Prolog: Auf den Wellen der Freiheit
Die Mondsee bildet von jeher einen großen, weißen Flecken auf den Landkarten Kalynors. Das Meer liegt am Rande der erforschten Welt, niemand weiß, ob das, was man auf den Karten sieht, der größte Teil eines Sees oder nur die schmale Spitze eines Ozeans ist.
Dieses wilde, unberührte Gewässer mit seinen von Fjorden und Klippen geprägtem Uferbild ist ein Mysterium. Die Piraten der Mondsee sind die Könige dieses Landes. Nur selten erlauben sie Fremden, auf ihren Schiffen zu fahren, und jene, die versuchen, auf eine Faust zu segeln, kehren noch seltener zurück. Selbst die Piraten kennen nicht alle Geheimnisse, doch bei jedem Landgang bringen sie Geschichten größerer Monster, größerer Unglücke, größerer Gefahren mit sich. Selbst wenn es Seemannsgarn ist und nur ein Bruchteil davon stimmt, so ist die Mondsee ein Ort von unvorstellbaren Schrecken und wildester Schönheit.
Im Herzen der See liegt eine Insel, die geformt ist wie ein Sichelmond. Sie liegt am äußersten Rand der Welt, kaum einer ist in die Gewässer jenseits der Insel gefahren, keiner zurückgekehrt.
Auf der Silberinsel lebt Mauvenne, die Königin der Piraten, ihre gerechte, wilde, gefährliche Herrscherin. Es heißt, die See selbst sei ihre Mutter und dass Mauvenne ewig leben kann – doch diese Geschichten stammen von den Piraten, denn niemand außer ihnen hat Mauvenne je erblickt. Doch ist es offenkundig, dass alle Piraten vor ihrer Herrin gekniet haben und dass diese ihnen erst das Recht verleiht, sich Piraten und Seefahrer zu nennen.
Von allen Jenseitslanden ist die Mondsee eines der am wenigsten fremde, denn ihr größter Hafen liegt in Kaltmoor, einer Grenzstadt von Kalynor. Die Piraten gehen in der Stadt der Diebe und Bettler ein und aus, auch an den Ufern der See sind sie häufige Gäste, wenn sie auch nicht immer in guter Absicht kommen. Sie rauben Fischerstöchter oder tauschen teuren Schmuck gegen ein wenig Brot. Für viele Bewohner von Kalynor sind die Piraten sehr, sehr viel realer als Dunkelelfen oder Orks.
Trotzdem umweht ein Hauch von Geheimnis diese unerforschte Wildnis. Was liegt jenseits der Mondsee, welche Kreaturen verbergen sich in der azurblauen Tiefe? Was für Wunder mögen die irren Augen eines Piraten erblickt haben? Und wie mag es sein, Tage und Wochen auf einem Schiff zu reisen, umringt von nichts weiter als Wellen und Horizont?
So mancher Knirps träumt wohl von einem Leben als Pirat, nicht ahnend, dass die Piraten der Mondsee ebensolche Fabelwesen sind wie alle anderen Jenseitsvölker – sie sind keine Menschen.