Als Hanania mir erzählt, was Dinael letzte Nacht widerfahren ist, bin ich schon etwas besorgt. Zwar spielen die ganzen Gegebenheiten hier, dem Geist, schon ab und zu einen Streich. Auch ich habe schon mal geglaubt Stimmen zu hören. Doch das waren nur Ausgeburten meiner Fantasie, davon bin ich überzeugt. Das Dinael Dinaila gehört hat, macht ja auch Sinn. Immerhin war sie einst seine Partnerin und er vermisst sie noch immer sehr und hofft, dass sie irgendwann wieder zu ihm zurückkehrt. Aber das Licht, dass er da gesehen hat, erscheint mir schon seltsam. Wir müssen deshalb dieser Sache näher auf den Grund gehen und machen und deshalb ziemlich bald, mit unseren Paradisi auf das restliche Stück Weg, zu den Pfeilern. Der Nebel scheint am Tag, etwas aufzulockern, manchmal durchdringen sogar ein paar kleine Sonnenstrahlen, seine dichte Kühle. Es ist dann als würden goldene Strahlenbänder vom Himmel, zu uns hinab leuchten. Hanania und ich kennen uns zum Glück immer noch ziemlich gut hier aus. Wir wissen, dass man stets dem kleinen Pfad folgen muss, der sich durch das anfangs morastige Gebiet schlängelt. Neben diesem Pfad taucht auch schon bald ein glitzernder Flusslauf auf. Es ist einer der fünf grossen Flüsse, welche alle bei den Pfeilern des Lichts zusammenfliessen. Wir fliegen absichtlich niedrig genug, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er ist unsere beste Orientierungshilfe.
Doch auf einmal zucken wir zusammen. Wir hören auf einmal Stimmen, die nach uns rufen, oder zumindest nach einigen von uns: «Dinael, Ashalia, Haialah, Ambriel! Bitte kommt zu uns, ihr fehlt uns!» Alle schauen sich entsetzt an. «Was um alles in der Welt ist das?» ruft Haialah eschrocken und zugleich wütend. «Sind das irgendwelche Trugbilder, die uns vom richtigen Weg abbringen wollen?» «Das könnte gut sein,» pflichtet Ambriel bei. Er ist auf einmal wieder totenblass geworden. «Ich habe die Stimme meines einstigen Duals erkannt. Es war Ambriala.» «Ich hörte Ashali ebenfalls!» spricht die junge Ibrani Ashalia. «Und ich Haiali,» pflichtet Haialah bei.
Wir alle haben die flehenden Rufe vernommen und ich überlege mir, ob wir landen sollen, als auf einmal mehrere Gestalten unter uns auftauchten, die uns, ihre Arme flehend erhoben, dazu auffordern, zu landen. Doch ich weiss nicht, ob das wirklich so klug ist. Ich bin irgendwie, wie paralysiert und erst Dinaels Stimme, reisst mich in die Realität zurück. «Wir müssen landen, da unten sind wirklich unsere verlorenen Dualpartner.» «Aber das kann auch Einbildung sein!» gebe ich zu bedenken. «Ich weiss ausserdem nicht, ob wir ihnen vertrauen können.» «Wir müssen es dennoch versuchen!» ruft Dinael. «Sollten sie es wirklich sein, dann wäre einer unserer grössten Wünsche, in Erfüllung gegangen.» Und ehe ich mich versehe, hat Dinael schon zur Landung angesetzt.
Ungläubig blickten die beiden Gruppen einander nun in die Augen. Die Neuankömmlinge schienen wirklich sehr real zu sein, genauso real wie Hanael und seine Begleiter. «Dinaila…?» flüsterte Dinael «Ich kann es nicht glauben. Bist… du es wirklich?» «Ja, ich bin es!» gab eine schöne, junge Frau, die dem Awrigha sehr ähnlich sah, zur Antwort. In ihren dunklen Augen glitzerten Tränen der Freude. «Aber… wie ist das möglich?» «Wir haben es geschafft, für eine begrenzte Zeit, in der näheren Umgebung der Pfeiler des Lichtes zu wandeln, denn wir wussten, dass ihr bald kommen würdet.» «Ihr wusstet das?» «Ja. Wir haben es gespürt. Du weisst doch, der dualistische Sinn.» «Aber… ihr wart alle in den finsteren Landen, wie konntet ihr diesen entrinnen?» «Das ist eine lange Geschichte, doch glaube mir mein Liebster, wir haben dort drüben etwas Unglaubliches geschaffen. Ich werde dir alles erzählen…» Dinaila trat nun zu ihrem Liebsten heran und wollte ihn umarmen. Er jedoch nahm zuerst ihr Gesicht in beide Hände und schaute sie ganz genau an. Ihre Haut fühlte sich wunderbar warm an und er spürte ganz deutlich, dass hier tatsächlich seine Liebste in Fleisch und Blut, vor ihm stand. «Ich habe dich so unglaublich vermisst!» sprach er «Ich dich auch Geliebter!» Sie nahm nun seine Hände in ihre und küsste sie liebevoll. Und dann umarmten sich die beiden innig, erfüllt von unendlicher Dankbarkeit!
Es ist einfach unglaublich! Tatsächlich scheint es so, als hätten all die einsamen Dualseelen, wieder ihr Gegenstück gefunden. Sie lachen und weinen gleichzeitig, umarmten sich immer wieder und bestürmten sich gegenseitig mit Fragen. Als wieder etwas Ruhe eingekehrt ist, frage ich: « Eure Auftauchen überraschte uns alle wirklich sehr und ich wüsste schon gerne, was sich alles zugetragen hat. Ihr sagt, ihr hättet dort… drüben etwas Unglaubliches geschaffen? Worum handelt es dich dabei?» Ashali antwortet, während er liebevoll seinen Arm um Ashalia legt: «Es ist eine neue Daseinsform, eine Daseinsform, welche es uns ermöglicht hat, unsere weit um sich greifende Energielosigkeit, endlich in den Griff zu kriegen. Anfangs waren wir ohne jegliche Hoffnung, ohne Mut, fristeten unser Dasein in dieser einst finsteren, bedrückenden Welt, unserer eigenen Unzulänglichkeit. Wir wurden immer schwächer und schwächer, denn wir waren einfach zu sehr abgeschnitten vom göttlichen Licht und konnten so auch immer weniger, mit Lebensenergie aufgeladen werden. Dann begriffen wir, dass wir etwas tun mussten, wir mussten einen Weg finden, um diesem Elend zu entfliehen und so haben wir ein ganz eigenes, sich selbst erhaltendes System, erschaffen. Zwar blieben unsere Seelen, wie alles Seelen noch an das Göttliche angeschlossen, doch wir kreierten unsere eigene Schöpfung, wie wir es einst ja auch geplant hatten. Wir besassen immer noch das Wissen, über manche Gesetzmässigkeiten und auch die göttliche Urmaterie war uns in beschränktem Masse noch zugänglich. So passten wir dieses Wissen an unsere neue Umgebung an. Wir nutzen die Urmaterie, um Blaupausen einer neuen Welt zu erstellen. Diese basierte jedoch auf anderen Gesetzmässigkeiten, als die himmlische Welt. Schliesslich erfuhren wir, dass auch ihr auf der Suche nach einem neuen Leben seid und so wollten wir euch unbedingt kontaktieren. Das ging jedoch nur in dieser Umgebung. Hier ist die Grenze zwischen Eden und unserer Schöpfung bereits sehr dünn geworden und so ist es uns möglich herzukommen, jedoch nur für eine begrenzte Zeit. Die Pfeiler des Lichts, sind die Pforte hinüber in unsere Welt. Darum sind wir gekommen, um euch abzuholen und euch, wenn ihr wollt, dort hinüber mitzunehmen.» Ich glaube kaum, was ich da höre. Diese Leute hatten es also tatsächlich geschafft, eine ganz neue Schöpfung zu kreieren! Einerseits bin ich voller Bewunderung, andererseits jedoch klingt das alles fast zu gut, um wahr zu sein. Irgendeinen Haken muss es doch haben. Auch wenn es ziemlich gut klingt. Ein System, dass sich selbst erhält und doch noch an das göttliche Licht angebunden ist, jedoch mit ganz eigenen Gesetzmässigkeiten. Ich schaue zu Hanania herüber. Sie strahlt über das ganze Gesicht und stellt eine Menge Fragen, zu der neuen Welt. Schliesslich wendet sie sich an mich: «Hanael ist das nicht einfach wundervoll! Wir könnten ein ganz neues Leben beginnen und wieder, wie die Tiere, Babys haben. Sie haben dort drüben schon viele Kinder auf die Welt gebracht, hast du das gehört?» «Ja schon aber…» «Was zögerst du noch?» «Sowas muss gut überlegt sein Hanania. Nach dem was ich da gehört habe, wäre das ein völlig anderes Leben.» «Aber ein besseres Leben!» dringt sie weiter auf mich ein. «Das kann man noch nicht sagen. Wir sollten uns Zeit nehmen, gründlich darüber nachzudenken.» «Da unsere Zeit hier begrenzt ist, solltet ihr euch wenn irgend möglich bis übermorgen entscheiden. Dann müssen wir zurück,» spricht Haiali. Die Entscheidung liegt bei euch, ob ihr uns begleiten wollt.» Ich nicke und spreche: «Nun gut, bis dahin werden wir es schon entschieden haben.» «Wir treffen uns dann, direkt bei den Pfeilern wieder. Sie sind gleich da vorne!» ruft Dinaila und kurz darauf lichtet sich der Nebel gänzlich und vor uns tauchen strahlend und wunderschön, die Pfeiler des Lichts auf!