überlegte ich hin und her. Doch er beantwortete meine ungestellte Frage von selbst. „Ich bin erst am letzten Wochenende der Ferien richtig eingezogen. Ich habe noch in der Stadt gewohnt. Deshalb war ich nur selten hier." Das erklärte einiges. Plötzlich blieb Tom stehen. „Wir sind da. Mein Zuhause. " Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir schon angekommen waren. Wir standen vor einem durchschnittlichen Haus, also so groß wie die meisten in diesem Dorf. Vier Häuser weiter von meinem Elternhaus. „Willst du noch reinkommen?" Ich überlegte kurz und stellte fest, dass sowieso niemand bei mir zu Hause war und nahm die Einladung an.
„Es ist nichts Außergewöhnliches." Ich sah mich um. Es war sehr hell in den Räumen und alles wirkte warm und freundlich. Immer mal lief eine Katze an uns vorbei, doch sie ignorierte uns geflissentlich. „Das ist Minka, meine Katze. Sie wird uns nachher bestimmt mal besuchen." Ohne näher darauf einzugehen, liefen wir eine Treppe hoch. An der Treppenwand hingen viele Bilder. Man sah eine hübsche Frau, die wohl seine Mutter sein musste. Auf einem anderen Bild sah man Tom mit einem etwas blass aussehenden Mädchen. Das Mädchen musste auf diesem Bild etwa acht Jahre alt gewesen sein, schätzte ich. Sie war zierlich gebaut und hatte durchdringende braune Augen, die fröhlich Tom ansahen. Hätte sie kurze Haare gehabt, könnte sie als Toms Zwilling durchgehen. Oder könnte er eher als ihr Zwilling durchgehen? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, war die Treppe zu Ende.
„Mein Reich." Mit offenem Mund sah ich mich um, während Tom mich zu einer Couch führte, wo ich mich ziemlich plump fallen ließ. „Dein Zimmer ist ja riesig. Ist das nur ein Zimmer?" Er nickte. „Ja. Ich habe die ganze obere Etage bekommen und da dachte ich mir, dass ich einfach die Wände weg lasse. Nur die Stützpfeiler sind noch geblieben. Meine Mutter war nicht sehr begeistert von der Idee, aber jetzt findet sie es gar nicht so schlecht." Wieder sah ich mich um. Erst jetzt bemerkte ich, dass eine Wohnseite fast ganz aus Glas bestand, die das Zimmer mit Licht flutete. Weit hinten, an einer Ecke im Zimmer, stand ein Klavier. Da fiel mir wieder ein, dass Tom gesagt hatte, dass er gerne Klavier spielte. Gegenüber vom Klavier stand ein Bett. Ich glaubte mich zu entsinnen, dass man diese Art Futon nannte. An einem Stützpfeiler hingen viele Bilder. Auf einem anderen ein Poster. Irgendwoher kannte ich den Mann auf dem Poster. Wenn ich mich recht erinnerte, dann war es ein Schauspieler einer Science-Fiction-Serie. Sicher war ich mir aber nicht. Das ganze Zimmer war in einem gelblichen Ton gehalten, außer der Bereich beim Bett, der durch einen kühlen Blau-Ton bestach. Aber irgendwie störte es die gemütliche Atmosphäre des Zimmers nicht, da eine Art einziehbare Holzwand den Bereich abtrennte. Japaner hatten so etwas statt einer Tür. „Dein Zimmer ist cool. Zwar ganz anders als meins, aber dennoch cool. Wie lange brauchst du, um es sauber zu halten?" Er überlegte kurz. „Nicht lange. Ich packe immer die Dinge gleich weg, die ich benutzte. So liegt nie was rum. Das Bett mache ich früh wenn ich aufstehe. Das einzige was richtig nervt ist das Fenster zu putzten. Ich hasse Fenster putzen und Staub wischen mag ich erst recht nicht. Ich sage dir, Staub wischen kann man hier wirklich 'ne Menge." Das glaubte ich ihm. Peinlich berührt überlegte ich, wann ich zum letzten Mal Fenster geputzt oder Staub gewischt hatte. Die Antwort fiel mir nicht ein. „Machst du das gerne, ich meine sauber machen?" Irritiert sah Tom mich an. „Nein. Du etwa?" Wir sahen uns an und lachten los.
Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann fand ich diese Umgebung ziemlich seltsam für einen Jungen. Nirgends war ein Fußballposter oder ähnlich Jungs typisches zu finden. Der einzige Anflug von Ähnlichem war der Schauspieler auf dem Poster. Da ich immer noch nicht den Namen des Mannes kannte fragte ich nach:
„Wie heißt der Schauspieler auf dem Poster?"
„Schauspieler? Welcher Schauspieler?"
„Na der auf dem Plakat."
Tom sah sich um. Sein Blick blieb bei dem benannten Poster stehen und er fing auf einmal an zu lachen - warum verstand ich aber nicht. Vielleicht, weil dieser Schauspieler so berühmt war, dass man seinen Namen gar nicht vergessen dürfte? Nach gefühlter Ewigkeit lachte er immer noch.
„Was ist denn so lustig?"
„Das ist kein Schauspieler."
„Wer ist es dann? Ein Sänger?"
Jetzt lachte Tom noch mehr. Dann hustete er kurz und versuchte anscheinend sich zu beruhigen. Schließlich meinte er: „Das ist Goethe." Ich fing an zu überlegen. Goethe? In welcher Band war der? Mir fiel die Antwort nicht ein. Tom bemerkte meine Ratlosigkeit und sagte ruhig und ernst, wer Goethe war. „Johann Wolfgang von Goethe. Du magst Deutsch wirklich nicht, oder?" Ich dachte nach und als ob eine Mauer im Kopf verschwand wusste ich plötzlich, wohin Goethe zu stecken war. Das war mir so peinlich, dass ich rot anlief. Tom versuchte mich zu beruhigen und meinte, dass das doch nicht schlimm sei. „Ich habe schon mal in einem Chemietest geschrieben, dass Sauerstoff ein Metall ist." Autsch, das tat weh. Das war wirklich genauso schlimm wie zu vergessen, dass Goethe ein Dichter war. Es munterte mich auf und ich bekam wieder eine normale Gesichtsfarbe.
„Sag mal. Hast du kein Radio?"
„Nö. Meine Ma hat eins unten, aber ich brauche es nicht. Ich spiele Klavier."
„Klavier schön und gut, aber du bist musikalisch sicherlich nicht auf dem neusten Stand."
„Wieso nicht? Schon mal was von Musik runterladen gehört? Ich hab alles auf meinem Computer und ich lasse mir die Noten zu den Songs schicken. Die Lieder spiele ich dann auf Klavier. Das ist viel besser und man kann leichter entspannen."
Tom stand auf und holte sein Notebook, klickte kurz auf den Tasten herum und plötzlich ertönten die modernsten Songs, die grad im Radio liefen.
„Glaubst du mir nun?"
„Ja. Sorry, dass ich dir nicht geglaubt habe."
„Ach schon gut. Die meisten denken so von mir."
„Wie meinst du das?"
„Naja, sie denken, dass ich ausschließlich klassische Musik höre, nur weil ich Klavier spiele. Hey! Es haben doch nicht nur Beethoven und Mozart Noten. Jedes Lied hat Noten und folglich kann man jedes Lied auch auf Klavier spielen. Aber soweit denken die Meisten gar nicht."
Wie ein getroffener Hund senkte ich meinen Kopf. Ja, ich hatte auch so gedacht und dies war mir nun ziemlich unangenehm. Anscheinend steckte mehr hinter Tom als ich dachte.
„Du spielst auch Fußball?", fragte mich Tom.
„Wie kommst du darauf?"
„Weiß nicht. Vielleicht weil du ein T-Shirt anhast, wo drauf steht „1. FC Grünberg" und Daniel, von dem ich erfahren habe, dass er Kapitän dieser Mannschaft ist, dasselbe anhatte."
Tom grinste. Ich sah an mir herab und war wieder peinlich berührt - und lief wieder rot an. Verdammt. Das passierte mir sonst nie.
„Wie lange spielst du schon?"
„Fünf Jahre."
Ich erzählte ihm, dass ich als Verteidiger aufgestellt sei und unsere Mannschaft Potential hätte. Tom entgegnete, dass er als Hobby auch ab und zu Fußball spielen würde, jedoch nie im Verein. So redeten wir über Lieblingsvereine und die besten Spieler. Naja... eher redete ich - voll in meinem Element.
Da kam mir ein grandioser Einfall. „Willst du in unserer Mannschaft spielen? Philip, unser Stürmer, hat aufgehört. Du kannst statt ihm mitspielen."
„Geht das denn so einfach? Ich meine..."
Ich winkte ab. „Ach das wird sicherlich kein Problem sein. Wir fangen nächste Woche im Sportunterricht sowieso mit Fußball an. Dann kannst du zeigen was du drauf hast. Einverstanden?"
Tom überlegte. „Mmh... einverstanden."
Es war abgemacht. Wir redeten noch einige Zeit über Fußball und kamen schließlich auf Mädchen zu sprechen. Tom erzählte mir, dass er noch eine Freundin in der Stadt habe.
„Wir sind 3 Jahre zusammen. Annabelle ist...schön, clever und äußerst besitzeinnehmend. Sie denkt wohl zeitweise, dass ich ihr Besitz bin." Er sah mich an und schien in Gedanken zu sein. Ich fuchtelte mit meiner Hand vor seinem Gesicht rum. „Sorry. Ich hab mich gerade gefragt, was sie von dir halten würde. Vielleicht stelle ich euch mal einander vor." Ich zuckte mit den Schultern. Von mir aus. Dann fiel mir Minka auf, die uns wohl schon eine geraume Zeit beobachtet haben musste. Ich sah sie an und bemerkte, dass sie mich regelrecht anstarrte. War denn so was normal? Es verging eine geraume Zeit und die Katze starrte mich immer noch an. „Was hast du Max? Warum starrst du Minka so an?" Ich sie? „Sie starrt mich an. Nicht umgekehrt." Tom sah von Minka zu mir und wieder zurück. „Ah. Ich weiß was sie hat." Hunger? Hunger passte eigentlich immer. „So? Was denn?" Er hustete kurz und sagte dann leise zu mir. „Du musst dich vorstellen." Ähm was bitte? Ich soll mich einer Katze vorstellen? Ist hier irgendwo eine versteckte Kamera? Gleich würde Daniel aus einem Versteck gerannt kommen und sich abfeiern. Tom war die ganze Situation wohl ziemlich unangenehm, da er nervös mit seinem Fuß wackelte. Schließlich versuchte er es zu erklären. „Meine Katze hat eine ziemlich eigenartige Angewohnheit. Sie will, dass sich eine fremde Person im Haus vorstellt und sagt wie sie heißt und in welcher Beziehung sie zu der Person im Haus steht. Vorher lässt sie dich nicht gehen und weicht dir auch nicht von der Seite. Und ich sage dir, es haben nicht wenige herausgefunden, dass Minkas Krallen scharf sind." Meinte er das ernst? Ich sollte mich einer Katze vorstellen? Strange! Der Kerl war ja so schon ein bisschen seltsam, aber das setzte dem ganzen ein Krönchen auf. Aber was hatte ich zu riskieren? „Du sagst das aber niemanden Tom!?" Ich würde ihm höchstpersönlich das Genick brechen, wenn er irgendjemanden erzählen würde, dass ich mich einer Katze vorstellte. „Natürlich nicht. Das ist mir genauso peinlich wie dir." So setze ich mich vor die Katze, die mich immer noch beobachtete, hin und sagte: „Guten Tag. Mein Name ist Max Heinfeld und ich bin ein Freund von Tom, der mich freundlicherweise eingeladen hatte." Minka sah zu Tom, der nur nickte und letztendlich schien sie zufrieden zu sein, sah mich noch mal kurz an und verlies das Zimmer. „Echt seltsam deine Katze." Er nickte mit einem verlegenen Lächeln. Nach dieser Aktion unterhielten wir uns noch eine ganze Weile. Wir kamen auf unseren Fußballclub, Musik und waren dann bei den Mädchen hängen geblieben. „Also Andrea, die Rothaarige, vor der musst du dich in Acht nehmen. Die schmeißt sich jeden an den Hals. Ist aber eine gute Zuhörerin und kann auch Geheimnisse für sich behalten. Das ganze Gegenteil ist Suzi. Sie schmeißt sich zwar auch an viele Jungs ran, kann aber keine Geheimnisse für sich behalten. Dann ist da Marie. Sie ist wirklich süß. Sie wirkt zwar zerbrechlich und schüchtern, aber kennt man sie erst besser, dann muss man sich einfach in sie verlieben." Tom sah mich ernst. „Du bist in sie verliebt?" Nun wurde ich ziemlich nervös. Ich wusste zwar nicht warum, aber irgendwie fiel es mir schwer mit Tom über Mädchen zu reden, obwohl dies sonst nie ein Problem für mich war. Er hatte bei diesem Thema so einen ernsten Gesichtsausdruck, dass ich mich nicht traute irgendetwas Falsches zu sagen. „Und, liebst du sie?" Nervös entfernte ich eine imaginäre Fussel. Oh...da noch eine... Ich atmete tief durch. „Ich denke schon. Sie ist wirklich süß und so lieb. Ich glaube, dass du sie auch mögen würdest. Sie mag Gedichte und die Mondscheinsonate. Was auch immer das ist." Er lachte laut auf und schüttelte den Kopf. „Die Mondscheinsonate ist ein Stück von Beethoven. Eines meiner Lieblingsstücke. Soll ich es dir vorspielen?" Ich nickte. Tom stand auf und ging zu seinem Klavier. Er setze sich kerzengerade auf den Hocker und klimperte auf die Tasten. Er schien ganz vertieft in das, was er tat. Nachdem er noch ein paar Tasten ausprobiert hatte, fing er an zu spielen. Durch das relativ leere Zimmer hörte man das Stück besonders deutlich. „Gute Akustik." Doch Tom reagierte nicht. Wie in Trance spielte er das Stück. Erst jetzt bemerkte ich, dass er seine Augen geschlossen hatte. Wie oft spielte er dieses Stück schon? Plötzlich hörte er auf. Still liefen Tränen sein Gesicht hinunter. Er stand auf und ging zu dem Fenster. Was war denn jetzt los? Ohne recht zu wissen, was ich nun tun solle ging ich zu ihm. „Es tut mir leid. Ich habe das Stück nicht zu Ende gespielt." Ich stellte mich neben ihn. „Das ist doch nicht schlimm. Ähm...Also... warum weinst du?" Ich fragte dies ruhig und mitfühlend, was bei mir eher sehr selten passierte. Die meisten Menschen bezeichneten mich eher als Gefühlsklotz.
„Es war ihr Lieblingslied..."
„Von deiner Ex-Freundin?" Er schüttelte den Kopf. Ein tiefer Seufzer lies meine Haare zu Berge stehen. Klang so, als ob da eine unschöne Geschichte folgen würde.
„Du musst nicht darüber reden."
„Doch. Ich will mit dir darüber reden." Ich nickte. Irgendwie fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Am liebsten wäre ich weggerannt, aber das konnte ich jetzt schlecht bringen. Ich hasste solche Situationen.
„Hast du das Mädchen auf dem Bild gesehen?" Mir fiel das Mädchen mit den braunen Augen ein.
„Das neben dir?"
„Ja. Das ist meine Schwester, wo sie neun Jahre alt gewesen ist."
„Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast. Wo ist sie?" Er sah an die Decke. Es sah so aus als wolle Tom verhindern, dass er wieder mit weinen anfing.
„Sie ist tot."
„Oh, das tut mir leid."
„Du kannst ja nichts dafür."
„War sie krank? Sie sah auf dem Bild so blass aus."
„Ja. Sie hatte einen Herzfehler..." Er hörte auf zu erzählen.
„Und wann ist sie gestorben?"
„Es ist zwei Jahre her. Wir waren Zwillinge." Ha! Ich wusste es. Doch sogleich rügte ich mich für diese Gedanken. Das war ja nun wirklich nicht wichtig. Wieder sah er hoch zur Decke, aber diesmal konnte er seine Tränen nicht zurückhalten.
„Mondscheinsonate war ihr Lieblingsstück. Ich musste es ihr jeden Tag vorspielen."
„Und ich Esel hab es dich vorspielen lassen."
„Ich hab es ja vorgeschlagen...." Wieder wurde er ruhig. In diesen Augenblicken schwirrten mir so viele Gedanken im Kopf herum, dass es mir schwer fiel klar zu denken.
„Nach dem Tod meiner Schwester ist Vater ausgezogen. Er hat es bei uns...bei mir... nicht ausgehalten."
„Wieso bei dir?" Er lächelte verkrampft. „Meine Schwester und ich ähnelten uns nicht nur rein äußerlich, sondern auch vom Charakter. Früher wurde ich oft für ein Mädchen gehalten. Man verhätschelte mich und nahm mich nicht ernst. Bei meiner Schwester war es genauso. Wenn man uns beide sah sagten immer alle, wie süß wir doch waren. Doch ich wurde älter. Ich mochte es nicht, wenn man mich für ein Mädchen hielt und deshalb fing ich an aufmüpfig zu werden. Ich wollte zeigen, dass ich ein Mann bin und ließ mir nichts sagen."
„Das versteh ich. Wäre mir genauso gegangen."
„Meine Eltern waren überfordert mit dieser neuen Situation. Verständlich, denn aus dem immer lieben Kind wurde ein Raufbold und Lügner. Wir hatten täglich Streit. Sie jammerten und bettelten und hofften, dass ich wieder normal werde. Nur meine Schwester hatte mich enttarnt."
„Hä?" Enttarnt?
„Nun, sie kam eines Tages in mein Zimmer und meinte, dass ich das doch gar nicht sei. Ich solle nicht so tun, als ob ich stark bin, denn das sei ich nicht. Sie hatte recht. Ich gefiel mir in meiner Rolle als Chaot selbst nicht und es verletzte mich zu sehen, dass meine Eltern litten. Eines Tages beschloss ich dann ganz vernünftig mit meinen Eltern über meine Gefühlslage zu sprechen. Ich wollte sagen, dass ich mich eigentlich nicht geändert hatte und nur respektiert werden wollte."
„Und was ist passiert?"
„Meine Eltern müssen einen Tag vorher beschlossen haben mich in ein Internat zu stecken."
„Oh."
„Du sagst es. Ich ging zu ihnen und entschuldigte mich und meinte, dass ich mich wieder ändern will, wenn sie anfangen mich zu respektieren. Doch sie hörten gar nicht auf mich. Vater schlug mir ins Gesicht und meinte, dass er mir dies nicht glauben könne, da ich die letzte Zeit nur log und dass er einen Lügner nicht respektiert. Für mich war das ein Schock, da ich noch nie geschlagen wurde und mein Vater eigentlich immer ein vernünftiger Mensch war. Doch als ob das nicht genug war, sagte meine Mutter dann, dass ich in ein Internat komme, weit weg von der Familie und dass sie hofften, dass ich dort ein bisschen Anstand erlerne."
„Und bist du ins Internat gegangen?"
„Nein."
„Bist du weggelaufen?"
„Dazu wäre ich gar nicht fähig gewesen. Ich liebe meine Familie und dass sie mich in ein Internat schicken wollten, weit entfernt von ihnen, war für mich ein Symbol der tiefsten Verachtung. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich hassen. Deshalb wollte ich ihnen den Kummer den ich ihnen bereitete beseitigen."
„Was hast du getan?"
„Ich wollte mich umbringen." Entsetzt sah ich Tom an. Tom wollte sich umbringen? Das konnte ich nicht glauben. Alter! To much information für einen Tag.
„Du glaubst mir nicht?"
„Nicht wirklich. Du würdest dich doch nicht umbringen. Das könntest du doch gar nicht. Dafür liebtest du deine Familie viel zu sehr."
„Du hast recht. Ich liebte sie so sehr, dass ich für sie alle Sorgen vermeiden wollte. Und ich war eine große Sorge. Also musste ich mich beseitigen." Ich schwieg. „Deshalb schloss ich mich einen Tag bevor ich ins Internat sollte in meinem Zimmer ein. Ich hatte das scharfe Küchenmesser von Mutter mitgenommen und saß nun in meinem Zimmer. An meiner Tat zweifeln tat ich nicht. Nur ein Gedanke schwirrte durch meinen Kopf >Es ist das Beste
„Aber es war doch abgeschlossen."
„Sie hatte einen Ersatzschlüssel. Unsere Eltern meinten, dass wir die Verantwortung für unser Zimmer übernehmen sollten und dass wir, wenn wir es unbedingt wollen, auch Privatsphäre haben können. Aus diesem Grund gaben sie uns die Schlüssel. Heute glaube ich, dass meine Eltern auch einen Schlüssel hatten, aber früher wären meine Schwester und ich nie auf den Gedanken gekommen. Da meine Schwester und ich immer zusammen waren gab ich ihr gleich am Anfang einen Schlüssel von mir und ich bekam ihren."
„Aha. Daher konnte sie auch an diesem Abend rein kommen?!" Ich bekam Kopfschmerzen. Was passierte hier eigentlich? Ich kannte den Typen gerade mal einen Tag und er erzählte mir sowas. Innerlich schrie ich. Mit sowas konnte ich überhaupt nicht umgehen. Wenn meine Mutter mal bei einer Schnulze heulte ergriff ich normalerweise die Flucht. Damals hatte mal ein Mädchen aus unserer Klasse beim Kippeln Bekanntschaft mit dem Boden gemacht und heulte übelst. Ich bekam einen Lachflash... weil ich total überfordert war...
„Meine Schwester und ich waren Zwillinge. Diesen sagt man ja nach, dass sie spüren, was der Andere fühlt. Bei uns beiden war das genauso. Sie musste gespürt haben, dass ich etwas Dummes machen will, denn in den Moment wo ich mir meinen Arm aufschnitt stand sie neben mir. Ich sah sie an, doch sie war ganz ruhig. Sie schimpfte nicht, sondern nahm ein rum liegendes Hemd und presste es auf meinen Arm. Leise tropften ihr Tränen vom Gesicht hinunter. In diesen Augenblick dachte ich daran, dass Suizid vielleicht doch nicht das Beste sei, denn meine Schwester würde leiden. Für sie war ich nie eine Last. Ich sah sie an und sagte, dass es mir Leid täte. Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und nahm mich bei der Hand. Heute bin ich froh, dass ich in einer Stadt gewohnt habe, denn wir waren schnell im Krankenhaus angelangt. Dort behandelte man meinen Arm. Man fragte mich und meine Schwester, wo unsere Eltern waren, doch wir sagten nichts. Nach einer Weile gaben die Ärzte auf. Sie meinten wohl irgendwann die Antwort zu erfahren. In derselben Nacht bin ich aus meinem Krankenzimmer geflohen und bin mit meiner Schwester nach Hause gegangen. Meine Schwester hat nichts verraten. Natürlich schimpften meine Eltern, dass ich so spät nach Hause kam und meinten, dass ich wohl den Verstand verloren hätte mit meiner Schwester so spät durch die Stadt zu laufen. Ich konnte nichts darauf antworten, da mein Arm viel zu sehr schmerzte. Ich merkte, wie mich Hitze durchströmte und mir wurde schwindlig. Wie in einem Traum hörte ich die Stimme meiner Schwester, die sagte, dass sie mich in Ruhe lassen sollen. Sie meinte, dass ich der liebste Mensch auf Erden sei und dass ich genau derselbe liebe Junge war wie immer. Langsam konnte ich wieder klar denken und ich merkte wie mir Tränen über mein Gesicht liefen. Unsere Eltern schickten uns ins Bett. Mitten in der Nacht wachte ich dann auf. Mein Herz klopfte wie wild. Ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmte und rannte in das Zimmer meiner Schwester. Sie lag dort und wälzte sich hin und her. Ich setzte mich an ihr Bett und nahm ihre Hand, wobei ich sofort spürte, dass sie heiß war. Als ich dann mit meiner Hand auf ihre Stirn fasste bemerkte ich, dass sie hohes Fieber hatte. Sofort rannte ich runter zu meinen Eltern und sagte ihnen Bescheid. Sie kontrollierten die Temperatur und als sie das Ergebnis hatten fingen sie aufgeregt miteinander an zu erzählen. Ich hörte ihnen gar nicht zu, stattdessen saß ich bei meiner Schwester am Bett und hielt ihre Hand. Was in der Nacht alles passiert war nahm ich kaum war. Ich weiß, dass wir ins Krankenhaus fuhren und die Ärzte meine Schwester mitnahmen. Wir warteten dort die ganze Nacht. Mutter weinte und Vater war kreidebleich. Ich lief durch das Krankenhaus. Mein Arm tat sehr weh und ich musste daran denken, dass sie mir das Leben gerettet hatte und ich nun nichts tun konnte." Tom wurde still. Ich hatte die ganze Zeit versucht ihn nicht zu unterbrechen, doch jetzt musste ich was sagen. „Deine Schwester...wie hieß sie noch gleich?"
„Lori. Eigentlich Loriane, aber ich nannte sie immer Lori. Ich merke gerade...ich habe nicht einmal ihren Namen genannt."
„Es ist sicherlich nicht leicht über sie zu sprechen."
Er stutzte kurz und sah mich mit großen Augen an. „Ich habe seit ihrem Tod mit niemanden, außer Mutter, über sie gesprochen. Keine Ahnung...Bei dir...Ich weiß nicht... aber ich habe das Gefühl dir vertrauen zu können."
„ Das kannst du auch. Ich werde niemanden etwas sagen." Wenn ich was konnte, dann Geheimnisse bewahren.
„Danke."
„Ach, du brauchst dich nicht bedanken." Wir schwiegen. Eine unangenehme Ruhe. Nach ein paar Minuten sagte Tom: „Im Krankenhaus haben sie dann festgestellt, dass Lori einen Herzfehler hat, deshalb war sie auch oft krank, wenn sie sich aufgeregt hatte. Das Herz war dann überlastet." Toms Stimme war nun sehr ruhig und extrem traurig. Ich wusste nicht was ich darauf sagen sollte. Mir hatte noch nie jemand so eine traurige Lebensgeschichte erzählt. Irgendwie fühlte mich überfordert mit dieser Situation.
„Ist sie an diesem Tag gestorben?"
„Nein. Sie blieb noch einige Tage im Krankenhaus. Ich besuchte sie jeden Tag. Am selben Abend wo meine Schwester ins Krankenhaus kam, unterhielt ich mich mit meinen Eltern. Ich versuchte ihnen zu erklären, was ich fühlte und warum ich mich so verhielt. Sie versuchten es zu verstehen und beschlossen dann auch mich nicht ins Internat zu verfrachten. Ich war überglücklich und langsam wurde ich dann auch wieder „normal". Mein Vater hatte ziemliche Probleme mich wie einen Mann zu behandeln, da er nie richtig wusste, wie er es anstellen soll. Manchmal ging ich mit ihm in die Garage und wir bastelten an seinem Auto rum, aber er merkte bald, dass ich damit nichts am Hut hatte. Eines Tages, als Lori schon längst aus dem Krankenhaus war, besuchten wir, also Mutter, Vater, Lori und ich, eine Musik- und Literaturausstellung. Dort spielte ein Mann die Mondscheinsonate und Lori war total begeistert. Eine Woche später meldete ich mich beim Klavierunterricht an. Meine Lehrerin merkte sofort, dass ich Talent hatte und gab mir sogar unbezahlte Klavierstunden. Mein erstes Stück was ich spielen konnte war „Mondscheinsonate". Als wir unseren 14. Geburtstag feierten, spielte ich ihr es vor. Sie fing an zu weinen, so gerührt war sie. Meine ganze Familie hatte Geld zusammen gelegt und ich bekam ein brandneues Klavier. Seit diesem Tag spielte ich Lori täglich dieses Stück vor. Vier Wochen später ist sie gestorben. Ihr Herz hat im Schlaf ausgesetzt. Sie ist ganz ruhig gestorben. Sie musste nicht leiden. Als sie dann tot war hörte ich auf die „Mondscheinsonate" zu spielen. Zudem fing ich an Gedichte zu schreiben. Ich glaube das ist auch der Grund, warum ich nie zum Psychiater musste. Meine Gedichte beinhalten meinen Kummer."
„Wenn ich Kummer habe, dann spiele ich Fußball. Niemand darf mich dann stören und wenn es doch jemand tut, dann gnade ihm Gott, denn dann werde ich richtig sauer und lasse meinem Frust an ihm aus." Wir sahen uns an. Tom war das ganze Gegenteil von mir. Hatten wir überhaupt irgendeine Gemeinsamkeit? Alle meine Freunde hatten irgendeinen Berührungspunkt mit mir, aber Tom und ich hatten gar nichts gemeinsam. „Wir sind total unterschiedlich Max." Überrascht sah ich ihn an. „Genau das Selbe habe ich mir gerade auch gedacht." Wir lachten bedrückt. „Tja. Jetzt habe ich die ganze Stimmung versaut. Willst du ein bisschen Basketball spielen?"
„Du kannst Basketball?"
„Klar. Dort wo ich herkam war ich Teamchef. Doch leider waren wir nicht so gut."
„Klar können wir Basketball spielen." Wir gingen raus in den Garten. Wieder war ich erstaunt über dieses Haus. Zuerst Toms Zimmer und dann dieser Garten. Er musste dreifach so groß sein, wie das Haus. Auf der einen Seite war ein Garten und auf der anderen Seite wuchsen ein paar Tannen, dazwischen eine Eiche und im Schatten der Bäume stand eine Bank. Überall blühten Blumen in den verschiedensten Farben. Und ganz hinten, umgeben von einem Zaun, war ein kleiner betonierter Platz mit einem befestigten Basketballkorb. „Mein kleines Reich." Von irgendwoher holte Tom einen Basketball und wir fingen an zu spielen. Ich merkte gar nicht, dass es schon längst dunkel war, denn der Platz wurde von einigen Lampen beleuchtet. „Du spielst wirklich gut.", sagte Tom zu mir, als wir Pause machten. „Mit dir in der Mannschaft hätten wir bestimmt öfters gewonnen."
„Du spielst aber auch gut. Ist das denn normal?"
„Das ich gut spiele?"
„Nein. Ich meine Klavier spielen und gleichzeitig Basketball spielen. Ich hab gehört, dass ein Klavierspieler, wenn er sich die Finger bricht, nie wieder spielen kann." Tom überlegte kurz und sagte dann in einem ruhigen Ton: „Kann gut möglich sein, aber es ist ja noch nie passiert."
„Und was ist, wenn es mal passiert?" Er antwortete nicht. Plötzlich ertönte eine Stimme hinter mir. „Tom, da bist du." Es war seine Mutter. Sie musste Tom schon im ganzen Haus gesucht haben. „Hi Ma. Das ist Max, ein Klassenkamerad."
„Oh. Guten Abend." Sie reichte mir die Hand und drückte, zu meiner Überraschung, kräftig zu. „Sag Max, musst du nicht bald nach Hause? Es ist schon dunkel."
„Bei mir ist keiner zu Hause. Die kommen erst um Zehn." Darauf sah Frau Schuster auf ihre Uhr und sagte ruhig: „ Es ist schon halb zwölf."
„WAS? Oh Scheiße. Ich muss nach Hause." Tom sah mich an und sagte, dass er mich zur Tür bringen wolle. Wir rannten nach vorne und hinter mir hörte ich nur noch die Stimme von Frau Schuster, die rief: „Schön dich kennen gelernt zu haben Max."