10. Kapitel
Neue Freundschaft
Als ich ausser Sichtweite von Monicas Haus bin, erfasst mich auf einmal wieder diese Schwäche, die mich oft heimsucht, nachdem die Rachegöttin von mir Besitz ergriffen hat und einmal mehr, beginne ich mich vor diesem, in mir verborgen, finsteren Teil, zu fürchten. Ich lehne mich schwer atmend gegen eine Hauswand. Ich bin zwar froh und stolz, dass ich Monica helfen konnte, aber trotzdem kann das doch nicht so weiter gehen. Es kostet mich doch immer viel Kraft und dabei fühle ich mich so stark und unbesiegbar, wenn ich in diesem Zustand bin. Ich kann Dinge, die ich sonst nie könnte ich kann mich dort zur Wehr setzen, wo es mir früher unmöglich gewesen ist und jenen helfen die mir etwas bedeuten. Aber dass sich das so meiner Kontrolle entzieht, beunruhigt mich nach wie vor. Nachdenklich gehe ich nach Hause. Für heute ist es genug.
In der Nacht habe ich wieder so viele Alpträume, ich werde wieder in die Zeit zurückversetzt, als Amir mich so schrecklich misshandelt hat und ich ihm nichts hatte entgegensetzen können. Schweissgebadet erwache ich, in mir ist der Schmerz und der Schrecken, den ich im Traum erlebt habe, noch immer präsent, als wäre es gerade wirklich passiert. Ich zünde das Licht an und taste meinen Körper nach Wunden ab, doch da sind keine, es ist alles gut und mein Blick fällt auf die frischen Henna Tätowierungen auf meinen Oberarmen und Händen. Sie haben etwas Tröstliches und ich streichle mit den Fingern liebevoll darüber. Langsam beruhigt sich mein aufgewühlter Geist und ich erkenne, dass ich hier geborgen bin und mir keine Gefahr droht. Trotzdem, das alles hat noch viel zu viel Macht über mich. Ich liege wach und starre an die weiss verputzte Decke über mir. Wie schon so oft. Ich fühle mich sehr allein und ich habe das Gefühl, an all diesen traumatischen Ereignissen eines Tages zu ersticken. Sollte ich mir wirklich mal Hilfe suchen, so wie es die Frau in dem indischen Geschäft gesagt hat? Aber ich fühle mich wohl doch noch nicht dazu bereit mit jemandem darüber zu reden, schon gar nicht mit einem fremden Menschen, irgendeinem Psychiater oder so. Auch das was mir immer wieder passiert, wenn die Rachegöttin von mir Besitz ergreift, wage ich niemandem zu erzählen. Die würden mich gleich in die Psychiatrie einweisen und das kann ich nun wirklich nicht gebrauchen! So wird mir wohl nicht viel anderes übrigbleiben, als das mit mir selbst auszumachen und meine Kräfte so gut ich kann zu nutzen.
Vielleicht schaue ich Morgen mal wieder in der Bar vorbei, wo Monica arbeitet, diesmal aber als Gast, nicht als maskierte Unbekannte. Diese Gedanken trösten mich und schliesslich schlafe ich wieder ein.
Am nächsten Tag gehe ich ganz normal meiner Arbeit nach und mache mich dann am Abend wieder auf den Weg in die Purple Bar. Als ich ankomme, ist Monica jedoch nirgends zu sehen. Ich setze mich hin und schaue mich besorgt um. Wo ist sie bloss? Doch sogleich schelte ich mich selbst: Sie hat ja auch mal frei, bestimmt habe ich gerade einen ihrer freien Abende erwischt. So ein Mist! Ich bestelle bei der anderen Bardame, die auch bezaubernd, aber nicht annähernd so bezaubernd wie Monica ist, eine Pina Colada und lausche etwas gelangweilt der Musik. Ein Mann, ein wenig jünger als ich, schaut immer zu mir herüber. Ich habe mich extra hübsch gemacht, mit einem mitternachts-blauen, kurzen Kleid und eleganten, hohen Stiefeln. Allerdings war es nicht meine Absicht, irgendwelchen Männern zu gefallen sondern vor allem Monica.
Mit Schrecken stelle ich fest, dass der Mann nun zu mir rüberkommt. Oh nein! Das passt mir jetzt gerade gar nicht! Auch wenn er nicht übel aussieht und auch freundlich wirkt. Doch wie man ja weiss, kann der Schein oft trügen. «Hallo,» spricht er nun «dürfte ich ihnen einen Drink spendieren?» «Nein danke,» erwidere ich knapp. Er scheint etwas vor den Kopf geschlagen und meint: «Nun ja, ich dachte sie sind so alleine hier und…» «Darf eine Frau nicht auch mal alleine ausgehen,» erwidere ich zickiger, als ursprünglich beabsichtigt. Eine Anflug von Ärger, breitet sich auf dem Gesicht des Mannes aus. Ist ja klar, dass einer wie der eine Abfuhr nicht gut einstecken kann,» geht es mir gehässig durch den Kopf. «Sicher irgendein Kerl, der ein aussereheliches Abenteuer, oder so sucht. Oder einfach eine billige Sexgespielin. Sehe ich etwa wie eine solche aus?» In mir beginnt es wieder zu kochen. Ich schaute den Fremden wohl mit etwas gereiztem Gesicht an, denn er erwidert: «Nun gut, aber lassen sie mich ihnen trotzdem einen Drink spendieren, ohne Verpflichtungen natürlich…» «Verpflichtungen?» fahre ich ihn an «Seit wann muss mit einem spendierten Drink jeweils eine Verpflichtung einhergehen? Sparen sie sich das lieber! Ich stehe eh nicht auf Männer!» Die letzten Worte warf ich ihm an den Kopf, ohne es eigentlich zu wollen. Es sieht mich erschrocken an «Sie sind also eine…. eine Lesbe! Das konnte ich natürlich nicht wissen. Entschuldigen sie mich!» Mit hochrotem Gesicht geht er davon. Von jenem Moment an, vermeidet er tunlichst den Augenkontakt mit mir.
Irgendwie, habe ich die Nase voll, Monica ist eh nicht da. Ich will schon der anderen Bardame rufen, um zu bezahlen, als Monica jedoch auf einmal zur Tür hereingeeilt kommt. Sie wirkt aufgewühlt. «Tut mir leid, ich wurde aufgehalten,» erklärt sie ihrer Kollegin knapp. Diese flüstert ihr mit verständnisvoller Mine etwas zu. Monica schüttelt leicht den Kopf und nimmt ein Tablett, um mit der Arbeit zu beginnen. Als sie in meine Richtung kommt, sehe ich dass sie geweint haben muss. Ihre Augen sind irgendwie rot und geschwollen. Sie erkennt mich sogleich und ihre Mine hellt sich auf. «Sie waren doch die Frau, die mir gegen diese lästigen Typen geholfen hat.» «Ich erschrecke zu Tode, denn ich denke sie redet von gestern Nacht. Doch dann begreife ich, dass sie von den Ereignissen in der Bar redet, als einige junge Männer sie belästigt hatten und ich nicke. «Ja, das war ich, Milena ist mein Name.» «Genau ich erinnere mich!"
Monica vergewissert sich, dass alle anwesenden Gäste etwas zu trinken haben und setzte sich dann spontan zu mir. «Gerade ist mir noch etwas Erstaunliches passiert,» spricht sie mit gesenkter Stimme. «Irgendwie scheine ich einen guten Schutzengel zu haben. Denn letzte Nacht, wurde ich auf dem Heimweg von einigen andren Gästen belästigt. Eine unbekannte Frau, mit orientalischem Styling, einem schwarzen, langen Mantel und einer schwarzen Maske, eilte mir zur Hilfe, sie… erinnerte mich irgendwie an dich.» Wieder bricht kalter Schweiss aus meinen Poren und ich vergewissere mich, dass man die Tätowierungen an meinem Oberarm nicht sehen kann. Zum Glück hat das Kleid Dreiviertel-Ärmel. Doch die eine Tätowierung an der rechten Hand, bleibt Monica nicht verborgen. «Sie hatte auch eine Tätowierung, ähnlich wie du, leider sah ich es im Halbdunkel nicht so gut…» ich versuche aus ihrer Stimme heraus zu hören, ob sie etwas andeuten will, aber es gelingt mir nicht. So sage ich so unbekümmert wie möglich. «Solche Tätowierungen haben sicher noch einige andere Leute. Das ist ja jetzt in Mode.» «Ist das eigentlich Henna?» «Ja, es hat da ein indisches Geschäft in der Altstadt, dort kann man das machen lassen.» «Ich finde das sehr schön! Vielleicht lasse ich mir sowas auch mal machen.» «Es würde dir sicher gut stehen.» «Ich glaube jedoch nicht, dass mein Freund daran so grosse Freude hätte,» gibt Monica zu bedenken und es ist mir, als ramme mir jemand ein glühendes Messer ins Herz. Ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen und frage gepresst «Dein Freund?» «Ja, er ist ein wenig eigen in solchen Dingen. Er mag dieses Ethno Zeugs, wie er es nennt, nicht so. Er steht da eher auf klassisch- sexy, aber doch nicht allzu sexy, besonders, wenn ich allein unterwegs bin. Heute hatte ich einen Streit mit ihm, weil er fand mein Kleid für die Arbeit sei zu kurz und zu eng. Ich musste es dann wechseln, darum war ich auch etwas zu spät. Er hat mir eine Szene gemacht und wir hatten einen dummen Streit.» «Dabei hat er eigentlich gar nicht das Recht dir vorzuschreiben, was du tragen sollst.» «Ja, aber irgendwie verstehe ich ihn ja auch und du weisst ja, ich wurde schon öfters von Gästen belästigt. Vielleicht muss ich mal etwas an meinem Stil ändern. Erik sagt immer, dass ich mich nicht wundern müsse, wenn ich belästigt werde, wenn ich mich so anziehe…» «Das ist doch Blödsinn!» rufe ich aus «kein Mann hat das Recht eine Frau zu belästigen, egal wie sie sich anzieht!» Ich merke wie sich das wilder Tier der Wut, erneut durch meine Eingeweide wühlt und auf einmal erinnere ich mich einmal mehr an die schreckliche Zeit mit Amir. Auch er war sehr eifersüchtig gewesen und hatte immer gesagt, ich dürfe im Alltag nicht allzu sexy herumlaufen, weil es dann gut sein könne, dass ich von andren Männern als Freiwild betrachtet werde. Dieses miese, scheinheilige Schwein, dabei hat er mich ja mit der Zeit selbst an andere Männer verschachert. Allerdings ging es da ja ums Geld! Er suchte die Typen, mit denen ich schlafen sollte, auch immer für mich aus. Meist waren es keine mit denen ich jemals Sex gehabt hätte, ohne sein Dazutun. Solche Kerle, die ihre Frauen in einen goldenen Käfig halten, nur damit sie ja niemals ihre Flügel ausstrecken können und sie handkehrum aufs Übelste missbrauchen und ausnutzen, sind die Schlimmsten. «Erik scheint nicht gerade sehr nett zu sein,» sage ich. «Doch, doch!» ruft Monica schnell. «Er meint es ja nur gut. Er will mich schützen und eigentlich beweist ja seine Eifersucht auch, dass ich ihm wichtig bin!» «Das wage ich zu bezweifeln,» denke ich bei mir, sage es aber nicht laut, denn ich will Monica nicht zu sehr vor den Kopf stossen. Stattdessen spreche ich: «Sollte er dir jedenfalls mal richtig blöd kommen, dann ruf mich einfach an. Ich werde ihm dann einen Satz heisse Ohren verpassen!» Ich lache, um der Ernsthaftigkeit meiner Worte, etwas die Schwere zu nehmen und tatsächlich schmunzelt Monica auch. «Das ist nett von dir. Aber ich denke, das wird nicht nötig sein. Dennoch könnten wir uns ja auch so mal verabreden. Ich schulde dir noch etwas für deine Hilfe und wir könnten mal über das, oder jenes plaudern. So ganz unter Frauen, was meinst du?» Mein Herz macht einen freudigen Hüpfer, doch ich verberge meine Regung vor Monica, denn es scheint eh so, als hätte ich keine Chance bei ihr. Sie liebt diesen Erik und ist klar hetero. Ihre Erfahrungen mit Männern sind ja auch nicht so übel wie meine. Darum werde ich ihr jetzt einfach mal eine gute Freundin sein. So kann ich sie gleich im Auge behalten, falls sie in Schwierigkeiten gerät und bleibe auf dem Laufenden in Bezug auf Erik.
Leider kommt jetzt schon der nächste Gast und Monica muss sich um ihn kümmern. Ich schaue ihr nach. Diesmal trägt sie ein längeres, etwas weniger anliegendes, klassisch geschnittenes Kleid. «Das ist wohl das Kleid, dass ihr Erik vorgeschrieben hat!» denke ich, mit Groll erfüllt.