Schliesslich sahen die Reisenden die ersten Behausungen der Awrighas vor sich auftauchen. Sie waren aus Stroh, Holz und Lehm gefertigt und lagen direkt an einem weissen Meeresstrand. Einige der Häuser befanden sich sogar auf Stelzen und reichten bis hinein ins Wasser. Dieses war voll mit zahllosen Fischen. Einige davon waren beträchtlich gross. Von so einem grossen Fisch, hatte das ganze Dorf etwas. Hanael spürte erneut Widerstand in sich, wenn er sich vorstellte, dass diese wunderschönen, mächtigen Meeresbewohner, von Dinaels Volk gefangen und dann verspeist wurden. Es war ihnen so eine wundervolle Schöpfung gegeben worden und diese war bestimmt nicht für so etwas gedacht. «Die göttlichen Eltern meinen es gut mit uns, dank den reichen Schätzen aus unserer treuen Mutter dem Meer, müssen wir kaum mehr Hunger leiden.» sprach Dinael. «Schön für euch,» meinte Hanael mit einem leicht sarkastischen Unterton in der Stimme. «Ich weiss, ihr versteht unsere Bräuche nicht, aber das muss auch nicht sein. Wir leben sonst in Frieden miteinander und bekommen jeden Tag so viel vom Göttlichen geschenkt. Wir sehen alles was uns widerfährt als Geschenk an. Entweder man wächst daran, oder man kann es schlicht geniessen. So sollte das Leben doch sein, nicht wahr?» Hanael antwortete nicht, auch wenn Dinael sicher wahre Worte sprach. Er ärgerte sich noch immer über die, beinahe barbarisch anmutenden Sitten, hier.
Hanania kam zu ihm und legte beschwichtigend ihre Hand in seine. «Wir sollten nicht mit Dinael streiten!» schienen ihre Augen zu sagen. Hanaels Blick huschte zu den beiden Ibrani- Frauen herüber. Diese waren es sich auch nicht gewohnt andere Lebewesen zu verspeisen. Doch auch wenn sie die Sitten der Awrighas erschrecken mochten, liessen sie es sich nicht anmerken. Besonders Ashalia blieb stets freundlich und unterhielt sich immer mal wieder mit Dinael. «Ihr habt hier schöne Häuser. So leicht und doch scheinen sie erstaunlich stabil gebaut zu sein! Ein ganz eigener Baustil, den ich bisher noch nie gesehen habe. Wir lebten immer in Gebäuden aus Stein. «Stein ist uns zu schwer und zu unbeweglich,» erwiderter der junge Awrigha. «Ich liebe es, wenn der Wind durch das Stroh streift und es sanft in Schwingung versetzt. Es ist die Musik der weiten Steppen, des endlosen Graslandes. Auch sein Geruch erinnert mich daran. Jedes Haus hat ein Grundgerüst aus Holz, um es zu stabilisieren. Das Innere ist mit Lehm ausgekleidet. Das verbindet uns mit der grossen Mutter Eden!» «Mutter Eden, das klingt schön!» meinte Ashalia. «Die Awrighas scheinen tief verbunden mit den Elementen zu sein.» «Ja, das sind wir.» Dinaels Miene hellte sich auf. «Schön, dass du das erkennst.» Sein Blick wanderte kurz und etwas vorwurfsvoll, zu Hanael herüber. Doch dieser musterte gerade eingehend eins der grösseren Strohhäuser. Tatsächlich wurde dieses durch einen Art Holzrahmen stabilisiert. Zwei Treppenstufen, führten zum Eingang, der verschlossen war, mit einer leichten Tür, die ebenfalls aus Stroh und einem Holzgerüst bestand. Ein Art Giebeldach, aus denselben Materialien, jedoch noch zusätzlich verstärkt mit Palmblättern, bedeckte das Ganze. An den Stirnseiten des Daches, ragte eine dekorative Holzspitze empor, die ebenso mit Stroh umwickelt war.
«Ich würde euch gerne in mein Haus einladen!» rief Dinael. «Dort drüben ist es. Sie kamen zu einem auf Stelzen angelegten Haus, zu dessen Eingang man über eine breite Leiter gelangte. Die Wände waren aus kunstvoll verwebten Strohmatten und es hatte zwei Stockwerke. «Nicht schlecht!» staunte Hanael. «Hier also lebst du?» «Ja, kommt doch rein. Es ist sehr gemütlich.» Sie traten in einen einfach eingerichteten Innenraum, der mit Lehm verkleidet und mit einer Art weissem Mörtel, überdeckt war. Ein grosses Bett mit bunten Tüchern darauf, vier Stühle und ein massiver Holztisch befanden sich darin. Dinael sprach: «Willkommen in meinem bescheidenen Heim! Fühlt euch ganz wie zu Hause!»
Das Reich der Awrighas ist wahrlich wunderschön und nach dem ersten Schock, mit den jagenden Löwen, beginne ich meine Anwesenheit hier sogar richtig zu geniessen. Schon so lange habe ich das Meer nicht mehr gesehen. Erst jetzt nach so langer Zeit, begreife ich, was mir wirklich entgangen ist. Die Zeit in Dinaels Heim, ist wirklich herrlich und sehr gemütlich. Die Awrighas erwiesen sich als sehr gastfreundlich und machen meist einen fröhlichen Eindruck. Jeden Morgen weckt uns das sanfte Rauschen der Wellen und die Sonne geht in wundervollen Schattierungen, von rosa und golden, über den glitzernden Wassern auf. Hanania und ich unternehmen ausgedehnte Spaziergänge, der Küste entlang und werden vom wilden Zauber dieser Landschaft, mehr und mehr in den Bann geschlagen. Das Leben hier, ist jedoch nicht immer einfach und viele Awrighas leiden, wenn auch meist still, an einigen körperlichen Mangelerscheinungen und einer Menge Gemütserkrankungen.
Dies kompensieren sie dadurch, dass sie eine Menge Feste feierten, wann immer ihre Männer, besonders erfolgreich von einer Jagd, oder einem Fischzug zurückkehren. Viele Beeren und Früchte gibt es hier leider nicht und so bestehen die Mahlzeiten, oft vorwiegend, aus Fleisch und Meeresfrüchten. Alles wird allerdings immer brüderlich unter allen Angehörigen des Dorfes verteilt und auch wenn ich mich anfangs über die, für uns ungewohnten, Essensbräuche der Awrighas entsetzt hatte, so wird mir mit jedem Tag, da ich hier bin klar, dass dieses Volk einen erstaunlichen Zusammenhalt besitzt. Dies berührte mich zutiefst und ich kann sonst wirklich keine Worte des Tadels, über ihre Lebensweise, finden. Mein Aufenthalt hier, steht im angenehmen Kontrast, zu meinem Aufenthalt im Reiche der Ibranis, wo es doch einiges mehr zu bemängeln gegeben hatte. Das war jedoch auch Anauels Schuld gewesen, der sich über seine Brüdern uns Schwestern, auf schändliche Weise, erhoben und uns sogar noch angelogen hatte, was Ashalias Geschichte betraf. Hier jedoch, gibt es niemanden, der sich über den anderen erhebt.
Wie erwähnt, veranstalten die Awrighas gerne Feste. Auf diesen Festen, wird dann ausgelassen gefeiert und sehr viel getanzt. Dinaels Volk besitzt ein unglaubliches Körpergefühl. Sie können wunderbar tanzen und auch sehr schön dazu singen. Trommeln werden geschlagen, die weite ins Land schallen und die Frauen und Männer, bewegen sich zum Takte der Musik, als ob sie eins mit ihr wären. Sie kleiden sich in bunte Gewänder, aus glänzenden Stoffen und da es sehr viele Edelmetalle und Edelsteine in der Gegend gibt, tragen sie dazu auch wundervollen Schmuck, den sie oftmals mit verschiedenfarbigen Steinen besetzten.
Im Reich der hohen Himmel, waren die Awrighas schon sehr geschickte Kleider- und Schmuckhersteller gewesen. Aber dort hatte es noch viel mehr an Vielfalt gegeben, als hier und jeder Stein, jedes Metall, dass verarbeitet worden war, war zuerst jeweils gefragt worden, ob es überhaupt jene Form annehmen wolle, welche einem vorschwebt. Alles war dort sichtbar beseelt gewesen, hatte von innen heraus hell geleuchtet und jedes Geistwesen, suchte sich die Materialien, für seine Gewandung und seinen Schmuck, stets selbst aus. War das getan, wurden die Geister der Materialien auch noch um Erlaubnis gefragt und schliesslich, wenn alle Beteiligten einverstanden waren, begann man mit der Herstellung, des gewünschten Gegenstandes. Ich kann sehr gut verstehen, dass die Awrighas sehr leiden, weil sie hier in Eden so eingeschränkt, in ihrer Schaffenskraft sind. Damit haben wir Gefallenen alle zu kämpfen und ein jeder wird auf seine ganz eigene Art damit fertig.