Sebius seit Kurzem der Anführer des Zwergen Volkes, der Waldkinder, sass auf seiner roten Bank vor der Tür seines pilzförmigen, braunen Hauses mit dem roten Dach und während er an seiner Pfeife zog, blickte er nachdenklich zum Himmel empor. Das Jahr war gerade mal fünf Monde alt und überall kreuchte und fleuchte es. Alle Tierchen waren schon längst aus ihrem Winterschlaf erwacht und die Bienen hatten schon eifrig mit dem Sammeln von Honig begonnen. Die Natur war wieder daran sich in ihrer ganzen Pracht zu entfalten und dies war für die Zwerge, eine ganz besondere Zeit.
Sebius war klein gewachsen, wie für Angehörige seines Volkes üblich und mass etwas mehr als zwei Ellen (eine Elle ist hier ca. 50cm). Auf seinem Kopf trug er, ebenfalls wie alle Angehörige seines Volkes, eine rote Mütze. Seine restliche Kleidung war grau und unauffällig. Doch darüber trug er, als Zeichen seines hohen Standes ein silbernes mit feinen Gravuren verziertes Medaillon, in dessen Mitte sich ein kreisrunder, goldbrauner Stein befand, den man Erd- Mutter- Stein nannte.
Die Erdmutter war sehr wichtig für die Zwerge, denn nur durch sie konnte Sebius’ Volk sich vermehren. Dies war gar nicht so einfach, denn es gab unter den Zwergen nur Männer. So pflanzten sich das Zwergen Volk nicht auf die übliche Weise fort. Alle drei Jahre, versammelten sich die Kleinwüchsigen stattdessen bei einem heiligen Hügel, in den naheliegenden Bergen.
Jeder der sich bereit für Nachwuchs fühlte, liess ein paar Tropfen Blut von sich auf diesen Erdhügel tropfen und dann schenkte die Erdmutter ihm einen Sohn.
Sebius wurde als Häuptling die Aufgabe zuteil, zusammen mit den Hohepriester den Hügel, für dieses ganz besondere Ereignis vorzubereiten. Der Hohepriester segnete die Umgebung mit geweihtem Wasser und Sebius schmückte alles und sorgte dafür, dass für das körperliche Wohl aller gesorgt war und die Kinder auch auf würdige Weise in der Welt empfangen werden konnten.
Dieses Jahr war es wieder einmal soweit und Sebius war schon ziemlich aufgeregt. In ihm war eine seltsame Unruhe, die er bisher noch nie gekannt hatte. Irgendwie kam es ihm vor, als ob etwas anders wäre. Doch er konnte nicht richtige einordnen was das sein konnte.
Nachdenklich stiess er den Rauch der Backpfeife aus und beobachtete, wie sich dieser vor dem vollen Mond ausbreitete… wie ein Schleier, welcher irgendetwas verbarg, dass er noch nicht erfassen konnte. Morgen würde er sich auf den Weg zum Hügel machen. Der Priester würde kurz darauf nachkommen.
Nach einer ziemlich unruhigen Nacht, stand Sebius auf, machte alles für seine Reise bereit, packte seinen Reisestock und machte sich auf den Weg Richtung Berge.
Ziemlich bald liess er den Wald hinter sich und kurz darauf, befand er sich in unebenem Gelände voller Geröll und Steine. Fleischige, baumähnliche Pflanzen wuchsen hier. Sie besassen herzförmige Blätter und braune Früchte, welche mit einem roten Kelch ummantelt waren. Diese Pflanzen nannte man Zwergenbäume. Sebius nahm lächelnd eine der Früchte und drehte sie so, dass sich der rote Kelch oben befand. Die braune, runde Frucht wirkte nun wie das Haupt eines Zwerges mit einer roten Mütze. Die Zwergenbaum- Früchte waren mit ihrem leckeren, nussigen Geschmack, eine beliebte Zutat für verschiedenste Speisen. Sebius sammelte einige von ihnen ein und ging danach weiter.
Schon bald kam er auf eine kleine Alm und inmitten dieser Alm befand sich ein grosser, kegelförmiger Erdhügel. Rundherum lagen verschiedenste Gaben, welche von Zwergenpilgern hier als Geschenke für die Erdmutter, niedergelegt worden waren. Auch einige Utensilien für das grosse Erdmutterfest, befanden sich bereits hier.
Wie immer, wenn er diesen geheiligten Ort betrat, fühlte Sebius tiefe Ehrfurcht in sich aufsteigen und faltete andächtig die Hände.
Er sprach ein Gebet und machte sich dann daran, die ersten Vorbereitungen zu treffen. Als er sich jedoch abwenden wollte, vernahm er plötzlich das Geräusch rieselnder Erde hinter sich!
Die Spitze des Erdhügels, geriet auf einmal in Bewegung. Die Erde türmte sich, fast wie Magma auf und in diesem Moment stand eine wunderschöne Frau, mit einem braunen Samtkleid und gleichfarbigen, langen Locken vor ihm. Wunderschönen Stickereien schmückten den Brustteil ihres Gewandes und mit sanften, grossen Reh- Augen blickte sie Sebius an. Dieser schaute fassungslos auf die eigentümliche Erscheinung. „Wer bist du?“ stotterte er, ganz erschlagen von der Armut dieser wundervollen Dame. Diese lächelte nur und sprach mit samtiger Stimme: „Weißt du das wirklich nicht mein Sohn? Ich bin die Hüterin der Erde.“ Du bist… die Erdmutter?!“ rief der Zwerg ungläubig. „So ist es.“ „Ich kann es nicht glauben!“ stotterte der Zwerg.
Er trat vor die Dame hin, sank auf die Knie und küsste ihre Hände. Er stellt erstaunt fest, dass sie nicht viel größer, als er selbst, war. Sebius war so tief berührt, dass eine Träne ihm über die Wange lief. Die Dame zog ihn sanft, aber bestimmt, wieder auf die Füsse zurück. „Du musst nicht vor mir knien!“ lächelte sie. „Aber du bist doch unser aller Mutter. Ich kann gar nicht glauben, dass ich die grosse Gnade erfahre, dich leibhaftig zu erblicken.“
„Du bist eben etwas ganz Besonderes, mein lieber Sebius. Du bist jener, den ich auserwählt habe, ein neues Zeitalter einzuläuten.“ „Wie meinst du das? Ich werde diesmal einen ganz besonderen Bund mit dir eingehen mein Sohn. Einen Bund, den es nie bisher gab.“ „Was für einen Bund denn?“ Du kennst doch Das übliche Ritual?“ Die Dame nahm nun einen langen Dorn hervor und meinte: „Komm näher und reiche mir deine rechte Hand!“ Aber die Umgebung ist noch gar nicht für das heilige Ritual vorbereitet!“ wandte Sebius ein. Die Erdmutter lächelte erneut. „Ach mein lieber Sebius, ich kann jederzeit gebären und ich brauche keinen geweihten Hügel, keine geweihte Erde, um das zu tun. So gib mir nun deine Hand!“ Der Zwerg zögerte nochmals einen kurzen Moment, doch dann, gehorche er. die Dame stach zuerst ihm kurz in den Finger, dann tat sie bei sich dasselbe. Aber was machst du da? Das ist bisher noch nie so gewesen!“ „Es ist auch nicht so, wie es immer war, mein lieber Sohn. Und nun gib mir deine Hand, damit sich unser Blut vereinigen kann!“ der Zwerg verstand noch immer nicht. Doch die Dame nahm einfach seine Hand und umschlang sie mit ihren Fingern, sodass sich ihr Blut mit seinem vermischte. In diesem Moment durchfuhr es den Zwerg wie ein Blitz! Noch nie hat er so ein Gefühl gehabt! Er fühlte wie er und die Erdmutter, für einen kurzen Moment, irgendwie Eins wurden und keuchte auf. Gleich darauf, löste die Dame ihren Griff jedoch wieder.
„Was ist geschehen?“ „Du hast du mit mir den Grundstein für eine neue Ära gelegt. Ich werde nun in der Erde zurückkehren und gebären. Hab nur etwas Geduld, etwas Großes steht bevor!“ Sebius war wie vom Donner gerührt und starte auf den Erdhügel. Er konnte sich einfach nicht abwenden und harrte gebannt der Dinge, die da kommen würden. Tatsächlich tauchte die Erdmutter kurz darauf wieder auf. In ihren Armen trug sie liebevoll ein Zwergen Baby. „So nimm denn deine Tochter entgegen Auserwählter!“ rief sie. „Eine Tochter, aber das ist doch nicht möglich!“ „Komm her und überzeuge dich selbst. Der Zwerg trat unsicher zu ihr hin und die Hüterin der Erde, reichte ihm das Kind. Es war ein wundervolles, kleines Wesen, mit braunen, schon ziemlich dichten, lockigen Härchen und es sah auch sonst definitiv weiblich aus. Sebius nahm das kleine Geschöpf zögernd in die Arme. Er konnte es einfach nicht fassen! Er hatte die Geburt der ersten Zwergin miterlebt und er… war ihr Vater!
Ende