Die neue Kleidung war ungewohnt. Dazu kam die Frisur - irgendwie hatte Nadja es geschafft, Phoebes kurze Haare zu flechten, bis man den ungeschickten Haarschnitt nicht mehr bemerkte. Während Nadja sich ebenfalls umzog, beobachtete Phoebe ihr Spiegelbild im Brunnenwasser. Sie war ein anderer Mensch. Sie wirkte erwachsen, und überhaupt nicht wie eine Ausreißerin. Vielleicht lag es nur an der Schminke, die Nadja ihr gegeben hatte.
Nadja trug ein dunkelrotes Kleid, das an den Herbst erinnerte, hatte die langen Locken zu einer Turmfrisur aufgeschichtet und eine kleine Handtasche um den Arm hängen. Phoebe musterte das Gesicht, das ihr immer noch vertraut vorkam. Wo hatte sie es nur schon gesehen?
Nadjas große Tasche, in der sich außer Kleidung noch eine riesige Plastiktüte befand, versteckten sie sorgfältig im Wald. Dann gingen sie essen. Sie nahmen ein Buffet, und Phoebe merkte erst hier, wie hungrig sie wirklich war. Nachdem Nadja im Voraus gezahlt hatte, aß sie so viel, wie nur irgendwie in ihren Magen passte. Dazu bestellte Nadja einen Wein für sich, und für Phoebe einen Saft. Es war erstaunlich, wie viel das Essen und die Wärme bewirken konnten. Phoebe wurde völlig entspannt - nachdem sie sich sicher war, dass keine Polizisten in dem kleinen Restaurant lauerten.
Auch, als sie fertig waren, saßen sie vor ihren leeren Tellern und redeten.
"Gitarre? Das ist cool!", sagte Nadja gerade, nachdem Phoebe ihr von ihrem Hobby erzählt hatte: "Das könnte mir sogar nützlich werden."
"Wenn ich eine Gitarre hätte", meinte Phoebe achselzuckend: "Ich würde mich einfach irgendwohin setzen und spielen."
"Ein frommer Wunsch. Soll ich dir eine Gitarre kaufen?"
"Was?!", entfuhr es Phoebe: "Woher hast du so viel Geld?"
Nadja schwieg und schob ihren Teller von sich, um dem Kellner zu signalisieren, dass sie fertig waren. Während er abräumte, schwiegen sie, dann gingen sie Seite an Seite hinaus.
"Es würde mich natürlich auch freuen, wenn du mit mir kommst. Ich vermisste gute Unterhaltung, und du könntest eine Freundin gebrauchen."
Phoebe sah die Frau an, dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: "Jetzt weiß ich es!"
"Was?", fragte Nadja verwirrt.
"Ich weiß, woher ich dein Gesicht kenne!"