Es war so dunkel als wir eintraten, dass man meinte, kein Lichtstrahl würde je seinen Weg hierher finden. In dieser Finsternis war auf einmal alles schwarz. Weder Usongu, der eigentlich direkt vor mir stand, noch Bruno, noch sonst irgendwer von der kleinen Gruppe war zu sehen! Umso mehr beruhigte mich seine Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien, das sich um mich herum ausgebreitet hatte:
"Ist alles in Ordnung? Sind alle noch beisammen?" keuchte er erschöpft.
"Ja, Gott sei Dank haben wir an die Seile gedacht!" antwortete Riko völlig unbeeindruckt. Wir hatten vor unserem Eintritt sämtliche Taue zu einem langen Strick gebunden und uns daran festgemacht. Als erster in der Reihe verblieb Usongu, der schwere Brandverletztungen an Armen und Brustkorb erlitten hatte. Pedro musste ihn erst kopfschüttelnd verpflegen, bevor wir eintreten konnten. "Mal, mal, muy mal... Eso no son moratones! Tus brazos son casi rotos! Dios mio!..."
Während des gesamten Heilprozesses zeterte er so vor sich hin. Keiner verstand ihn, aber man konnte sich denken, dass er sich über die Unvorsichtigkeit seines Bosses aufregte...
Aber nicht er war der nächste am Seil hinterm Söldnerkönig, sondern Relkúag. Dann kam ich, die Pferde mussten zu ihrem eigenen und meinem Leidwesen vor dem Tor warten. Chase und Funny richteten es so ein, dass sie hinter mir angehängt wurden. Nachdem dann auch die Zwillinge, die Elfen und Zwerge am Tau hingen, kam als Letzter Bruno an die Leine. Der Catalane jedoch blieb bei den Pferden, worüber ich sehr froh war, denn ich sähe es nicht gern, wenn die Tiere ganz allein warten hätten müssen.
"Ich hoffe, ihr alle habt genug gelernt für diese Art von Gefahren...hier gibt es mehr als ein paar harmlose, besessene Pumas oder Bären,... Irrwichte, die sehr echt wirkende Illusionen schaffen können, sind hier nicht selten und auch anderes ekliges Getier wird euch hier auflauern.
Traut nie euren Augen in dieser Welt, traut ausschließlich eurer Intuition!
Wenn ihr das nicht tut, werden wir alle diese Mission nicht überleben..." Ernüchtert von Usongus Ansprache trabten wir im Gänsemarsch los. Bei Sonnenlicht wären wir lustig anzuschauen gewesen, aber hier in dieser finsteren Nacht wünschte man sich nichts sehnlicher, als einen kleinen Lichtblick.
"Ich glaube ich muss sterben." wisperte Funny. "Chase? Hie..hie..hier sind überall Schlangen..."
"Ganz ruhig Schatz, dass müssen die Irrwichte sein, es gibt keine Schlangen in dieser Welt. Halt dich einfach an mir fest. Du wirst sehen, keine von ihnen wird dich angreifen..." Im völligen Dunkel, dass um uns herum herrschte, tauchten plötzlich schreckliche Bilder auf. Doch es war wie Chase sagte, nur die Kunst der Irrwichte. Cenishenta stand vor mir und schleuderte mir die schlimmsten Worte entgegen. Sie beschimpfte mich und schrie, lieber werde sie sterben, als sich mit einem jämmerlichen kleinen Ritter einzulassen. Obwohl ich wusste, dass es Halluzinationen waren, schnürte sich meine Brust zusammen... Was wenn es wirklich so wäre? Chase ahnte vermutlich etwas, denn er packte mich von hinten an der Schulter:
"Wir sind bei dir, mein Freund, vergiss nie, dass du nicht alleine bist..." Von da an störte mich nicht mehr was das Trugbild mir entgegen warf, denn meine Aufmerksamkeit war auf etwas anderes gelenkt: 'Was sieht Chase eigentlich gerade?' Nun, nicht mehr allein auf mich fixiert, bemerkte ich, dass die Irrwichte nicht nur auf mich und Funny Auswirkungen zeigten.
Bruno brummte wütend vor sich hin, Karsten und Torsten schlugen mal hier mal dort durch die Luft und versuchten krampfhaft ihre eigenen "Geht weg!" und "Verschwindet!" Rufe zu unterdrücken, Emre und Eray dagegen weinten still vor sich hin murmelnd... "Ilona..." "Oriana...",
Marselion gab mitunter eines der bizarrsten Bilder ab: Er ging stur einen Schritt nach den anderen, aber so als müsse er sich selbst dazu zwingen. Auch er nuschelte Worte vor sich hin... "Es ist nicht echt... es ist nicht echt... es ist nicht echt! ES...IST...NICHT...ECHT!!!" Plötzlich drehte er durch und man hörte seine Axt durch die Luft zischen.
Elias, der hinter ihm ging, blieb angesichts der Situation erstaunlich ruhig und merkte lediglich gereizt an, der Zwerg solle doch bitte seine Waffen etwas zurückhaltender einsetzen, wenn er schon gegen eine Horde Mäuse kämpfen müsse. Beschämt grummelnd ging Marselion weiter... Außer durch diesen kleinen Zwischenfall war jedoch nichts von den Elben zu hören: Kein Schrei, keine schnellen Bewegungen, nicht einmal ein Seufzer. Anscheinend waren sie von den Angriffen der Irrwichte entweder verschont geblieben, oder es machte ihnen nichts aus. So kaltblütig wie sie ertrug das geistige Gemetzel nur noch Relkúag. Selbst der Boss musste sich selbst manchmal lautstark ermahnen, nur das Wirkliche zu erkennen. Unsere seltsame Aufstellung war also nicht ganz zufällig gewählt worden, sondern der Gaukler und die Elben ganz bewusst auf ihre Plätze gekommen. Der blinde Mann hatte in dieser Dimension einen riesigen Vorteil und plötzlich begriff ich seine Worte bei Romino.
"Haltet ein!" Rikos glockenhelle Stimme drang in unsere Ohren und erlöste uns für wenige Augenblicke von den Schrecken unserer Peiniger.
"Was ist los, Spitzohr?" polterte Marselion. Der Elb überging die Beleidigung.
"Relkáug, erinnerst du dich an den Weg zum Schloss der Nixen?"
"Aber natürlich, wenn wir uns nur ein Ziel vorstellen könnten..." brummelte der blinde Gaukler.
"Aber das können wir doch!" platzte Usongu heraus. "Flash, stell dir Cenishenta vor, so gut du kannst!" Überrascht so plötzlich angesprochen zu werden, verstand ich erst gar nicht worauf er hinaus wollte. Dann jedoch rastete es bei mir im Kopf ein und ich begann mir aus meinen Gefühlen und Erinnerungen zu der Fürstin ein klares Bild von ihr zu erschaffen. Die Finsternis um mich herum verging und ich sah mit meinem inneren Auge ein helles Licht sehr weit rechts gelegen.
"Wir sind in die falsche Richtung gelaufen." hörte ich mich selbst sagen... "Da lang..." und unversehens war ich es und nicht länger Relkúag, der uns führte. Der strahlenden Lichtquelle folgend stapften wir Momente unmessbarer Zeit durch die Dunkelheit. Mein Herz begann verzückt zu hüpfen, je näher wir der Helligkeit kamen und schlagartig wurde mir klar, dass dieses Licht nur eines bedeuten konnte... Sie lebt.