"Michael, es tut mir leid, aber Ines hat ein Problem mit Frau Montar." Resigniert gab Selina mir das Handy und ich ließ mir von Ines eine genaue Schilderung des Vorfalles geben. Ich zweifelte keinen Moment an Ines' Version und sagte ihr, dass sie völlig korrekt gehandelt hätte. Sie versicherte mir, dass Dr. Glimpf ihre Aussage bezeugen könne. "Ines, du brauchst für mich keinen Zeugen! Ich glaube dir jedes Wort. Du hattest auch völlig recht, ihren Behandlungsplatz für einen anderen Bedürftigen einzufordern. Das Problem ist, dass die Zeitungen das anders interpretieren werden. Aber das soll nicht deine Sorge sein! Du hast korrekt gehandelt, genauso, wie Selina oder ich entschieden hätten. Wenn sie nicht unterschreibt, wird sie nicht behandelt. Punkt! Du bist deshalb Selinas Vertretung, weil du dich traust, Verantwortung zu übernehmen und weil du zu hundert Prozent vertrauenswürdig bist! Wir beide stehen voll und ganz hinter dir. Du brauchst dir von dieser Sozialschmarotzerin nichts gefallen zu lassen. Du kannst ihr sagen, ich hätte dich aufgefordert, den Therapieplatz für einen dringenden Fall sofort frei zu machen. Den dringenden Fall kannst du nach deinem Gutdünken aussuchen. Schreib den Vorfall in den Tagesbericht und lass den Hergang von Dr. Glimpf schriftlich bestätigen. Wenn alles dokumentiert ist, haben wir später keine Probleme die Wahrheit zu beweisen, auch wenn der Schaden nicht mehr ganz du beseitigen ist!" - "Danke , Michael! Es tut mir leid, ich konnte nicht anders verfahren!" - "Das weiß ich, Ines! An deinem Verhalten gibt es nichts auszusetzen. Du hast uns absolut richtig vertreten. Wir sind sehr froh, das du unsere Interessen wahrst. Es ist alles ok. Lass dich nicht beirren in deiner Autorität. Deiner Anordnung ist Folge zu leisten! Sei so lieb und sag Bertl, er soll mit Gerd reden wegen der Sache! Wenn sie natürlich zu einer anderen Zeitung geht, werden wir nach dem Rufmord einen Widerruf erwirken. Und jetzt mach dir nichts mehr draus, wir verlassen uns weiterhin auf dich!"
Ines war ein Stein vom Herzen gefallen, aber es war nun mal so. Ich hatte nicht den geringsten Grund, sie zu kritisieren. Sie hatte sich genauso verhalten, wie ich das auch getan hätte. Dass jetzt was auf uns zukam, war mir klar. Im Hinterkopf aber sagte ich mir, dass das noch nicht alles sein würde! Da gab es noch mehr, was sich gegen uns zusammenbraute. Aber ich möchte den Dingen nicht vorgreifen. Ich erzählte Selina alles und sie pflichtete mir bei. Allerdings war zu erwarten, was morgen in der Zeitung stehen würde! Und es kam auch so, wie befürchtet. Ein Aufschrei ging durch die Medien, dass Michael Montars Mutter aus dessen Klinik geworfen worden war, ohne dass er sich die Zeit genommen hätte, sie persönlich abzuweisen. Er hatte sie von einer Vertretung hinauswerfen lassen. "Hinter der Maske des Menschenfreundes verbirgt sich die Fratze eines Ungeheuers!" Hieß es im Text eines Blattes und: "Undankbarer Sohn wird durch Heirat mit Bücker-Tochter Millionär und lässt seine krebskranke Mutter im Stich!"
"Mach dir nix draus, Michi, de kauf i mir, die Schmierfinken da!" meinte Bertl am Telefon. Selina fragte mich, ob ich den Urlaub abrechen wolle, doch ich verneinte. Nach der stationären Aufnahme von Renate Montar nicht heim zu fahren, nach dem (ich hasse dieses neu-moderne Wort) Shitstorm aber doch, hätte unglaubwürdig gewirkt. Meine sprichwörtlich weiße Weste als Stiftungsleiter, beziehungsweise Klinikleiter war bereits besudelt. Ich ließ mich davon nicht aus der Reseve locken. Ich würde nach dem Urlaub Stellung nehmen. Selina wunderte sich im ersten Moment, hörte sich meine Begründung an und meinte: "Du entscheidest, ich stehe hinter dir! Das war der Deal! Und es hat sich noch immer gezeigt, dass deine Entscheidungen die weisesten sind, Liebling!"