Der Ritter machte einen bedrohlichen Schritt auf Lea zu, er wollte sie eindeutig einschüchtern, doch diese blieb erstaunlich ruhig. Dass das schwarze Pferd sich so unerwartet auf ihre Seite geschlagen hatte, gab ihr neuen Auftrieb. „Nein“, sprach sie „dein Pferd ist nun auf unserer Seite, wie du siehst.“ „So ein Blödsinn!“ Der Ritter trat nun zu dem Rappen und streckte die Hand nach ihm aus. „Komm doch jetzt!“ sprach er in überraschend flehendem Tone zu selbigem. Die ganze Sache schien im ziemlich nahe zu gehen und Lea stellte erstaunt fest, dass auch seine Augen nicht mehr so glühendrot waren wie zuvor. Sie sahen jetzt aus wie normale Augen, die sogar einen richtig weichen Ausdruck annahmen, wenn er sein einstiges Pferd anschaute. Doch als der Rappe sich weigerte mit ihm zu gehen, blickte er erneut Lea an und ein boshaftes, rötliches Funkeln erschien sogleich wieder in seiner Iris. Warum nur hasste er sie so? Lea stimmte das irgendwie sehr traurig.
„Warum hasst du mich bloss so?“ fragte sie, bevor sie es sich richtig bewusst war. „Weil du mir mein Pferd weggenommen hast, du hast mir alles weggenommen und du selbst besitzt alles in Fülle!“ Er blickte zu Silberstern. Sehnsucht spiegelte sich in seinem Gesicht dabei. „Diese Entscheidung hat dein Pferd ganz allein getroffen“, erwiderte Lea und tätschelte nun den Hals des Rappens und dann jenen von Silberstern. Beide Pferde standen nun an ihrer Seite und sie fühlte sich auf einmal viel stärker.
„ Ich kann dich in gewisser Weise verstehen,“ fügte sie dann hinzu. „Es ist wohl so, weil es dir ein Gefühl von Freiheit und Ruhe vermittelt, wenn du auf deinem Pferd reiten kannst, so… wie es bei mir ist.“ „Ja natürlich! Was ist schon ein Ritter ohne sein Pferd!“ Der Dämon schaute an sich herunter und schien einfach nur noch traurig und bekümmert. All seine Aggression war für einen Augenblick lang verschwunden. Und dann geschah etwas völlig Unerwartetes! Der kleine Junge, den Lea damals aus der Grotte der heiligen Wasser herausgeholt hatte, erschien auf einmal aus dem Nichts! Er wirkte wundervoll strahlend, wie ein kleiner Engel. Seine blauen Augen leuchteten… Und wieder tat er etwas, das Lea nur schwer begreifen konnte. Das Kind trat zu dem Ritter und nahm ihn bei der Hand. „Sei nicht traurig!“ sprach es sanft „Es wird alles gut. Ich bin dir nicht mehr böse dafür, was du uns angetan hast. Ich weiss, dass du verzweifelt warst und noch immer bist!“ In Lea regte sich auf einmal heftiger Widerstand. War das alles nicht zu banal und zu einfach? Dieser Dämon war sehr bedrohlich für ihr Leben und dieses Kind… vergab ihm einfach. „Mir fällt es einiges schwerer dir zu vergeben“, sagte sie deshalb zu dem Ritter. „Denn du hast mich sehr behindert, schon beinahe seit ich denken kann. Du hast mir Leid zugefügt und du hast mir stets ein schreckliches Gefühl der Wertlosigkeit gegeben…“ Sie wollte dem Dämon nun eine Frage stellen, die Frage, warum er das getan hatte, doch…dann zögerte sie. Irgendwas hinderte sie daran und sie glaubte auf einmal, dass der Ritter ihr keinen wirklich guten Grund nennen konnte. Er war das Grundgefühl, eines geringen Wertverständnisses, das durch so viele Dinge entstanden war. Er war eigentlich der Ursprung aller Dämonen, die Lea noch immer plagten, oder geplagt hatten. Er war die Quelle, all dieser schrecklichen Gefühle der Wertlosigkeit. Doch wie sollte sie der Quelle allen Übels in ihrem Leben begegnen?
Zu viele Fragen und keine Antworten. Sie fühlte sich auf einmal wieder sehr müde und erschöpft. Irgendwie hatte sie plötzlich keinerlei Lust mehr, sich mit diesem Ritter herum zu schlagen.
Sie wandte sich an das Kind und die Rabenfrau: „Das alles… es wird mir einfach zu viel… ich habe… keine Kraft mehr. Ich weiss nicht, was ich mit diesem Ritter machen soll.“ Sie wandte sich an selbigen und sprach: „ Jedenfalls wirst du dein Reittier bestimmt nicht mehr so einfach zurück erhalten! Es liegt sowieso in seinem eigenen Ermessen, wann und ob es zu dir zurückkehren will. Du sollst kein Reittier mehr haben!“ Sie stiess diese Worte mit Verbitterung aus. „Nichts soll dir mehr Antrieb geben, mich zu bedrohen! Bleib doch, wo der Pfeffer wächst!“ Eine seltsame Finsternis und Tristesse, legte sich über ihre Seele.
Die Rabenfrau trat zu ihr und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. Silberstern stupste sie mit seiner Nase an und sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Hals. Das alles gab ihr sehr viel Kraft und Hoffnung.
Ihr Blick schweifte zu dem schwarzen Ritter, der irgendwie sehr verloren dastand und seltsamerweise spürte sie erneut Mitleid mit ihm. Das Kind war noch immer bei ihm und versuchte ihn zu trösten. Ein weiteres Mal stieg Ärger und Verbitterung in ihr auf und sie sagte zu dem Jungen: „ Du solltest eigentlich bei mir sein! Nicht… bei ihm!“ Doch das Kind, schaute sie nur mit einem weisen Gesichtsausdruck an und sprach: „Aber er ist eigentlich auch Du. Er ist ein Teil von dir, ein Teil der viel Verständnis braucht.“ Lea ärgerte sich irgendwie masslos über diese Worte, doch warum eigentlich? Warum brachte sie diesem Ritter dieselbe Feindschaft entgegen wie er ihr? Warum hasste… sie ihn so? Ja, sie hasste ihn tatsächlich, das wurde ihr immer bewusster und zugleich tat er ihr Leid. Das alles machte sie ganz verrückt. „Du solltest dich vielleicht mal ein wenig ausruhen“, meinte die Rabenfrau verständnisvoll zu Lea. „Komm, ich richte dir in meinem Haus ein Lager her. Und du…“ wandte sie sich an den Ritter „machst einfach keine Dummheiten hier! Du setzt dem armen Mädchen schon genug zu. Ich sehe es sehr ungern, dass sie deinetwegen den Zugang zu ihrer wahren, inneren Magie noch immer nicht ganz findet. Du solltest mal ein wenig über deine Sünden nachdenken! Ach ja, und wo wir gerade dabei sind… Du kannst dich gleich etwas nützlich machen und Futter für die Pferde und Feuerholz für die Hütte besorgen! Ich will, dass du vor allem gut auf das kleine Fohlen schaust!“ fügte sie mit resoluter Stimme hinzu! Klar?“
Der Ritter, welcher nun auf einmal gar nicht mehr bedrohlich wirkte, nickte ergeben. Lea bewunderte die Entschlossenheit der Rabenfrau. Wäre sie nur auch so entschlossen gewesen, doch gerade fühlte sie sich einfach nur noch schwach. Sie freute sich, in der warmen Hütte der Rabenfrau ein wenig zu schlafen und zur Ruhe zu kommen. Hier war alles erfüllt von Kraft und wundervoller Magie und das würde ihr bestimmt guttun.
Als sie schon beinahe bei dem alten Baum war und zur Haustüre hineingehen wollte, rannte das Kind ihnen auch hinterher und legte seine kleine Hand in die Hand von Lea. „ Ich komme mit. Der Ritter wird seine Arbeit schon gut machen," meinte es altklug. Lea und die Rabenfrau lächelten und nickten zustimmend. Dann betraten sie die heimelige Hütte…
Dort wurde ein wundervolles, weiches Lager für Lea hergerichtet und diese liess sich wohlig seufzend in die weichen Decken und Kissen fallen. Sie war auf einmal so müde, so unendlich müde und… sogleich schlief sie tief und fest ein und… noch während sie schlief, glitt sie erneut hinüber in eine gänzlich fremde Welt…