3.
Trotz des überraschend tiefen Schlafs war ich kein bisschen ausgeschlafen, aber da ich Rob dummerweise versprochen hatte ihm mit seinem Video zu helfen, verbrachte ich fast die ganze Zeit mit schneiden und vergas sogar mich umzuziehen. Irgendwann am Abend schneite dann plötzlich Viktor herein und versuchte mich zum Feiern zu animieren. "Man Ju, du hockst hier doch schon die ganze Zeit im Schlafanzug herum, komm mit, Rob wird bestimmt nicht sauer wenn du ein paar Stunden später fertig wirst." "Kannst du nicht allein gehen, mit dir schütte ich mich eh nur zu und dann kann ich morgen wieder nich arbeiten." "Du müsstest dir mal zuhören!" er boxte mich in die Rippen. "Du bist verdammt nochmal 27! Geh raus und hab Spaß!" "Du bist dumm, na gut, aber du musst warten bis ich fertig bin." "Geht doch!" lachte er zufrieden. Also schlurfte ich ins Badezimmer, duschte schnell und zog mich an, dann fuhren wir mit einem Taxi in Kölns Partyviertel. Auf dem Weg dorthin erzählte ich ihm von dem Mädchen, oder besser berichtete ich ihm was passiert war, denn wirklich viel wusste ich ja nicht. Er grinste wieder nur und fragte:"Und warum warst du nicht mit ihr im Bett? Du bist doch sonst nicht so schüchtern!" "Sag mal geht´s noch? Ich hab ihr nur geholfen, sie war völlig dicht und betrunken, ich hätte sie doch da nicht einfach liegen lassen können!" "Ja Ja ganz unschuldig, aber wer weiß, vielleicht siehst du sie ja heute wieder und das Schicksal bringt euch zusammen." "Sag mal du bist doch jetzt schon besoffen oder?" "Nop, nur gut drauf und jetzt werd mal locker!" Wir gingen in einen unserer Stammclubs, den ich besonders mochte, weil dort auch in der VIPLounge immer was los war und man sich einfach mal gehen lassen konnte ohne gleich komplett abzustürzen. Natürlich erfüllte Viktor gleich mal sein Klischee und holte sich gleich einmaleinen Vodka während ich mich auf eines der roten Sofas fallen ließ und überlegte was ich trinken wollte. Die Musik war ok, riss mich aber nicht wirklich mit und es dauerte eine Weile und ein paar Gläser bis ich mich wirklich wohlfühlte. Dann konnte ich auch ausgelassener tanzen, die Arbeit vergessen und mich dem Bead hingeben. Es war richtig von Vic gewesen mich rauszuholen, auch wenn ich diese Lustlosigkeit trotz allem noch im Hinterkopf behielt. Die Menge heizte sich immer weiter auf und wurde schneller und das Licht flackerte nur noch. Auch mit der schlechten Beleuchtung bemerkte ich viele hübsche Mädchen, doch darauf hatte ich immer noch keine Lust, mit der Entspannung kamen aber auch die Erinnerung an sie wieder. Es war verrückt aber sie überfiel mich immer wen ich nictsanderes mehr im Kopf hatte, ich war sogar schon so von der Rolle, dass ich sie überall sah. Wie ein Schatten sah ich sie zwischen den Menschen auf der Tanzfläche hindurch, redete dann und wann mit irgendwelchen Typen in dunkleren Ecken, wobei es jedes mal so aussah als würde sie von Mann zu Mann springen und dabei mit jedem flirten. Es gefiel mir nicht wie sie sie anstarrten , was kein Wunder war da sie nur ein kurzes Kleid und Overnees trug. Je länger ich ihr unbemerkt zusah desto sicherer wurde ich mir, dass es sie wirklich um die gleiche junge Frau handelte. Ich verstand nicht wie sie sich einen Tag nach ihrem Absturz schon wieder in solchen Clubs herumtreiben und sich da mit zich verschiedenen Männern herumtreiben konnte. Als sie bei mir war hätte ich sie nie so eingeschätzt, und nicht gedacht dass sie so etwas nötig hatte. Einerseits musste ich mir eingestehen dass ich sie wirklich wieder treffen wollte, andererseits war ich enttäuscht. Ich brauchte so eine nicht, die nächsten Tag ein völlig anderer Mensch war. Verstehen konnte ich das nicht, weil sie gestern so nett war und nur so aussah wie jemand der aus Versehen mal zu viel getrunken hatte. Da das meiner Stimmung wieder einen Dämpfer verpasste, beschloss ich kurzerhand Vik zu suchen und ihm Bescheid zu sagen, dass ich gehen wollte, aber es war zu spät das Mädchen ließ von ihrem Gesprächspartner ab und kam auf mich zu:"Ähm..Hey." sagte sie leise. "Du auch hier?" "Ja ich auch, weil ich gestern nicht sturzbesoffen war." antwortete ich nur abweisend und wandte mich zum gehen. "Warte bitte! Was ist denn los, ich wollte nur noch mal Danke sagen, für alles." "Ich drehte mich abrupt um und fuhr sie vielleicht ein bisschen zu heftig an:"Wenn du dich wirklich bedanken wolltest, dann würdest du erst mal deinen Rausch ausschlafen anstatt dir schon wieder die Kante zu geben!" "Was? Das ist nicht deine Sache, ich kenne dich nicht, du kannst mir gar nichts sagen!" "Tut mir leid wenn ich mir Sorgen machen wenn ein junges Mädchen sich regelmäßig zuschüttet wie sonst noch was." "Hör zu." sie sah mich ganz offen an:"Ich bin dir wirklich etwas schuldig, aber schau ich hab heut noch nichts getrunken, alles ist gut, gestern war nur ein Ausrutscher." Ob ich ihr glauben konnte wusste ich nicht, es war ohnehin schon zu spät, denn ich sah nur noch ihren Rücken wie er in der Menge unterging…und wie aus ihrem Rocksaum eine winzige Tüte mit kleinen Pillen fiel. Alarmiert und erschreckt hob ich sie schnell auf und rannte der hinterher, die mir noch immer nicht verraten hatte wie sie hieß.
Beim Rausgehen traten mir Tränen in die Augen, Ju war wütend auf mich und das zu Recht, das konnte ich ihm nicht verübeln. Ich würde ihn nie wiedersehen und das war allein die Schuld meines beschissen verkorksten Leben. Wäre nur alles anders, könnte ich nur mit Ju einem völlig normalen Abend und eine ganz normale Nacht verbringen, würde ich doch nur nicht immer vor etwas weglaufen oder von etwas gejagt werden. Draußen auf der Straße brach ich wieder fast zusammen, aber nicht weil ich physisch sondern psychisch am Ende war. Ich hatte wirklich geglaubt, dass ich das alles verkraften und irgendwann Stück für Stück wieder auf beide Beine kommen konnte, aber ich hielt es nicht länger aus. Ju war in mein Leben geplatzt und hatte es mit wenigen unbedeutenden Wörtern komplett umgeworfen. Plötzlich spürte ich auf meiner Schulter eine Hand und ich wusste sofort dass es Ju war, noch bevor er mich herum riss und ich in sein entsetztes Gesicht sah. "Was soll das jetzt schon wieder?" schrie er mich an und hielt mir eines von Lucks Tütchen unter die Nase. Erschrocken riss ich es ihm weg und verbarg es in meinen Händen. "Bist du verrückt damit so offen herum zu wedeln? Was wenn dich jemand sieht?" "Also ist das deines? Bist du ein Dealer oder was?" Es tat mir unglaublich weh, dass Ju so enttäuscht und angewidert von mir war, und das auch offen zeigte. "Nein was denkst du von mir? Du verstehst das nicht!" versuchte ich mich noch zu verteidigen, aber er schnitt mir das Wort ab:"Keine Ahnung was sollte ich denn von dir denken? Am Anfang dachte ich nämlich, dass ich dich gern nochmal treffen würde, aber jetzt will ich auch gar nicht mehr verstehen in was du da drin hängst!" Ohne es zu wollen fing ich an zu weinen:"Bitte sag das nicht, Ju bitte. Ob du mir glaubst oder nicht, du bist der einzige Mensch, vor dem ich noch ein bisschen Selbstachtung habe. Ich will dich Nirgens hinein ziehen, nur dass du mich nicht verurteilst." Jus Ausdruck wurde wieder neutral, nicht mehr, nicht weniger. "Aber kannst du mir das verübeln? Was hast du mit diesen Tabletten zu tun und verdammt nochmal wie heißt du überhaupt?" Er sah traurig aus, aber musste bei seiner letzten Frage trotzdem lächeln. Er konnte das, einfach wieder froh sein, egal wie klein der Grund war, selbst in seinen Videos spürte man das. Doch er konnte auch die Bullen rufen, er war zwar jung und ein wenig draufgängerisch und hatte vielleicht auch schon mal etwas Illegales getan, aber er war bestimmt noch nie mit meinem Leben in Berührung gekommen, wahrscheinlich wusste er noch nicht einmal davon. Das letzte was ich wollte war ein Heim oder gar Gefängnis, lieber in Freiheit zu Grunde gehen als gefangen. "Julien ich kann dir nicht vertrauen, es geht nicht. Und wenn ich dir meinen Namen nicht sage, kannst du das der Polizei auch nicht." "Aber das ist doch Schwachsinn! Du tust ja gerade so als wärst du eine Massenmörderin." "Mh, so schlimm ist es nicht, aber ich bin 18 und so voll strafmündig." "Gut…denkst du ich hab nichts besseres zu tun als gleich zur nächsten Wache zu rennen? Solange du keine Mafia leitest, sehe ich keinen Grund, man macht nun mal Fehler. Wichtig ist davon wieder weg zu kommen." "Das weiß ich. Aber das funktioniert nicht. Ich habe nichts, rein gar nichts. Klar ist es nicht gut, aber es gibt Schlimmeres, wenigstens kann ich mir das Nötigste leisten. Es geht mir gut, ich kann für mich selbst sorgen." "Egal wie oft du mir das erzählst ich glaube dir nicht. Du spielst deine Rolle gut, aber in jedem abwesenden Moment fällt sie ab. Jemand wie du sollte glücklich sein!" "Was heißt hier jemand wie ich?" "Jemand der das alles nicht verdient hat. Du könntest so viel mehr sein." "Ach versteh doch, ja es ist auch nicht gut, aber es ist ok für mich." ich musste endlich hier weg, bevor ich ihm alles vorheulte. "Für mich ist es das nicht. Du hast das nicht verdient und ich sehe nicht ein dass du mich später vergisst und so weiterlebst." Seine Worte schnitten mir ins Fleisch, heilten wieder und rissen erneut alles auf. "Ich werde dich nicht vergessen, nie. Aber ich habe die Hoffnung verloren, ich war in einer betreuten Wohngruppe und bis sofort abgehauen als ich volljährig war, im Gegensatz dazu ist mir alles recht." "Hörst du dir eigentlich selbst zu?! Niemand sollte so denken. Es gibt immer eine Lösung, einen neuen Weg." "Ju bitte. Ich will nicht mit dir diskutieren. Es ist das Beste, wenn du mich wieder in Ruhe lässt." "Nein das werd ich nicht." "Was heißt hier nein? Ich geh jetzt., ;Komm mit mir mit." "Was?" "Komm mit. Oder hast du ein Bett?" Über die Nacht hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht, ich dachte wirklich nur noch von Stunde zu Stunde. "Nein aber," "Na also, dann lass uns gehen, Joon ist immer noch weg und ich kann dir frisches Bettzeug geben." Jetzt wirkte er wieder tiefenentspannt und griff nach meiner Hand. Sie war warm und stark und ich hielt mich an ihr fest. Innerlich war ich unglaublich froh, dass er mich mitnahm und ich ein gescheites Dach über dem Kopf hatte. Bis wir endlich bei ihm zuhause waren, redeten wir nicht viel und er stellte mir auch keine weiteren Fragen, was ich sehr schätzte.