Neugierig lief ich in die Mitte des Raumes und stellte mich unsicher neben den weißen Tisch. Es war ein eigenartiger Raum in dem wir uns befanden. Es schien als gäbe es ihn nur, um private Gespräche führen zu können oder um geschäftliche Dinge auszuhandeln. Die Wände waren in einem neutralen Weiß gestrichen und machten den Raum, trotz des fehlenden Sonnenlichts, heller.
Der Raum hatte nur ein kleines Fenster, aber für die Größe schien das völlig ausreichend zu sein. Draußen hing daran ein Blumentopf, mit vielen Rosen, die mir vorher gar nicht aufgefallen waren.
Mein Blick wanderte weiter durch das Zimmer und plötzlich zog ein einfaches Bild meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich musste es eine Weile anstarren, bis ich verstand was es für mich bedeutete.
Eine Reihe hübscher Mädchen lachten bezaubernd in die Kamera. In der Mitte stand der Junge, um ihn die Arme der ganzen Mädchen geschlungen. Rechts neben ihm konnte ich ein Mädchen erkennen, dessen Gesicht mir äußerst bekannt vorkam.
Sie drückte ihm einen Kuss auf. Laureen. Schon bei dem Gedanken an sie zog, sich in mir alles zusammen und meine Gesichtszüge drohten mir zu entgleiten.
Schnell wandte ich meinen Blick vom Bild ab und suchte nach weiteren interessanten Dingen in diesem Raum.
Doch ich blieb erfolglos. Bis auf eine vertrocknete Pflanze schmückte nichts mehr dieses merkwürdiges Zimmer.
Immer noch war ich verwirrt warum er mich ausgerechnet hier hin gebracht hatte. Er musste mir einiges erklären, doch warum hätten wir das nicht einfach im Schloss oder im Wald machen können? Warum mussten wir ausgerechnet hier her?
Wir setzten uns. Nervös rutschte ich hin und her. Zwanghaft versuchte ich damit die klägliche Stille zwischen uns zu unterbrechen. Ich wartete darauf, dass er begann, immerhin hatte er mich hier her geschleppt.
„Du hast sicher viele Fragen, ich werde sie nach meinen Möglichkeiten beantworten“, riss er mich aus den Gedanken und versuchte meine volle Aufmerksamkeit zu bekommen. Zweifelnd starrte ich ihn an und fragte mich, welcher Anlass wohl zu diesem Bild geführt hatte. Ob es in jeder dieser Hütten dieses Bild gab? Oder hatte uns Laureen absichtlich zu dieser Hütte geführt? Zu diesem Biest würde es jedenfalls passen!
„Hörst du mir zu?“, fragte er nach und runzelte die Stirn. Schnell nickte ich.
„Sicher und ja Fragen habe ich genügend.“
„Gut, dann her damit.“
„Was?“
„Deine Fragen?“
„Ach so ja, ich...ähm...“, stotterte ich und verstummte schließlich. Meine Fragen waren verschwunden, zumindest die die ich ihm stellen konnte. Mittlerweile interessierte es mich nicht mehr so sehr, was für eine eigenartige Gestalt diese Laureen war oder warum er ausgerechnet hier her wollte. Eigentlich wollte ich nur, dass er endlich mal Klartext sprach, was uns anging. Wenn es ein uns überhaupt gab.
Schließlich waren die ganzen Flirtversuche von Laureen nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Wie hypnotisiert hatten seine Blicke an ihrem nackten Körper geklebt. Aber mir würde es schwer fallen ihn danach zu fragen. Ich konnte ja schlecht fragen, ob der Kuss für ihn überhaupt von Bedeutung war.
Nervös wanderten meine Blicke durch den Raum. Ich wollte nicht in seine erwartungsvollen Augen schauen. Die blaue Uhr über der Tür schien ein ungewöhnlich lautes Ticken von sich zu geben, dass mich zu verschlingen drohte.
Ich wusste, dass er auf eine Frage wartete und diese Uhr zählte die Sekunden, die ich damit verbrachte nach einer zu suchen. Genervt von der ganzen Situation seufzte ich auf und stellte eine recht belanglos erscheinende Frage:
„Warum sind wir hier?“
„Das ist etwas schwer zu erklären und... es wird eine Weile dauern.“ Er machte eine Pause und schaute mir prüfend in die Augen, ob ich mir für diese Erklärung Zeit nehmen würde. Sein auffälliges Starren ließ mich unruhig werden und so vermied ich schon nach kurzer Zeit den Blickkontakt.
Plötzlich fühlte ich mich unwohl mit ihm alleine zu sein. Auch wenn ich die Fragen stellen konnte, so machten seine starrenden Augen den Eindruck auf mich, als würden sie jegliche Geheimnisse aus mir heraussaugen.
„Macht nichts, ich habe Zeit.“ Es war egal was ich sagte, Hauptsache jemand beendete diese Stille. Ich konnte einfach nicht aufhören an dieses perfekte Mädchen zu denken. Sie war so unheimlich schön, dass ich anfing mich fehl am Platze zu fühlen. Sie kannte ihn anscheinend nur zu gut und genau darauf war ich unheimlich eifersüchtig, obwohl ich dazu wohl gar kein Recht gehabt hätte.
„Das ist gut, also wir sind wegen dem Grafen hier“, begann er zu erklären, verstummte dann jedoch schnell wieder, als er von einem leichten Klopfen gestört wurde.
„Ja.“
Es war kaum überraschend, dass uns Laureen störte und lächelnd ihren Kopf durch den Türspalt steckte. Mit herabwürdigenden Blicken musterte sie mich und schritt dann komplett in den Raum hinein.
„Kommst du mal kurz Schatz, wir müssen mit dir sprechen“, sagte sie und reichte ihm lächelnd die Hand. Wütend ließ ich etwas Luft aus meinem Mund entweichen und musste mich zusammenreißen, nicht lauthals loszubrüllen.
Schatz? Erst andere Mädchen küssen und dann ihnen die eigene Freundin vorstellen? Vielleicht waren sie ja auch schon verheiratet und hatten ein Kind? Sollte ich etwa die Patentante spielen oder wie hatte er sich das gedacht?
Offensichtlich war ich eine totale Niete darin, den Charakter von Leuten einschätzen zu können.
Naiv wie ich nun mal war, glaubte ich den Menschen das, was sie mir erzählten, aber anscheinend war das ein gewaltiger Fehler.
Gequält nickte ich ihm zu und legte danach meinen Kopf in meine Hände, damit ich ihr schadenfrohes Lachen nicht mehr ertragen musste. Ich kannte ihn kaum, sollte er mir doch gestohlen bleiben. So etwas hatte ich doch nicht nötig!
Der Stuhl scharrte auf dem hölzernen Boden, dumpfe Schritte folgten dem, die Tür fiel ins Schloss und endlich war ich wieder alleine. So hatte ich mir unser zweites, richtiges Treffen mit Sicherheit nicht vorgestellt.
Was sollte das? Wollte er beweisen, dass er jedes Mädchen haben konnte? Auf so einen ekelhaften Fuckboy würde ich nicht reinfallen! Diese Masche funktionierte nicht bei mir, dafür müsste er sich jemand anderen suchen. Ich hasste ihn für das, was er mit mir machte, aber ich müsste nur heute so tun, als hätte ich keinen blassen Schimmer. Er war kurz davor mir zu erklären was hier vor sich ging und das müsste ich unter allen Umständen in Erfahrung bringen.
„Bist du dir sicher, dass du ihr alles sagen solltest? Du kennst sie doch kaum“, riss mich plötzlich Laureens Stimme aus den Gedanken. Wieder ging es um mich und genau deshalb lauschte ich ihnen erst recht.
„Hast du uns etwa belauscht?“, fragte der Junge wütend. Zugern hätte ich ihr verwirrtes Gesicht gesehen.
„Natürlich bin ich mir sicher. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los sie zu kennen. Sie ist anders, sie wird uns nicht verraten“, rief er wütend und bekam Schwierigkeiten nicht so laut zu brüllen, dass ganz England etwas davon hatte.
„Sie zu kennen? Jetzt sei nicht albern, sie ist wie jede andere.
„Du kennst sie nicht!“
„Nein, aber du?“, lachte sie spöttisch.
„Vielleicht? Wem sollte sie das schon erzählen? Keiner würde ihr glauben. Ich weiß ja noch nicht ein ,... ob sie mir glauben kann.“
„Das sagst du bei Jeder. Bekommst du eigentlich noch mit, wie viele es bereits sind? Die alle deinetwegen sterben mussten?“ Seinetwegen waren diese Mädchen tot? Umso mehr ich über ihn in Erfahrung brachte, desto mehr fürchtete ich mich vor ihm. Plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich wirklich mehr über ihn wissen sollte, ob ich wirklich immer weiter in diesen Schlamassel hineingeraten wollte.
„Das wären sie auch so, keiner ist freiwillig hier.“ Das stimmt, freiwillig war ich mit Sicherheit nicht hier.
„Was macht sie so besonders, hm?“
„Vieles.“
„Warum sollte ausgerechnet sie etwas über deine Schwester wissen? Sie ist eine Normalsterbliche!“
„Es geht doch nicht nur um meine Schwerster!“, zischte er.
„Ach nein? Um was dann? Du willst mir doch nicht weiß machen, dass du etwas für sie empfindest?“
„Das geht dich gar nichts an!“
„Natürlich geht es mich was an. Ich will nicht nur dein Betthase sein“, beschwerte sie sich mit verletztem Stolz.
„Dreh den Spieß bloß nicht um! Du weißt genau, dass die Dinge so nicht hätten laufen müssen.“
„Hör doch auf die Realität zu verdrehen. Es musste so kommen und daran haben wir beide keine Schuld.“
„Du denkst, du weißt alle oder? Es ist meine Entscheidung, wem ich etwas erzähle und wen ich liebe, nicht deine!“
„Es wird aber zu meiner, wenn du uns in Gefahr bringen willst.“
„Das ist schwachsinnig und Zeitverschwendung.“
„Belüge dich doch nicht selbst. Als ob du auch nur den Hauch von Liebe für sie empfinden würdest, du weißt das das unmöglich ist. Außerdem hast du je etwas für eins der toten Mädchen empfunden?“
Stille herrschte zwischen den beiden, die mich beinahe umbrachte. Wieder hatten sich nur unzählige, weitere Fragen aufgetan. Immer noch wusste ich nicht sicher, ob er mit mir spielte oder es ernst meinen wollte. Er verhielt sich so eigenartig und mysteriös, warum konnte er nicht ein einziges Mal klar sagen, was er denkt und fühlt? Ein Statement würde mir doch schon reichen.
„Das hat doch überhaupt nichts mit den Mädchen zu tun“, erklärte er und machte eine kurze Pause, um seine Gedanken sammeln zu können. Doch bevor er diesen Gedanken fortsetzen konnte, kam ihm Laureen zuvor:
„Tue nicht so als wären sie nur irgendwelche Gegenstände, immerhin ist ihr Tod dein Verdienst.“ Waren das wirklich ihre Worte gewesen? So emphatisch und menschlich? Auch wenn ich sie hassen wollte, so machte dieser Satz sie beinahe sympathisch.
„Wie oft denn noch? Sie wären unabhängig von mir auch gestorben!“, schrie er so laut, dass ich nun nicht mehr leugnen konnte, nichts von ihrem Gespräch mitbekommen zu haben.
„Seit wann interessierst du dich für jemand anderen außer für dich selbst?“
„Was du getan hast habe ich noch nie befürwortet“, versuchte sie seiner Frage aus dem Weg zu gehen.
„Ja, weil du eifersüchtig warst“, lachte er und verstummte.
„Na klar, du denkst auch du bist unwiderstehlich.“
„Ach hör doch auf, du bist wohl das gefühlloseste Wesen, auf das ich je gestoßen bin.“
„Besser als so verletzlich zu sein, wie du es bist.“
„Ich suche doch nur jemanden der gegen den Grafen etwas tun könnte.“
„Und du denkst dieses kleine Menschenkind könnte uns helfen?“, fragte sie und fing an zu lachen.
„Sie könnte der Schlüssel dorthin sein. Vielleicht kennt sie den Ort des letzten Amulettes. Was denkst du wonach mein Vater die ganze Zeit sucht. Uns rennt die Zeit davon, wir müssen endlich handeln bevor es zu spät ist.“ Bevor was zu spät ist? Was zur Hölle lief hier? Für was sollte ich der Schlüssel sein? Warum besprachen sie das Ganze nicht mit mir zusammen, wenn ich anscheinend so wichtig für diese Sache war?
„Das weiß ich, das wissen wir alle. Nicht nur ihr lebt in Angst. Er könnte diesen Ort jede Sekunde entdecken und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er zu viel Macht besitzen wird. Aber es waren doch schon so viele, warum sie? Ich verstehe, dass du deine Schwester wieder haben möchtest, aber sie wird nicht der Weg dort hin sein, vertraue mir“, unterbrach sie ihn fast einfühlsam und ließ mich langsam stutzig werden, ob sie immer noch Laureen war.
„Warum sollte ich dir vertrauen? Sie ist anders und ich weiß, dass du das auch bemerkt hast. Du bist doch nur eifersüchtig.“
„Ich? Das hättest du wohl gerne“, quietschte sie übertrieben hoch und versuchte ihre offensichtliche Eifersucht zu verstecken. Das gefiel mir. Nicht nur ich war eifersüchtig auf sie, sonder auch sie auf mich. Immerhin etwas.
„Ich habe keinen Grund eifersüchtig zu sein. Ich meine nur, dass sie ein einfacher Mensch ist und...“
„Oh Gott du redest schon wie mein Vater! Ihr seid alle so engstirnig. Wir leben nicht mehr im letzten Jahrhundert! Ihr solltet echt mal lernen zu vertrauen!“, schrie er aufgebracht.
„Vertrauen? Vertrauen hat den toten Mädchen auch nichts gebracht“, zischte sie und beendete damit das Gespräch zwischen den beiden.
Kurz darauf wurde die Türklinke herunter gedrückt und der Junge stürmte in den Raum. Die Blicke zu Boden gesenkt atmete er schwer aus und setzte sich mir gegenüber.
„Wir sind hier wegen dem Grafen“, wiederholte er sich. Ohne sich für sein langes Verschwinden zu entschuldigen. Ohne auf das Gespräch von Laureen und ihm einzugehen und ohne danach zu fragen was ich eigentlich noch wollte. Ehrlich gesagt wusste ich das selbst nicht so recht, weshalb ich es erst mal auf mich zukommen ließ. Ich runzelte die Stirn, denn ich hatte mich bereits auf die Frage, ob ich gelauscht hätte, eingestellt.
„Der Graf auf dem Gemälde? In der Empfangshalle?“, fragte ich schnell, um meine Gedanken verschwinden zu lassen.
„Ja, er ist sehr mächtig. Er kann uns kontrollieren. Nur nicht die Leute die diese Amulette tragen,... bis jetzt“, erklärte er schnell und verschränkte seine Hände in einander. Wieder wirkte er gehetzt und so langsam bekam ich den Verdacht, dass Laureen etwas mit seiner Unruhe zu tun haben musste. Er verstummte und versuchte meinen Gesichtsausdruck zu analysieren.
Erneut runzelte ich die Stirn und riss die Augen weit auf. Ich richtete meine Blicke auf seinen Mund und hoffte einen Funken von Lachen erspähen zu können, doch sein Gesicht war versteinert ernst.
Was sollte ich denn jetzt darauf antworten? Was genau erwartete er von mir? Was auch immer er da versuchte mir zu erklären, es klang verrückt und es war verrückt. Mir war zum Lachen zu mute, aber sein ernster Gesichtsausdruck verhinderte auch nur das Aufkommen eines sachten Lächelns.
Nervös biss er auf seine Lippe und griff an seinen Hals. Er umklammerte das Band seiner Kette, dessen Anhänger ich noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte.
Das Band war aus fetten Leder und ich erwartete einen großen Anhänger daran. Zögernd machte er seine Kette ab und legte sie auf den Tisch zwischen uns. Ich starrte sie eine Weile an und ließ mich von ihrem Glitzern faszinieren.
Das Amulett war rund und hatte in der Mitte einen strahlenden, roten Kristall. Es wurde mit Gold umrandet und wirkte dadurch unbezahlbar.
Er nahm die Kette vom Tisch und legte sie mir behutsam in die flache Hand. Es muss wohl echtes Gold gewesen sein, denn nachdem er das Amulett völlig in meine Handfläche gelegt hatte, sackte meine Hand etwas nach unten.
Seine Blicke kontrollierten meine Bewegungen und er gab mir zu verstehen, dass es ihm sehr wichtig war. Meine Hände begannen schwitzig zu werden. Ich konnte ein echter Tollpatsch sein und somit bekam ich angst, es fallen lassen zu können.
Und was sollte ich jetzt davon halten? Dieses Amulett beweist nichts! Was wenn er mich nur reinlegte? Mich testete? Wenn sie mit Absicht so laut gesprochen hatten, damit ich es verstehen konnte?
„Der Graf möchte die Welt kontrollieren! Er...“, erneut wurde er von einem Klopfen an der Tür gestört.
„Ja!“, rief ich energisch, da er offensichtlich versuchte das Klopfen zu ignorieren. Und schon wieder war es Laureen. Selbstbewusst schritt sie in den Raum und legte ein paar Sachen auf den Tisch.
„Ich dachte mir du solltest etwas anderes anziehen, nicht das du krank wirst.“ Ich lächelte ihr zu und nickte. Vielleicht war sie gar nicht so unfreundlich, vielleicht war es wirklich nur die Eifersucht, die zwischen uns stand. Erst jetzt fiel mir wieder auf, dass ich immer noch nasse Kleidung trug. Bevor sie mich drauf angesprochen hatte, konnte ich das ziemlich gut ignorieren, aber jetzt wo ich es wusste, störte es mich.
„Wo kann ich mich denn umziehen?“
„Komm einfach mit, nicht weit von hier ist das nächste Häuschen.“ Ich wollte aufstehen, doch dann erinnerte ich mich an ihre unfreundliche Art zuvor. Unschlüssig sah ich in die Augen des Jungen und forderte ihn auf mir zu sagen, ob ich ihr trauen könnte.
„Warte, wir können auch kurz vor die Tür gehen“, meinte er, stand auf und verließ kurz darauf den Raum mit Laureen. Ich wartete noch einen Moment, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war und zog mich schließlich hektisch um.
Ich hatte die Befürchtung er könnte jede Sekunde ungefragt reinplatzen. Flink steckte ich die nassen Sachen in meine Handtasche und öffnete schließlich die Tür. Laureen war bereits verschwunden. Zusammen setzten wir uns wieder und er fuhr fort:
„Wo waren wir stehen geblieben?“
„Irgendwas mit dem Grafen.“
„Richtig, er ist bereits das mächtigste Wesen, dem ich je begegnet bin und seine Macht steigt mit jeder Sekunde. Er überwacht uns alle und er kann uns kontrollieren. Ihm fehlen nur noch ein paar der Amulette und... “ Kurz verstummte er.
Er räusperte sich einmal und wollte gleich fortfahren, doch ich kam ihm zuvor. Dachte er wirklich ich könnte ihm einfach so glauben? Auch wenn ich ziemlich naiv war, so glaubte ich doch nicht jeden Scheiß.
Der Graf? Schon allein mein gesunder Menschenverstand sprach gegen die Dinge, die er versuchte mir einzureden. Doch ergaben sie erschreckender Weise Sinn, wenn ich an den ersten Tag hier dachte, wo ich ganz genau gesehen hatte, wie sich die Hand des Grafens bewegt hatte. Vorausgesetzt ich hatte mir das aufgrund meines Schlafmangels nicht eingebildet.
„Und wie genau,... also wie soll ich dir denn jetzt dabei helfen? Also nehmen wir mal an, dass du diese Story nicht aus einem Märchenbuch gestohlen hast?“
„Ich wusste du könntest mir nicht glauben, aber dazu werden wir noch kommen, du musst vorher noch vieles Weitere verstehen.“
„Hm“, brummte ich unzufrieden, denn ich hatte immer noch keine Ahnung wie ich darauf reagieren sollte.
„Also er überwacht uns, indem er in uns hinein geht und durch unsere Augen sieht, wen wir gerade treffen und was wir tun. Mich hat dieses Wissen anfangs sehr erschreckt, aber mittlerweile habe ich mich wohl dran gewöhnt. Mir blieb ja auch nichts anderes übrig. Jedenfalls fehlen ihm noch genau zwei Amulette. Meins und ein weiteres. Doch von welchem Stammbaum weiß ich leider nicht.“
„Stammbaum? Was meinst du damit?“, unterbrach ich ihn bevor er weiter von seinen Fantasien erzählte.
„Na ja also wir nennen das nur so. Jede reinblütiege Familie von Vampiren, Werwölfen und so weiter besitzt normaler Weise eins dieser Amulette“, antwortete er und gab mir eine kurze Pause, um zu verstehen was er mir gerade versucht hatte zu erklären.
Nun hatte ich wirklich Probleme nicht in einem elendigen Lachanfall zu enden. Ich meine Vampire? Werwölfe? Also ich habe ich ja schon eine Menge verrückter Dinge erlebt, aber das jemand so besessen von der Idee dieser übernatürlichen Wesen war, ist mir noch nicht unter gekommen! Das Thema und seine verwunderliche Ernsthaftigkeit zauberte mir ein breites Lächeln auf die Lippen, das einfach nicht mehr verschwinden wollte.
„Und warum genau hat er dein Amulett noch nicht bekommen? Wenn er so viel mächtiger ist als du?“
„Ich weiß es nicht genau. Früher konnten wir ihn als Gruppe besiegen, aber schon vor...ähm also seit dem letzten Mal ist es uns sehr schwer gefallen und mittlerweile ist es unmöglich geworden.
Ich weiß nicht worauf er wartet, aber ich bin mir sicher, dass bald der nächste Angriff kommen wird.“ Seine Augen waren weit aufgerissen und aus dem nervösen Kneten seiner Finger konnte ich schließen, dass ihn die Gedanken ängstigten.
„So und warum genau erzählst du mir das nochmal? Ich bin ja schließlich keine Hexe die in die Hände klatscht und dein „Problem“ ist gelöst.“
„Geduldige dich, das kommt noch und könntest du mir einen Gefallen tun?“
„Kommt auf den Gefallen an.“
„Könntest du aufhören das Ganze ins Lächerliche zu ziehen?“
„Es ist aber verdammt witzig, wie du wirklich versucht mir weiß zu machen, es gäbe Vampire und Werwölfe. Auf den Kopf gefallen bin ich nicht.“
„Das ist kein bisschen lustig! Die Sache ist ernster, als es mir lieb ist!“, zischte er.
„Ist ja gut, ich kann`s versuchen. Aber das was du versuchst mir zu erklären, hört sich für mich sehr suspekt an“, gab ich zu und stützte meinen Kopf auf meinen Händen ab. Meine Augen wurden immer müder und ich begann mich zu fragen, wie lange wir hier wohl schon hockten. Ungeduldig starrte ich auf die Uhr über der Tür. Doch sie konnte mir nicht weiterhelfen, da sie genau auf zwölf Uhr stehen geblieben war.
„Das Problem ist, dass er uns überwachen kann. So können wir keine Gespräche versteckt vor ihm halten. Er kennt das ganze Gebiet hier, außer diesen versteckten Ort. Er ist mit einem Schutzzauber belegt. Doch der Zauber wird immer schwächer und er stärker. Draußen können wir nicht mit einander sprechen. Deshalb musste ich vorhin unbedingt verhindern, dass du uns auffliegen lässt.“
„Ja ich erinnere mich. Du warst so freundlich.“
„Ich weiß, es tut mir leid, aber ich wusste nicht wie ich dich sonst zum Schweigen hätte bringen können.“
Es war absurd ihm zu glauben und ich wollte mich dagegen sträuben. Er brachte es jedoch mit so einer Ernsthaftigkeit rüber, dass ich anfing mich mit einigen Sachen aus dieser mysteriösen Welt anfreunden zu können. Er war so unheimlich überzeugt und ihm lag viel daran, dass ich ihm glauben würde.
„Ich zeige dir diesen Ort, weil du besonders bist.“
„Ich weiß“, lachte ich mit einem Hauch von Arroganz und strich eine Haarsträhne zur Seite, die mich schon mehrere Minuten nervte.
„Alex, wirklich! Du bist besonders. Ich habe gemerkt, dass der Graf dich nicht kontrollieren kann und ich erhoffe mir davon, dass du uns vielleicht helfen kannst. Die... Zeichnungen von den toten Mädchen... sie sind von ihm. Er muss dich also schon einmal gesehen haben und er will dich.“
„Das Bild!“, schoss es mir erneut in den Kopf. Doch leider konnte ich diesen Gedankengang nicht für mich behalten.
„Was?“
„Nichts.“
„Welches Bild“, hakte er nach und hob seine heruntergefallene Jacke auf.
„Na ja... das in der Empfangshalle. Als ich hier angekommen bin, habe ich gesehen wie sich der Graf auf dem Bild bewegt hat und...“
„Also glaubst du mir?“, fragte er mit weit aufgerissenen Augen, die endlose Hoffnung ausstrahlten. Langsam legte sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen, das die angespannte Stimmung etwas auflockerte.
„Ich denke eher, dass ich mir das aufgrund des massiven Schlafmangels eingebildet habe.“
„Nein!“
Nein? Na gut es hatte sich wirklich sehr real angefühlt, aber diesen ganzen Quatsch konnte ich trotzdem nicht glauben. Vielleicht sollte er sich mal bei einem Psychologen vorstellen? Der könnte ihn sicher von diesem übernatürlichen Quatsch wegbringen.
„Ist ja auch egal,... aber warum sollte er mich nicht kontrollieren können? Ich bin wie jeder normale Mensch!“, legte ich Widerspruch ein, verschränkte erwartungsvoll die Arme vor der Brust und lehnte mich lässig nach hinten. Ein weiteres Mal schwiegen wir beide. Da er auf meine Äußerungen nicht eingegangen war, verdrängte ich diese Frage und fuhr fort:
„Was sind das für Wesen?“
Ich versuchte mich auf seine schrägen Gedanken einzulassen und war gespannt, wo diese mich wohl noch hinführen würden.
„Das sind Panuletas. Du solltest sie allerdings nicht unterschätzen. Sie sind nicht ganz ungefährlich und schnell reizbar. Wenn du sie nervst, schrecken sie nicht davor zurück dich umzubringen.“
„Also eine Art Killermeerjungfrau oder was?“
„Hörst du mir nicht zu?“, fragte er verärgert und lehnte sich mit einem genervten Augenrollen nach hinten. Was hatte ich denn jetzt schon wieder gemacht? Das war doch nur eine einfache Frage. Ich dachte ich sollte Fragen stellen? Also entscheiden konnte er sich auch nicht.
„Meerjungfrauen? Völliger Schwachsinn! Wer sich diesen Quatsch nur wieder ausgedacht hat? Als ob es etwas perfektes auf der Welt geben würde. Sie tragen ihre Emotionen immer nach außen, sodass es wirklich jeder mitbekommt. Na ja ihr Problem sind einfach die Stimmungsschwankungen.“
„Wenn wir jetzt einfach mal davon ausgehen, du hättest das nicht eben mal erfunden, dann stelle ich mir das ziemlich ätzend vor.“
„Wieso?“
„Wenn jeder immer sehen kann wie es einem geht? Das ist doch ätzend und wenn du heimlich auf jemanden stehst, bekommt er das auch direkt mit, klasse.“
„Hm, ja mag sein.“
Plötzlich scharrte etwas auf dem Boden. Als hätte er sich an die vergessene Wäsche erinnert, sprang er auf. Nervös wanderten seine Blicke die Wände entlang und kurz darauf begann er durch den kleinen Raum zu wandern.
Nachdem er ein paar schnelle Runden gedreht hatte, blieb er am Fenster stehen und ließ im Takt seine Finger an die Scheibe klopfen.
„Ich muss dir etwas sagen“, murmelte er plötzlich unverhofft und drehte sich zögernd zu mir um. Erneut begann er seine Finger durchzukneten und kauerte unbewusst auf seiner Unterlippe herum.
Ich kannte dieses Verhalten nicht von ihm und zog daraufhin eine Augenbraue kritisch hoch. Was machte ihn so nervös?
„Ja?“
„... Ich ähm“, er verstummte wieder, räusperte sich kurz und begann noch mal von vorne:
„Ich also... ähm...“ Was? Was konnte ihm nur so schwer fallen mir zu verraten? Hatte es etwas mit Laureen zu tun? Waren sie doch zusammen? Verdammt, was war es?