„Schön bist du hier!“ ertönte auf einmal eine wohlklingende Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um und vor ihr stand der wundervolle, strahlende Greif, der ihr schon so oft auf ihren Abenteuern beigestanden hatte! Er war riesig und mächtig, sein weissleuchtender Körper, wirkte irgendwie transparent und doch konnte sie nicht wirklich durch ihn hindurchsehen. Nur sein Herz sah sie in seiner Brust schlagen... einem wundervollen, roten Kleinod gleich, von welchem das Licht, dass das mächtige Mischwesen umhüllte, auszugehen schien. So war ihr ihr Helfer noch nie erschienen. Sie starrte auf das wundervolle Herz, welches regelmässig und kräftig schlug und der Greif sprach: „So stark und leuchtend ist auch dein Herz Lea. Du musst es nur erkennen lernen.“ Diese Worte weckten in Lea eine seltsame Wut, denn sie hatte im Augenblick ganz und gar nicht das Gefühl, dass ihr Herz so schön und stark war. Das sagte sie dem Greif auch.
„Du wirkst gerade ziemlich verbittert,“ stellte dieser fest. „Willst du darüber sprechen?“
„Ach lieber Greif…!“ seufzte die Frau. „Zurzeit läuft einfach alles schief und ich bin wirklich nicht sicher, ob ich überhaupt ein Herz habe. Es fühlt sich alles gerade so schwer an und es ist mir, als befinde sich dort, wo mein Herz sein sollte, nur noch ein kalter, harten Felsbrocken. Ich kann gerade kaum Liebe empfinden und bin irgendwie so zornig.“
„Vor allem zornig auf dich selbst! Du selbst bist es, welche du so wenig liebst und darum ist es dir so schwer ums Herz. Ich bin der Wächter deines Herzens und ich bin da, um dir beizustehen. Ich werde dich zu jemandem führen, der dir helfen wird.“
„Zu wem denn? Wo sind wir überhaupt?“ Doch Lea kannte eigentlich die Antwort bereits. „Wir sind in deiner Herz- Landschaft. Siehst du all die Steine die hier noch herumliegen! Das sind Lasten die noch immer auf deinem Herzen liegen. Irgendwann wirst du all diese Steine eliminieren lernen. Jedoch nicht heute. Ich bringe dich an einen andren Ort, liebe Lea. Steig auf meinen Rücken!“
Die Frau liess sich das nicht zweimal sagen. Es musste wunderbar sein, auf diesem mächtigen Wesen zu fliegen. So kletterte sie auf dessen Rücken und machte es sich zwischen den, wie Perlmutt schimmernden, Adlerschwingen bequem. Der Greif lächelte und erhob sich dann in die klare, warme Luft. Sie flogen über den Rand der Klippe hinweg, auf der sie sich befunden hatten und unter ihnen tauchte nun eine weite, wundervolle Landschaft auf, welche Lea irgendwie etwas an Kanada erinnerte. „Das hier ist deine ganze, innere Welt!“ erklärte ihr das Mischwesen. „Eine schöne Welt, findest du nicht auch? Es gibt hier so viel Wunderbares zu sehen. So viel an Reichtum und Herrlichkeit. Wenn du das nur endlich glauben würdest!“ Lea war tief berührt von diesen Worten und irgendwie hatte sie das Gefühl, ihr Herz wurde wieder ein wenig leichter.
„Es gibt aber natürlich auch dunkle, unheimliche Gebiete,“ fügte der Greif hinzu. „Dunkle Wälder finstere Höhlen,dort leben noch einige Dämonen, denen du dich früher oder später stellen musst. Viel hast du aber schon geschafft und ich bin wirklich sehr stolz auf dich!“ Die letzten Worte hinderten Lea daran, in weiteres, finsteres Grübeln zu versinken. Sie genoss den Flug auf ihrem geliebten Herzwächter in vollen Zügen und freute sich an den vielen Schönheiten und Reichtümer ihrer Welt. Einer Welt, über die sie allein die Herrscherin war, wie der Tiger einst gesagt hatte… Und sie als Herrscherin hatte die Macht, alles zum Guten zu wenden. Dieser Gedanke war sehr tröstlich und beruhigend.
Es war herrlich, wie die warme Luft ihr um die Nase blies und sie erblickte einmal mehr die wundervolle, leuchtende Sonne, die über allem schien und stets über sie wachte, wie dieser wundervolle Greif, der ihr so viel Kraft und Ruhe vermittelte.
Als sie noch ein Stück geflogen waren, erschien vor ihnen in den weiten Räumen des Himmels auf einmal eine einzigartige Pforte. Es war eine Pforte in der Form des ägyptischen Ankh Zeichens- das für (ewiges)Leben stand. Durch die Schleife selbigen flogen sie nun hindurch und… in diesem Moment veränderte sich die bisher recht fruchtbare Landschaft in eine sehr karge, wüstenähnliche! …
„Wo sind wir hier?“ frage Lea erstaunt und der Greif erwiderte: „Wir befinden uns hier in der Welt der Löwenfrau!“
4. Kapitel
Wüstenrose
Der Greif landete nun auf einer weiteren Hochebene. Nur war diese noch trockener und karger als die Ebene, auf der sie vorher gewesen war. Als Lea vom Rücken des mächtigen Mischwesens geklettert war, löste sich der Greif einfach auf und verschwand!
Die Frau erschrak, als sie sich auf einmal wieder so ganz allein in dieser gänzlich fremden Welt befand. Der Boden, auf dem sind stand, bestand grösstenteils aus Sand und nur ein paar verkrüppelte Büsche und Kaktusfeigen, wuchsen hier. Der Wind trug eine Kugel aus Zweigen vor ihre Füsse und sie wollte diese aufheben. Doch als ob der Wind sie narren wollte, trug er diese sogleich wieder davon und sie rollte über die Kante der Hochebene hinunter. Lea kletterte, einem unbestimmten Impuls folgend, über einige Felsen hinab, dem Tumbleweed (so werden diese Kugeln aus Zweigen in Amerika genannt) hinterher. Das Klettern, fiel ihr erstaunlich leicht. Auch die Hitze, die offensichtlich an diesem Ort herrschte, setzte ihr kaum zu. In den Zwischenwelten war eben alles anders.
Die Tumbleweedkugel rollte immer weiter und weiter, bis Lea in eine Schlucht kam, deren Sandsteinwände in allen Farbschattierungen von Rot bis Golden leuchteten. Die Oberfläche wirkte, wie mit verschiedensten, harmonisch aufeinander abgestimmten Farbstreifen, bemalt. So als hätte ein wundersamer Künstler sich die Felswände als seine Leinwand auserkoren.
Das Tumbleweed wurde vom Wind direkt in die Schlucht hinein getragen, welche an ihrem Anfang flankiert wurde von zwei interessanten Felsen, welche in ihrer Form an Löwenköpfe, mit offenen Mäulern, erinnerten. Lea schaute sich etwas unsicher um, bevor sie die Schlucht betrat. Diese war nicht sonderlich tief und da die Felsen nicht so überhängend waren, auch wenig von der Sonne geschützt. Vorsichtig setze sie einen Fuss vor den anderen. Sie trug nun, wir oft in den Zwischenwelten, ganz andere Kleider. Ein schlichtes, ägyptisch anmutendes, weisses Gewand, welches mit einem, umso reichlicher verzierten Gürtel, in türkis und blau zusammengehalten wurde. Die Gürtelschnalle bildete ein goldener Skarabäus.
Immer weiter und weiter ging sie in die Schlucht hinein, kein Ton war zu hören, kein Vogelgezwitscher, keine anderen Tiergeräusche, nur das Brausen und zeitweilige Pfeifen des heissen Wüstenwindes, welcher sich manchmal zwischen den Felsen verfing.
Gerade ging sie unter einem etwas überhängenden Felsen hindurch, als… sie auf einmal von einer riesigen Katze von oben angesprungen und zu Boden geworfen wurde…!