Als Luke mal wieder einfiel, sich zu melden, meinte er, dass ihm das alles zur Zeit leid täte. Ich glaubte ihm, aber es war schon okay. Ich versuchte mich mithilfe von Musik abzulenken. Dummerweise sorgte die Zufallswiedergabe dafür, dass ich erneut mit ihm konfrontiert wurde. Also fing ich an, das Stückchen Lied zu hören, was er mal für mich gesungen hatte, und zwar öfter als gut für mich war. Ich war so dumm, denn es machte mich gleich wieder furchtbar traurig, aber ich konnte es einfach nicht lassen.
Mitte des Monats hielten ein paar Freunde und ich eine kleine Weihnachtsfeier auf dem Weihnachtsmarkt ab und ich war so betrunken, dass ich zusammen mit einer ähnlich schlimm betrunkenen Freundin anfing, mit Luke in Form eines Audios zu reden, bis uns das Handy abgenommen und erst wieder ausgehändigt wurde, als wir halbwegs nüchtern waren. Gott sei Dank, ich möchte nicht wissen, was wir ihm erzählt hätten.
Auch in diesem Monat telefonierte ich mehrmals mit Yannik. Als ich mich über die Situation mit Luke ausließ und am Ende meinte:
»Naja aber ist ja auch egal. Ich bin nichts, auf das man stolz sein muss«,
sagte er mir, dass er damals - bevor er zu mir kam - einem Arbeitskollegen ein Photo von mir gezeigt hätte und dieser ziemlich angetan war. Irgendwie fühlte ich mich dann doch wieder etwas besser, auch wenn Aussehen ja nicht alles ist. Aber trotzdem erfuhr mein Selbstwertgefühl eine kleine Steigerung.
Tags darauf verletzte ich erneut meinen Vorsatz, Luke nicht zu schreiben, und schickte ihm ein paar Nachrichten, so sieben Stück. Er besaß sogar die Güte, mir mit einem »Hey?« zu antworten. Wir würden am nächsten Tag reden, schrieb er. Vorfreude war unangebracht. Dies sollte sich auch wieder bestätigen. Ich fragte mich, ob er vielleicht dachte, dass ich keine Lust darauf hätte, mit ihm zu reden. Dann aber stellte sich wiederum die Frage, was ihm Grund zu der Annahme gegeben haben könnte. Nichts! Ich hatte nach all den Monaten ganz normal reagiert, nicht sauer, nicht enttäuscht, hatte ganz normal geschrieben und dann versetzte er mich. Erneut! Aber andererseits konnte das doch irgendwo nicht sein. Vielleicht machte er das mit Absicht, um mich dazu bewegen, Schluss zu machen. Das wäre allerdings auch dumm. Vielleicht hatte er ja eine Neue. Vielleicht war ich ihm nicht genug. Aber was hätte ich denn bitte machen sollen? Ich konnte ja nichts für ihn tun! Ich wollte schreiend weglaufen. Vor ihm (yup, tiefster Sarkasmus), vor mir, vor allem. Ich bekam wieder diese irrationale Angst bei banalen Dingen, ich schlief wieder schlechter. Kurzum: Es ging schon wieder bergab mit meiner Psyche.
Ich dachte hin und wieder daran, wie er mich das erste Mal in seine Arme gezogen hat, wie er mich berührte, wie er mich das erste Mal küsste, wie wir das erste Mal Hand in Hand gingen, wie er mich das erste Mal auszog, wie wir das erste Mal miteinander schliefen, wie wir das erste Mal nebeneinander aufwachten, wie wir uns zum ersten Mal für so lange Zeit verabschieden mussten, wie wir uns wiedersahen, wie er mich draußen auszog, wie er lachte, als ich mich so sehr erschreckte, wie er mich unter den Sternen umarmte, wie er im Auto meine Hand nahm, wie wir am Bahnhof standen, wie ich weinte, wie er ging, wie ich litt.
Mir fiel auf, dass ich in einem Buch noch ein Lesezeichen hatte, welches ich schließlich allein fertig gelesen hatte, da Luke den verbalen Kontakt so minimierte. Letztlich konnte ich es ihm nicht übel nehmen. Ich war nichts, ich konnte nichts, ich hatte kein Aussehen, auf das man stolz sein konnte, keine Intelligenz, keine Hobbies, keine Talente, war weder besonders interessant noch wichtig. Hatte keine Prinzipien, an Vorsätze hielt ich mich nicht. Irgendwo nachvollziehbar, dass er keine Lust mehr auf mich hatte. Andererseits, was wusste er schon von mir? Manchmal fragte ich mich, ob er denn wirklich mich kannte. Es gab so vieles, dass er nicht wusste, einfach weil wir nie diese gemeinsame Zeit hatten, in der so etwas auffällt.
Einen Tag nach Weihnachten redeten wir und oh mein Gott. Der Anfang war nicht so super, aber der Rest. Oh mein Gott. Es fiel unter anderem die Frage, ob Februar nicht perfekt wäre, um mir Göttingen zu zeigen. Wie ich das meinen Eltern erklären sollte, wusste ich noch nicht. Aber der weitere Gesprächsverlauf endete beim Telefonsex. Ich konnte nicht fassen, dass wir das wirklich getan hatten. Nach Monaten des Ignorierens. Diese Nacht war so schön, ich konnte es nicht glauben. Es war, als hätte es diese leidvolle Zeit nie gegeben. Für den Moment war ich glücklich. Unendlich glücklich, dass es noch Hoffnung gab.
48 Stunden später machte er Schluss. Nach 262 Tagen, fast neun Monaten.
»Ich wollte es eigentlich schon vor zwei Tagen beenden.«
Stille; unendlich, unvergänglich.