Ich erstarrte, als ich bemerkte, dass sich die Welle bereits über uns befand. Eingehüllt in Stille stand ich, mit Händen schützend um den Kopf gelegt, an seiner Seite und hoffte er würde nach meiner Hand greifen. Ich hielt die Luft an. Dunkelheit umgab mich. Ängstlich hatte ich die Augen geschlossen und wartete eingeschüchtert darauf, durchnässt und weggespült zu werden. Ein dumpfer Schlag schallte durch den Wald, vernichtete die Stille und ließ mich neugierig werden. Vorsichtig blinzelte ich auf und stellte erstaunt fest, dass das Wasser bereits versiegt war. Es wurde ruhiger und wirkte nun keinesfalls mehr bedrohlich. Erleichtert atmete ich aus.
Die Bäume begannen sich schwer im Wind zu wiegen und ließen mich noch neugieriger auf das Wesen werden.
Endlich zeigte es sich. Vor meinen Füßen tauchte langsam ein Frauenkopf auf, fast verführerisch versuchte sie die Blicke des Jungen zu fangen. Eifersüchtig von ihren ersten Blicken, nahm ich eine abwehrende Haltung ein.
Dürre Finger krallten sich in den matschigen Boden, geziert von zartem, roten Nagellack. Sie nahm ein Mal kräftig Schwung, drehte sich und setzte sich mit dem Rücken zu uns gekehrt, auf den Boden.
Ich konnte meinen Augen nicht trauen, als ich die riesige, schimmernde Schwanzflosse an ihrem Körper bemerkte.
Gebannt starrte ich sie an und ließ dann meine Blicke ihren Körper hinauf, bis zum Gesicht wandern. Ich zuckte zusammen, schämte mich Fremd, als ich ihren entblößten Oberkörper meine Aufmerksamkeit schenkte. Reflexartig wandte ich meine Blicke ab. Als wäre ich beim klauen erwischt worden, schlug mein Herz viel zu schnell und ließ mich nervös werden. Wieder stieg die Hitze in meinen Kopf und färbte ihn rot.
„Laureen? Muss das wirklich sein?“, erklang die tiefe Stimme neben mir.
Bisher hatte ich nichts sehen können, denn sie zeigte lediglich ihren zarten, fehlerfreien Rücken.
Doch dann wrang sie ihre nassen Haare aus, schwang sie elegant nach hinten und drehte sich mit einem frechen Grinsen zu uns um. Mit den Händen bedeckte sie ihre Brust, doch diese hielt sie nicht lange bei sich. Langsam legte sie diese auf ihre Schwanzflosse und zwinkerte dem Jungen zu.
„Besser?“
„Laureen ich bitte dich. Du möchtest unseren Gast sicher nicht verscheuchen!“
„Dein Gast“, verbesserte sie mit einer mächtigen Stimme, die ihre Erscheinung vervollständigte.
„Du wirst sie mögen“, erklärte er sicher und warf mir einen zustimmenden Blick zu. Schüchtern nickt ich und ging einen Schritt auf ihn zu.
„Kommt drauf an, ist denn Bohnenstange eine Gefahr für uns?“ Bohnenstange? Na warte! Ich werde dich in tausend Teile reißen, ich werde...warte mal, Uns? Was sollte das heißen? Wut begann in mir aufzukommen. Ein paar Augenblicke durfte ich mir ein Bild von ihr machen und schon jetzt wusste ich, ich würde sie für immer verabscheuen. Hassen!
Uns? Waren sie zusammen? Was sollte das? Ich hasste es, wenn mit mir gespielt wurde!
Gegen dieses Mädchen hätte ich nie eine Chance! Glattes, braunes, perfektes Haar. Sie trug einen perfekten Lidstrich, mit dem zu perfekt passenden Lidschatten.
Bei dem Wasser war er kein Stück verschmiert. Auch der knallrote, leuchtende Lippenstift saß perfekt und betonte ihre vollen Lippen. Ich wollte gar nicht wissen, wie es um mein Make-up stand, wahrscheinlich war es komplett verschmiert und ich sah aus wie ein Emo.
Nicht einmal Puder musste sie tragen, denn ihre Haut war makellos. Nein, nicht nur ihre Haut, ihr Körper... sie war einfach makellos. Ich konnte sie nicht ausstehen!
Wie sollte ich sie jemals schlagen können?
Ich hasste es mich im Kampf um einen Jungen zu sehen. Albern! Aber selbst wenn ich versuchte ruhig zu bleiben, wenn ich versuchte mir einzureden es gäbe keine Konkurrenz zwischen uns, selbst dann verspürte ich immer noch den Drang dazu, ihr perfektes Gesicht zu verunstalten.
Wie sie mit den Augen klimperte, halb nackt vor ihm saß und jede Sekunde nutzte, um ihn verführerische Blicke zu zuwerfen.
Nur etwas schien ihr Gesicht nicht perfekt machen zu wollen. Es war so unbedeutsam, dass es mir beinahe nicht aufgefallen wäre. Rechts und links über ihren Wangenknochen, hinter den Augen konnte ich Hauterhebungen erspähen. Bei jeden ihrer Atemzüge, öffneten sich Hautfalten und ließen einen Blick in ihr Inneres zu.
Doch nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann schmiegten sich die Hautfältchen eng an ihr Gesicht und verbargen fast die Erhebungen. Waren das Kiemen?
Jedes Mal wenn ich meine Blicke davon nicht abwenden konnte, starrte sie mir böse in die Augen und ließ ein paar nasse Haarsträhnen drüber fallen.
„Laureen, bitte nimm meine Jacke!“, erklang die Stimme neben mir erneut.
Darauf hin zogen sich die Mundwinkel des Mädchen´s nach oben und ihre ungewöhnlich, spitzen Zähne traten zum Vorschein.
Frischer Wind strich an meinem Gesicht vorbei und noch im selben Moment landete die braune Jacke des Jungen, in ihre Armen. Mit Freude zog sie sich die an, doch sie hielt es nicht für nötig den Reißverschluss zu schließen. Schwer atmete ich aus, denn ich verspürte immer mehr meinen Hass gegen sie. So etwas billiges! Aber was wenn er genau auf so etwas stand?
Nahm er diese Masche eigentlich bei jedem Mädchen? Gut natürlich liebten wir Mädchen es, wenn uns ein Junge seine Jacke gab, aber ich glaube sie konnte das bestimmt nicht wertschätzen!
Immer wieder versuchte ich meine Blicke von ihr zu nehmen, doch auch ihre Schwanzflosse zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Schon an dieses Wort zu denken, fühlte sich absurd an. Doch ich schaute sie gerade an und war mir sicher, dass mir meine Augen keinen Streich spielten.
Ich versuchte meine Gedanken zu sammeln und suchte vergebens nach Antworten für diese ungewöhnliche Gestalt. Natürlich dachte ich über Meerjungfrauen nach, wer kannte sie nicht? Aber diese hier schien nichts bis auf die Schwanzflosse mit ihnen gemeinsam zu haben.
Weder machte sie einen annähernd liebevollen Eindruck, noch schien sie sich Beine aneignen zu können.
Liebevoll! Völlig paradox, wenn man ihr in die Augen sah. Ihre Katzen-grünen Augen strahlten nichts, außer Habgier und Arroganz aus. Nichts desto trotz schien es ihm zu gefallen.
Die heißen Blicke zwischen ihr und dem Jungen gingen keines Wegs an mir vorbei. Im Gegenteil, sie störten mich unheimlich.
So sehr, dass ich lieber alle Blicke auf mich richten ließ.
„Ist das jetzt dein ernst?“, brachte ich möglichst zickig über die Lippen.
„Was meinst du?“, fragte er gelassen, wobei er seine Blicke von ihrem nackten Körper nicht abwenden wollte.
Ich konnte nicht fassen, dass er sie nicht für seltsam einstufte.
„Ist das so etwas wie versteckte Kamera? Wenn ja, es ist echt nicht witzig!“ Endlich lösten sich seine Blicke von ihrem Körper und er schenkte mir seine Aufmerksamkeit.
Ganz zu ihrem Ärger.
„Was meinst du?“ Verständnislos schüttelte ich den Kopf und wagte mich einen Schritt näher an ihn heran. Plötzlich begann sie etwas für mich unverständliches vor sich her zu murmeln. Im Gegensatz zu mir, schien er ihre unklaren Worte mit einer Leichtigkeit entziffern zu können und lauschte ihr aufmerksam.
Entweder sprach sie eine Sprache die ich nicht verstehen konnte oder es lag an meiner nicht gerade glamourösen Französisch Note.
Doch in dieser Situation erschien mir die erste Variante sinnvoller, denn wer würde ausgerechnet hier Französisch sprechen?... na gut von sinnvoll konnte hier wohl schon lange keine Rede mehr sein.
„Sie werden dir jetzt einen Verband um die Augen binden und uns dann über eine Brücke führen, ist das Okay für dich?“ Ich runzelte die Stirn.
Wieso sollte das okay für mich sein? Weder sah ich hier eine Brücke, noch vertraute ich ihm und erst recht nicht diesem Wesen.
Ich wollte ihm vertrauen und ich wusste ich würde es bis zum Tod tun, doch seitdem ich auf dieses Mädchen getroffen war, schien sich in mir etwas geändert zu haben.
Immer weitere Fragen kamen in mir auf und ließen meinen erblindeten Verstand endlich wacher werden. Fragen über Fragen. Fragen über ihn und über das was wir hier taten. Fragen über all diese Dinge, die er mir verheimlichte und Fragen darüber, wie ich in das Ganze überhaupt reingerutscht war. Egal was ich wollte, ich befand mich längst mittendrin und so leicht würde ich aus diesem ganzen Schlamassel nicht mehr herausfinden.
Mit einem Mal war ich mir auf einmal bewusst, dass er wohl der geheimnisvollste Junge sein musste, dem ich je begegnet war. Ich hatte das Gefühl im vertrauen zu können, selbst wenn ich ihn kaum kannte, doch die ersten Augenblicke mit diesem Wesen, schienen dieses Vertrauen vernichtet zu haben.
Ich versuchte meine Unsicherheit zu verbergen. Ich wusste, dass er meine Angst und Zweifel spüren konnte.
„Hör auf! Das ist verdammt noch mal nicht witzig!“
„Womit? Meinst du sie?“, fragte er und machte eine ruhige Kopfbewegung zum Mädchen hin.
„Sie? Ich meine Alles hier. Das ist nicht echt, ich falle darauf nicht rein. Zeig mir die Kameras!“
„Kameras? Hier sind keine! Das ist echt! Ich weiß für Menschen wie dich, ist das meist unbegreiflich, aber dafür sind wir ja hier.“
„Was soll das denn schon wieder heißen? Menschen wie mich? Bist du etwa keiner oder wie?“, fragte ich mit einem Hauch von Spott und Vorwürfen in der Stimme. Was für ein Spiel trieben sie mit mir? Gestern noch küsste er mich, nannte mich Prinzessin und heute war er plötzlich so kühl zu mir und schien mit diesem Biest etwas am Laufen zu haben? Verdammt, seine Blicke verletzten mich so sehr. Seine Blicke, die wie ein alter Kaugummi an dem Mädchen klebten. Ich weiß, eigentlich hätten sie mich nicht so sehr stören sollen, aber das taten sie nun mal und daran konnte ich nichts mehr ändern.
„Ähm...“, stotterte er und starrte gebannt zu Boden.
„Und ganz ehrlich, ich sehe hier kein Brücke! Glaub mir, meine Augen sind gut!“, lachte ich, während ich meine linke Hand arrogant zu Seite warf.
„Die können wir nicht sehen. Um sich zu schützen, verbinden sie unsere Augen.“ Ich merkte, dass er versuchte freundlich zu sein, doch meine Blicke schmetterten diese Freundlichkeit gnadenlos ab.
„Das macht keinen Sinn!“
„Wieso?“
„Man muss doch nur ausprobieren wo sich die Brücke befindet. Vielleicht bekommt man nasse Füße, aber einen Einbrecher wird das sicher nicht abhalten.“
„Mag sein, allerdings wird sich der Einbrecher danach ganz schön umsehen. Denn das Wasser ist Gift für uns und lässt uns qualvoll sterben. Und jetzt sei still!“, schnauzte er mich plötzlich an und vergaß seine gespielte Freundlichkeit. Verdutzt schaute ich ihm entgegen. Er hatte seinen Launen wirklich nicht im Griff. Auf diese weise würde ich ihm doch erst recht nicht vertrauen!
Natürlich erwartete ich nicht ewige Treue von ihm, aber ich war schon davon ausgegangen, dass er es einige Zeit mit mir aushalten würde. Vorausgesetzt dieser Kuss hatte überhaupt irgendeine Bedeutung für ihn. So wie er mich danach angesehen hatte, musste er einfach Bedeutung für ihn haben. So etwas konnte man doch kaum faken oder?
„Vertraust du mir?“, riss er mich plötzlich liebevoll aus den Gedanken. Ein zuckersüßes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er warf angeberisch sein volles Haar nach hinten. Ich seufzte. Wie ich diese Masche hasste und wie sehr ich mich dafür hasste, dass es zu funktionieren schien. Langsam kam er auf mich zu und blickte mir ganz tief in die Augen. Unsicher zuckte ich zusammen, als er mich plötzlich zu sich zog und mich in seine Arme schloss. Ruhig drückte er mich enger an sich und gab mir einen beschützenden Kuss auf die Stirn. Ich hasste es, dass mein Herz direkt schneller schlug und ich anfing wieder nervöser zu werden. Wenn er das tat, konnte man doch gar nicht hartnäckig bleiben. Langsam löste er sich wieder von mir und reichte mir seine Hand, mit dessen Annahme ich diesem eigenartigen Vorhaben zustimmen würde.
Eine Weile überlegte ich, doch Laureens ungeduldiges Stöhnen und die arroganten Blicke, die sie mir zuwarf, hinderten mich an der Einwilligung. Sie erinnerten mich daran, wie sehnsuchtsvoll er sie angestarrt hatte.
„Ich bin doch nicht von allen guten Geistern verlassen! Ich kenne weder diese Laureen, noch kann ich dich wirklich einschätzen und wenn du sagst, dass das Wasser tödlich ist, werde ich dort ganz bestimmt nicht lang laufen!“, schrie ich wütend über mich selbst. Fast wäre ich auf diese Masche reingefallen. Als wäre er enttäuscht von mir, senkte er seine Blicke und atmete schwer aus.
„Das ist schade, ich dachte wir wären mehr, als...“
„Ich habe heute auch noch etwas anderes vor!“, fiel ihm Laureen ins Wort. Hatte er gerade wirklich gesagt, er dachte wir wären mehr, als nur Freunde oder was? Ich spürte, wie sich mein Körper in zwei Hälften teilen wollte. Ich wollte ihn nicht enttäuschen und ich wollte keines Falls feige wirken, aber zugleich wusste ich, dass ich feige war! Ich war ein Angsthase, ich war verdammt noch mal ein elender Schisser!
Außerdem wollte irgendetwas tief in mir, ihm nicht vertrauen. Vielmehr wusste irgendetwas in mir, dass es keine gute Idee wäre ihm zu vertrauen. Ich wusste, er würde mich enttäuschen.
Er lief einen Schritt auf mich zu, reichte mir seine Hand und fragte erneut:
„Vertraust du mir?“ Ich wusste, dass ich es bereuen würde, aber das war mir in diesem Moment egal. Ich wollte mehr über ihn erfahren und vor allem wollte ich ihm gefallen. Außerdem sollte dieses ekelhafte Biest auf keinen Fall gewinnen!
Lächelnd nickte er dem Mädchen zu und daraufhin verschwand sie mit einem lauten Platscher im Wasser. Für einen Moment waren wir alleine und diesen Moment wollte ich nutzen, um ihn nach diesem Mädchen zu fragen.
Doch schon als ich meinen Mund öffnen wollte, hob er panisch seine Hand und legte sie mir auf den Mund. Prompt schlug ich sie weg und starrte in sein ernstes Gesicht.
Jegliche Ansätze eines Lachens waren verschwunden, er hatte eine abwehrende Haltung eingenommen und sein Blick wirkte kalt, gar abweisend.
„Sei still!“, flüsterte er verärgert und griff energisch nach meiner Hand. Wie redete er mit mir?
„Kannst du d...“
„Psst! Du bekommst noch Antworten“, unterbrach er mich leise, wobei seine Blicke aufgeregt durch den kahlen Wald wanderten. Ich machte keinen Muchs mehr, denn ich hatte seinen „kleinen“ Kontrollverlust im Wald keines Falls vergessen.
Plötzlich knackte etwas neben uns im Wald. Noch bevor ich mich danach umsehen konnte, schreckte er auf, schlug seine Hand auf meinen Mund und zerrte mich rasend schnell weg von diesem Ort. Flink huschten wir durch den Wald und suchten schließlich Schutz hinter einer großen Tanne.
Ängstlich sah ich mich nach unserem Verfolger um, doch alles was sich vor uns stellte, war ein kleines Reh, das uns mit seinen dunklen, leeren Augen anstarrte. Es erinnerte mich unweigerlich an das kleine Kätzchen. Denn auch es erweckte den Anschein, in uns hineinschauen zu können. Nur einen Moment verharrte es dort, bis er es erschreckte, indem er wieder losraste und mich mit sich zog. Zischend rasten wir mit einem Umweg wieder auf diesen Ort zu und blieben abrupt vor dem Wasser stehen.
Verwirrt starrte ich in seine Augen und fragte mich, wer ihn ängstigte, dass er so reagieren musste. Nervös schaute er sich um, während er seine Hand immer noch nicht von meinem Mund genommen hatte. Ich wagte es nicht, auch nur einen Muchs von mir zu geben. Seine Miene war ernst und auch wenn ich keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging, so war ich mir nun sicher, dass sie mich nicht verarschen wollten und dass es schlimmer sein musste, als ich es mir nur ansatzweise vorstellen konnte.
Ich versuchte meinen rasenden Puls und meinen schnellen Atem unter Kontrolle zu bekommen, denn er stand mir plötzlich so nah, dass ich die Sorge bekam, er könnte es hören.
Letztendlich waren es fünf lange Minuten, wie wir im Schweigen eingehüllt nebeneinander standen und er seine Hand nicht von meinem Mund nehmen wollte.
Die Stille wurde erst wieder durch leises Plätschern gestört und ein Wesen kam auf uns zu geschwommen, ganz ohne einen großen Auftritt. Erneut krallten sich rote Fingernägel in den matschigen Boden und sie setzte sich mit dem Rücken gekehrt zu uns. Endlich nahm er die Hand von meinem Mund und atmete erleichtert auf.
Den Kopf senkte sie, als wären unsere Blicke ihr peinlich. Das Mädchen warf ein paar Sachen wie Lumpen neben sich. Ich starrte diese eine Weile an und vergaß den merkwürdigen Touch den sie mit sich brachte.
Ihr Rücken war samtig und die Statur dünn, die Haare ähnelten dem Wesen zuvor stark, doch ihr Verhalten ließ mich zweifeln ob es Laureen war. Sie warf mit einem Schwung ihre breite Schwanzflosse auf den Boden neben sich.
Keine Sekunde verging, als ihre Schwanzflosse sich von dem schönen Lila, zu einem hell-Blau, dann zu einem limonen-Grün und schließlich zu einem Hautton verwandelte, der gut zu ihr passte. Plötzlich schien ein nackter Mensch vor uns zu stehen. Es gab keinen Unterschied bis auf die Tatsache, dass sie keine Kleidung trug.
Beschämt hob sie die nass, triefenden Klamotten vom Boden auf und zog sich langsam an. Ich wandte meine Blicke von ihrem entblößten Körper ab und konzentrierte mich auf die Blicke des Jungen.
Als würde er von ihrem nackten Rücken nicht wegsehen können, erschrak er sich als sie sich zu uns drehte. Ruckartig wanderten seine Blicke weg von ihr und tief in den Wald hinein. Die nasse Kleidung tropfte und ich fragte mich, ob ihr das bei diesem Wetter nicht viel zu kalt war. Erst jetzt erinnerte ich mich wieder daran, dass ich selbst auch nasse Kleidung trug und spürte, wie ich wieder zu Frieren anfing.
Man konnte selbst unseren Atem vor Kälte erkennen, doch sie schien das kaum zu stören. Plötzlich begann sie orientierungslos in der Luft herum zu fuchteln und Funken schmiegten sich eng an ihren Körper. Sie flogen um sie herum und schienen die Nässe aufzusaugen. Einen Augenblick später waren Nässe und Funken verschwunden.
Ich merkte wie mein Mund vor Fassungslosigkeit immer weiter aufging, doch das war nicht nur bei mir unbemerkt geblieben.
„Geht´s dir gut?“
„Was?“
„Ich frage dich warum du mich so bedeppert anstarrst, sorry ich wollte nicht in triefnassen Kleidern draußen stehen!“, zischte sie arrogant. Nein, es gab keine Zweifel mehr, das konnte nur Laureen sein.
Bedrohlich lief sie auf mich zu und strafte mich mit finsteren Blicken. Ich lief immer weiter nach hinten, doch irgendwann zog mich der Junge wieder zu sich heran und ich musste in die gefährlich, sandgelben Augen starren. Eingebildet hob sie ihren Kopf und schritt lächelnd auf den Jungen zu.
Sie schwang ihre Arme um seinen Hals und flüsterte etwas in sein Ohr, woraufhin er Mühe hatte, sich ein breites Grinsen zu verkneifen. Ich spürte wie ich gefährlich eifersüchtig wurde. Was dachte er sich? Ach was dachte ich mir? Hatte ich wirklich geglaubt so jemand wie er, würde etwas von einem gewöhnlichen Mädchen, wie mir wollen?
Langweilig und wahrscheinlich unglaublich zickig. Wer war ich überhaupt? Ich hatte das Gefühl, dieser Ort würde mich völlig verändern. Nicht nur mich, auch meine Ansichten, meine Familie.
Ich war reich, ich hatte so viele Freunde, dass ich sie nicht einmal alle zählen könnte. Und... ich hatte einen Freund, also warum um alles in der Welt verspürte ich das nervige Gefühl der Eifersucht? Etwa weil er mir keine Aufmerksamkeit mehr schenkte? Weil er sie besser kannte als mich? Weil sie sich besser kannten?
Auf einmal stand sie auch mir gegenüber und riss mich aus meinen Gedanken. Sie hielt mir einen schwarzen Verband vor´s Gesicht, den auch der Junge trug. Ich schluckte, denn ich hatte Angst der Verband würde mich einengen, meine Freiheit nehmen und mich verletzbar machen.
Suspekt, denn seine Hand tat das Gleiche.
Es schien als wolle er mich nicht mehr loslassen, als würde er mich bestimmen. Doch seine Hand gab mir Sicherheit.
„Wir machen das zusammen, du brauchst keine Angst haben, ich habe das schon tausend mal gemacht und ich vertraue ihnen“, versuchte er mich zu beruhigen und verstärkte den Druck an meiner Hand.
Er vertraute ihnen? Na und! Das hieß noch lange nicht, das ich das auch tat. Das Wesen begann meine Augen zu verbinden. Sie machte es mit solch einer Lieblosigkeit, dass ich das Gefühl bekam sie würde mir mehrere Haarfetzen ausreißen.
Wir standen eine Weile, bevor sie uns ein Seil gab und begann uns über die Brücke zu führen. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen und spürte schon nach kurzer Zeit den rutschigen Boden unter meinen Füßen. Auch wenn ich den Boden nicht sehen konnte, war ich fest davon überzeugt, wir würden über eine Glasbrücke laufen.
Unsere Schritte hallten auf dem glatten Boden und gaben mir einen Hauch von Sicherheit. So lange ich dieses Geräusch vernahm wusste ich, wir würden nicht in dem giftigen Wasser landen.
Bis auf unsere Schritte war es still um uns herum geworden, nicht ein Vogel sang und der Sturm war längst verschwunden.
Die Schritte wurden immer schneller und das Seil straffer. Ich hatte Mühe dem Tempo gerecht zu werden, denn die Dunkelheit in der ich mich befand, machte mich ängstlich.
Doch langsam gewöhnte ich mich an sie und konnte mich besser in ihrem Tempo bewegen. Ich versuchte mir den Weg zu merken, für den Fall ich müsste augenblicklich aus dem kleinen Häuschen flüchten, doch schon nach der Hälfte des Weges hatte ich ihn wieder vergessen. Auch wenn die Hütten nicht weit vom Ufer entfernt waren, liefen wir Ewigkeiten und ich hatte schon längst keine Ahnung mehr, in welche Richtung wir überhaupt gingen.
Ich rümpfte die Nase als mir ein fischiger Geruch in die Nase stieg. Ob das Laureen war? Ich verwarf diesen Gedanken, als sich der Boden unter meinen Füßen änderte. Das Hallen unserer Schritte wandelte sich zu einem Knirschen um und wir liefen plötzlich auf Sand.
Endlich blieben wir stehen und ich atmete auf. Die Anspannung fiel und ich wurde etwas ruhiger.
Meine Aufregung stieg jedoch wieder, denn ich war gespannt, wie es wohl im Inneren der Hütten aussehen mochte.
Wir hielten immer noch Händchen, als sie mir den Verband abnahm und ich sehen konnte, wie das letzte bisschen Gelb aus ihren Haarspitzen verblasste. Sie warf mir eifersüchtige Blicke zu und schaute immer wieder abwechselnd zwischen unseren Händen und mir, hin und her.
Mein Lächeln wurde breiter, als ich begriff, dass sie auf mich eifersüchtig war.
Dieses Lächeln schien sie unglaublich zu stören, denn umso breiter mein Lächeln wurde, desto mehr Gelb schoss wieder in ihre Haare.
Ich kannte mich keines Wegs aus, was diese Wesen betraf, aber kombinieren konnte ich schon.
Beim Verbinden seiner Augen hatten ihre Haare knallrot geleuchtet und jetzt waren sie gelb, sicher änderten ihre Haare die Farben, wenn sich ihre Stimmung änderte.
Blutrot für die Liebe und das Gelb für den Neid. Mit erhobenen Kinn lief sie auf ihn zu, zog grob den Verband von seinen Augen und sprang schließlich mit einem lauten Platscher ins Wasser. Ich spürte wie sich meine Anspannung noch mehr lockerte, als wir endlich alleine waren. Er verstand, dass sie bereits verschwunden war, löste daraufhin seine Hand aus meiner, öffnete die braune Tür des Häuschens und ließ mich als Erstes eintreten.