Selina wusste, dass ich recht hatte! Ich glaube, am Meisten störte sie die Tatsache, dass wir wider besseres Wissen agieren mussten. Für das Ansehen der Stiftung sah es nach dem Pressewirbel um Mutter und den Schlagzeilen um meine "untreue Ehefrau" zur Zeit ohnehin nicht gut aus. Meine Vorträge vor einem hochrangigen Publikum aus dem halben Europa nun abzusagen, hätte unsere Glaubwürdigkeit irreparabel beschädigt. Das konnten wir nicht zulassen. Also hatte ich keine Wahl. "Aber dann begleite ich dich!" - "Selina , du weißt, dass das Unsinn ist! Du musst unbedingt bei Mel bleiben!" Sel tigerte in meinem Büro auf und ab. "Ich finde einfach keine Lösung, Michael!" meinte sie schließlich. Also küsste ich meinen Schatz nochmal und brach auf ins Palais. Auf dem Weg zum Auto begegnete mir Brandmayr. "Michael, ich habe Melina abgeholt und zu Schwester Ines gebracht. Ich komme dann mit zwei Mann zu ihnen ins Palais. So hat Max es mir aufgetragen. Ist das ok für Sie?" - "Danke Josef! Ich weiß, dass ich mich auf sie verlassen kann!" - "Selbstverständlich, Michael. Der Privatermittler konnte noch immer nicht Dingfest gemacht werden! Wir müssen auf der Hut sein!" - "Alles Klar, Josef!" - "Dann warten sie bitte noch zwei Minuten! Dann kann ich ihnen in moderatem Abstand folgen. Unauffällig aber sicher!" - "Gut! So machen wir' s!"
Auf der Fahrt zum Palais gab es keine Zwischenfälle. Maria hatte mir feine Wienerschnitzel zubereitet, die ich mit großem Genuss und einem kalten Bier vernichtete. Auch eine Reisetasche war mit Allem Notwendigen von Maria gepackt worden und eine große Tafel Trauben-Nuss-Schokolade lag oben drauf. "Das sollten sie Selina lieber nicht sagen Michael, aber ein Bisschen Nervennahrung wollte ich ihnen doch mit auf den Weg geben." - "Sie sind ein Engel, Maria!" - "Sie haben sich das verdient, Michael! Übrigens hätte ich den dunkleren Anzug für heute Abend geplant, mit der anthrazitfarbenen Krawatte und dem elfenbeinfarbenen Hemd. Die andere Kombination für morgen!" - "Wie gesagt, Maria... ein Engel! Passen sie gut auf meine Mädels auf, Maria!" - "Passen sie gut auf sich auf, Michael!"
Ich hatte mich entschlossen, den Mercedes zu nehmen, eine großvolumige S-Klasse. Josef würde mir in angemessenem Abstand mit seinen Männern in einem BMW folgen. Er hatte ein PS-starkes Modell ausgesucht, um jederzeit mit Leichtigkeit zu mir aufschließen zu können, wenn etwas Verdächtiges vorfallen sollte. Allerdings gab es auf der gesamten Fahrt keinen Anlass zur Beunruhigung. Gegen 16:00 Uhr checkte ich im Hotel ein. Josef und seine Männer konnten leider nicht mehr in meinem Stockwerk untergebracht werden, doch solange ich mich in meinem Hotelzimmer aufhielt befanden sich ohnehin immer zwei von ihnen auf meiner Etage auf dem Flur vor meinem Zimmer, oder aber in dessen unmittelbarer Umgebung. Mein Vortrag war in der Kongresshalle dieses großartigen Hotels für neunzehn Uhr geplant. Er sollte etwa neunzig Minuten dauern und dann noch eine Stunde Zeit für Diskussionen bieten. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, was höchst erfreulich war, weil es großes Interesse sowohl von Seiten der Wirtschaft als auch der Ärzteschaft bewies. Pünktlich um 18:58 betrat ich den Saal und ging vor zum Rednerpult. Ich begrüßte die Gäste und bedankte mich für ihr zahlreiches Erscheinen. Josef Brandmayr stand ein paar Schritte schräg hinter mir und seine beiden Mitarbeiter standen bei den beiden seitlichen Notausgängen. Ich startete meinen Vortrag um neunzehn Uhr fünf und freute mich über ein sehr diszipliniertes und offenbar interessiertes Publikum.