„Du warst es schon immer“, erklang eine helle Stimme in der Dunkelheit.
„Was war ich schon immer?“, hauchte ich unsicher und fragte mich, wann diese Schwärze von meinen Augen verschwinden würde.
„Ein Vampir. Der Biss hat nur deine wahre Bestimmung zum Vorschein gebracht.“
„Noch darfst du kein Blut trinken. Keinen einzigen Tropfen, hast du verstanden?
„Wieso?“
„Sonst wirst du scheitern.“
„Wer bist du? Und woher...“
„Bei dem Sprung durchs Bild seid gewarnt. Verschwommene Gedanken können euren Tod bedeuten.“
„Warte was? Wer bist du? Und woher weißt du,...“
„Ihr müsst euch an die dunklen Gänge erinnern, eure Gedanken dürfen nur darum kreisen, wenn ihr diesen gefährlichen Sprung wagt. Ansonsten könnt ihr in der Endlosigkeit landen.“
„Wer bist du?“, rief ich nun energischer und hoffte ich würde endlich eine Antwort bekommen.
„ Und aus dieser Endlosigkeit werdet ihr nie herauskommen. Beeilt euch, das Zeitfenster schließt sich“, erklang die zarte Stimme zum letzten Mal und verschwand mit einem ohrenbetäubenden Rauschen. Hitze stieg in mir auf. Noch bevor ich ein weiteres mal nach ihr fragen konnte, begann das Schwarz um mich herum unruhig zu werden und mit einem Wimpernschlag war es verschwunden. Stattdessen wurden die Umrisse immer deutlicher und ich erkannte schließlich, dass wir uns im Hotel befanden.
Mit einem Schlag war ich hellwach und wollte aus dem Bett springen. Doch etwas umklammerte mich fest von hinten und ließ mich nicht los. Verwirrt drehte ich mich um und sah Leandro, wie er sich dicht an mich kuschelte und ruhig schlief.
Ich erschrak als ich meine Taten erkannte, die sich in seinem verunstalteten Gesicht widerspiegelten. Schrammen lagen auf seiner zarten Haut und mussten erst vor kurzem aufgehört haben zu bluten. Eine lange Schramme zog sich auf seiner linken Gesichtsseite entlang, deren Blut noch nicht ganz getrocknet war. Blaue Flecken lagen auf seinen nackten Armen und machten mir ein schlechtes Gewissen. Ewigkeiten musste ich ihn fassungslos angestarrt haben, bis er schließlich wach wurde und mich fragend ansah.
„Leandro, ich wusste nicht was ich da tat...“, log ich und wand meine Blicke von ihm ab. Natürlich hatte ich gewusst was ich ihm antat. Und ich erinnerte mich daran, dass es mein Wunsch gewesen war ihn so zuzurichten. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Warum hatte ich die Kontrolle so schnell verloren? Nur weil er mir ein paar provozierende Worte an den Kopf geworfen hatte. So groß war also mein Wunsch nach Rache gewesen? So groß, dass ich sein ganzes Gesicht zerkratzt hatte.
„...das musst du mir glauben!“, schrie ich besorgt. Was wenn er sich nun von mir abwenden und gehen würde? Ich wusste dass ich auf seine Hilfe angewiesen war. Unsicher wanderten meine Blicke zu seinem Handgelenk, an dem sich blutige Fingerabdrücke befanden. Waren das wirklich meine Spuren? Ich konnte kaum glauben, dass ich zu so etwas überhaupt fähig war.
„Ist schon gut. Es ist ja schließlich meine Schuld gewesen.“
„Wie meinst du das?“, fragte ich und richtete mich auf. Als hätte jegliche Energie meinen Körper verlassen, fühlte ich mich völlig schwach. Schweigend starrte ich der Wand mit gegenüber entgegen und wagte es nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
„Ich habe dich mit Absicht provoziert. Ich wollte wissen wie viel Kraft du wirklich hast, aber dafür musste ich dich so richtig wütend machen. Also fühle dich nicht schuldig und hör auf so starr die Wand anzuglotzen.“
Zögernd drehte ich mich wieder zu ihm um und musterte ihn von unten bis oben. Dabei fiel mir auf, dass er sein Lederband immer noch um den Hals trug. Warum hatte das Amulett nicht funktioniert?
„Warum hat das Amulett dich nicht geheilt.“
„Ich dachte du solltest sehen zu was du wirklich im Stande bist.“
„Hast du nicht gesagt ich hätte keine Schuld daran?“
„Ja das habe ich. Du sollst wissen, dass du stärker bist, als du vielleicht glaubst.“
„Ja und?“, unterbrach ich ihn ungeduldig, da ich das Gefühl bekam er würde endlos weit abschweifen und dafür fehlte uns die Zeit.
„Ich habe das Gefühl, dass du dich immer noch hinter mir verstecken willst und wenn wir den Grafen wirklich zur Strecke bringen wollen, dann bringt es uns beiden nichts, wenn du dich auf meinen Schutz verlässt. Ich kann schließlich nicht über all sein.“
„Wenn du meinst“, brummte ich unzufrieden und drehte mich zur Bettkante um meine Beine hinunterbaumeln zu lassen.
„Außerdem brauchen wir die Magie des Amulettes eher für den Kampf“, fügte er entschlossen hinzu und rutscht etwas weiter weg von mir. Wahrscheinlich hatte er sogar recht, mit dem was er sagte. Ich wollte mich immer noch hinter ihm verstecken, darauf vertrauen er könnte mir in jeder Situation helfen. Wie sollte er mich auch beschützen, wenn er sich selbst vor ihm fürchtete?
Noch war meine erste Begegnung mit ihm so weit entfernt, dass ich keinerlei Angst verspürte. Diese würde schon früh genug kommen.
„Hast du sie gesehen?“, fragte ich vorsichtig und hatte zugleich Angst vor seiner Antwort.
„Wen?“
„Meine Eltern, meine Geschwister?“
„Nein leider nicht.“ Wieder spürte ich dieses schwere Gefühl von Enttäuschung und hätte mich am liebsten verzweifelt und weinend in seine Arme geworfen. Aber dafür hatten wir keine Zeit.
„Dann lass uns gehen.“ Mit diesen Worten stand ich mühsam auf und schlich zum Kleiderschrank, um mich dort abstützen zu können. Meine Beine waren zittrig, mein Kopf schwer und meine Augen müde.
„Du bist ja ganz schwach, wir sollten lieber noch etwas warten.“
„Quatsch, mir geht’s gut. Lass uns gehen wir haben keine Zeit mehr“, log ich und begann nach meiner Tasche zu suchen. Die Stimme hatte gesagt, dass Zeitfenster würde sich bald schließen und genau das machte mir Sorgen. Ich hatte keine Ahnung wem sie gehört hatte und woher sie all diese Dinge wusste, trotzdem ging ich vorerst davon aus, sie würde die Wahrheit sagen.
Leandro stand auf und kam auf mich zu gelaufen. Entschlossen griff er sich an den Hals und holte sein Amulett hervor. Er öffnete den roten Kreis in der Mitte und wollte es mir in die Hand drücken.
„Was soll das werden?“, fragte ich besorgt und wich einen Schritt zurück.
„Trink einen Tropfen, es wird dir helfen.“
„Vergiss es!“
„Bitte.“
„Nein, das kannst du vergessen. Ich werde dein Blut nicht trinken.“
„Aber so wird das Nichts“, versuchte er mich umzustimmen und hielt mir das Amulett mit seinem Blut unter die Nase. Angewidert verzog ich das Gesicht, als mir der Geruch von Eisen in die Nase trat. Er war so intensiv, dass ich mich fragte wie ich jemals das Blut anderer trinken sollte.
„Nein, ich darf nicht. Nicht jetzt.“
„Wie kommst du darauf?“
„Das ist nicht wichtig, lass uns gehen.“
„Bitte, es wird dir wirklich helfen“, sagte er konsequent und blickte mir durchdringend in die Augen.
Ich spielte mit dem Gedanken ihm die Wahrheit zu sagen. Über mich, das Mädchen und die Stimme. Aber was wenn es zu gefährlich für sie war? Wenn vielleicht sogar sie die Stimme gewesen war? Nein, ich hatte versprochen zu schweigen. Außerdem war ich immer noch sauer auf ihn. Verdammt er hatte bestimmt mit dieser Laureen rumgeknutscht, während ich versucht hatte von den Toten aufzuerstehen.
Andererseits wollte ich nicht schon wieder die Böse spielen. Die Stimmung zwischen uns war weiterhin angespannt, aber es war erträglich. Gerade jetzt, wo uns so etwas Großes bevor stand, durften wir uns keine Fehler leisten und schon gar nicht wegen so etwas!
„Du lagst richtig. Ich bin ein Vampir. Dein Biss hat meine Bestimmung nur zum Vorschein gebracht. Ich habe keine Ahnung was dein Blut mit mir anstellen würde. Ich weiß nur, dass ich gerade jetzt keins trinken soll“, gab ich zu und schwang mir meine schwarze Tasche seitlich über. Ich öffnete sie und suchte prüfend nach meinem Handy. Gleichgültig legte ich es wieder zurück als ich es gefunden hatte.
„Wo her weißt du das?“
„Ich kann es dir nicht sagen, ich weiß es einfach“, schnaufte ich und bückte mich, um nach dem Bild unter meinem Bett zu suchen. Wenn wir wirklich durch das Gemälde springen mussten, dann brauchten wir etwas, das uns half den richtigen Ort zu finden.
„Damit werde ich mich nicht zufrieden geben.“
„Ach nein? Ich schätze das wirst du aber tun müssen“, lachte ich amüsiert und griff endlich nach dem richtigen Bild.
Mir war klar, dass ich ihn damit zur Weißglut brachte, aber in dieser Situation durfte ich ihm einfach nicht mehr verraten. Ob ich nun wollte oder nicht. Mit seiner Sturheit und seinem Wissensdurst erinnerte er mich so sehr an mich selbst. Ich wollte mich mit seinen knappen Antworten auch nicht zufrieden geben, aber ich hatte keine andere Wahl gehabt und die hatte er jetzt wohl auch nicht.
„Woher weißt du das alles? Du tust so als wärst du ein Wissenswandler!“
„Was wo von redest du?“, fauchte ich genervt. Er wusste genau dass ich mit seinen Worten nichts anfangen konnte. Das war also seine Art sich zu rächen? Dafür das ich ihm nicht die Wahrheit sagen konnte? Er tat das Gleiche mit mir? Kindisch!
„Was soll das eigentlich? Musst du wirklich jetzt versuchen mich zu verwirren? Glaub mir ich würde dir gerne sagen woher ich es weiß, aber ich kann nicht. Es ist verdammt kindisch von dir, sich so an mir zu rächen.“
„Du kannst nicht? Schon klar, du willst doch nur Geheimnisse vor mir haben, weil ich auch welche habe. Du bist die, die sich hier rächen will“, verteidigte er sich und begann durch den Raum zu laufen.
„So was ist kindisch und dafür fehlt uns die Zeit. Ich kann es dir nicht sagen, weil ich sonst jemanden verraten würde, der meine Hilfe braucht.“
„Ich kann schweigen.“
„Das glaub´ ich dir gerne, aber ich habe es ih... ich habe es versprochen.“
„Du redest Schwachsinn. Wir waren die ganze Zeit zusammen unterwegs, du hattest nicht einmal die Zeit dazu mit jemanden zu reden, ohne dass ich es mitbekommen hätte“, warf er in die Runde und blieb wieder stehen.
„Ich weiß es von einer Stimme.“
„Was redest du?“
„Keine Ahnung von wem sie kommt oder wem sie gehört, aber sie hat mir davon erzählt.“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst oder?“, fragte er kopfschüttelnd, stemmte die Arme hinter den Kopf und begann sich energisch zu drehen. Ich gab es auf. Er war genauso stur wie ich. Unter normalen Umständen hätte ich das mit ihm Ewigkeiten ausdiskutiert, aber jetzt stand zu viel auf dem Spiel. Na gut ich muss wohl zugeben, dass die Stimme in meinem Kopf vielleicht nicht das überzeugendste Argument gewesen war. Trotzdem hatte er keine Anstalten gemacht mir irgendwann einfach vertrauen zu können.
Vorerst vergaß ich diese Diskussion, riss mich zusammen und nahm das Bild an mich, um schleichend den Raum zu verlassen. Schleppend lief ich in den Flur und hoffte er würde mir bald folgen.
Angespannt blieb ich vor der Treppe stehen und betrachtete das Gemälde kritisch. Wie sollten wir jemals durch dieses Bild springen? Der Abstand war nicht besonders groß, aber das Geländer war dazwischen und meine Höhenangst machte es mir bestimmt nicht einfacher. Zudem fühlte ich mich immer noch schlapp und schwach, aber das wollte und konnte ich vor ihm nicht zugeben.
Seichte Schritte näherten sich und schließlich stand er gedankenversunken hinter mir. Ich drehte mich um und hielt ihm die Zeichnung hin.
„Was soll ich damit?“
„Woran denkst du gerade?“
„Was hat das mit dem Bild zu tun?“, hakte er nach und ließ seine Blicke über das Papier wandern.
„Woran denkst du?“
„Na schön, an,.. den Baumst,... also an den Werwolfangriff. Warum?“ Wollte er gerade wirklich Baumstamm sagen? Kurz fing ich zu schmunzeln an. Hätte ich nicht so viel um die Ohren würde ich vielleicht auch an diesen Nacht zurückdenken. An die Nacht wo ich mich bedingungslos auf ihn eingelassen und mich in ihn verliebt hatte. Doch wir hatten keine Zeit, also verwarf ich den Gedanken schnell wieder und konzentrierte mich auf das Wichtigste.
„Sieh es dir an und stell dir diese Gänge vor. Wenn wir durch das Bild springen, dürfen wir an nichts anderes denken. Sonst landen wir... wo anders“, erklärte ich und wand mich dem Geländer wieder zu. Ich versuchte es mit einer Leichtigkeit zu erklären, damit wenigstens er sich keine Gedanken darüber machte. Es war genug, dass ich mich vor diesem Sprung fürchtete und mir selbst kaum vorstellen konnte, wie das um Himmelswillen funktionieren sollte.
Vorsichtig legte ich meine Fingerspitzen auf das kalte Holz und blickte nach unten.
„Was? Also langsam wird es wirklich verrückt. Nur weil wir Vampire sind, müssen wir nicht freiwillig gegen eine Wand springen“, beklagte er sich und kam auf mich zugelaufen. Kalte Finger legten sich auf meine Taille und zogen mich etwas weiter weg vom Geländer.
„Hörst du mir nicht zu? Ich rede ja auch nicht von einer Wand, sondern von dem Bild dort drüben“, entgegnete ich doch freundlicher als geplant. Er sollte seine Finger von meiner Taille nehmen! Diese Annäherung würde doch nichts an meiner Einstellung ändern.
„Das ist völlig Irrsinnig.“
„Kannst du mal aufhören alles was ich vorschlage anzuzweifeln? Vertrau mir doch mal! Das musste ich schließlich auch schon“, schlug ich hastig vor und drehte mich zu ihm um. Plötzlich standen wir uns wieder so nah, dass ich die Befürchtung bekam, er würde mich gleich küssen. Nicht dass ich es es nicht wollen würde, ich war einfach nur skeptisch.
Natürlich wollte ich mich mit ihm vertragen, vor allem jetzt, aber was wenn ich es bereuen würde? Wenn der Brief Wirklichkeit war? Was wenn er mich sogar an den Grafen ausliefern wollte? So wie es im Brief angedeutet wurde?
Meine Gedanken überschlugen sich und wurden immer verrückter. Vielleicht sollte ich gerade jetzt nicht vergeben.
„Meinst du die Panuletas?“ Zögernd nickte ich und wartete darauf, dass er weiter sprach.
„Das war was völlig anderes! Ich habe schließlich nicht verlangt, dass du mit mir durch eine Wand...“
„Bild“, unterbrach ich ihn grinsend.
„Was?“
„Wir müssen durch ein Bild springen, ich habe nicht von einer Wand gesprochen“, hauchte ich belustigt in seine Ohr und befreite mich aus seinen Griffen. Arrogant warf ich mein zerzaustes Haar nach hinten und hob den Kopf ungewöhnlich weit in die Höhe.
„So oder so, es ist verdammt noch mal unmöglich.“
„Und ich dachte dieses Wort kennt ihr hier nicht.“
„Findest du es nicht eigenartig, dass gerade du das zu wissen scheinst?“
„Was willst du damit sagen?“, fauchte ich beleidigt und riss ihm die Zeichnung aus den Händen.
„Ich habe Jahre lang Unterricht gehabt, um mich für meine spätere Position vorzubereiten. Ich habe gebüffelt bis zum geht nicht mehr, um mich in dieser Welt zurechtzufinden und jetzt willst gerade du mir erklären, dass dieses Bild eine Art magisches Portal ist? Ich bitte dich.“
„Du musst ja nicht mitkommen.“
„Ach komm schon, versuch mich bloß nicht schon wieder auf diese Tour umzustimmen. Ich weiß nicht welche Stimmen gerade durch dein Hirn spuken, aber was du vor hast ist absolut wahnsinnig und lebensmüde.“
„Wie du meinst. Hast du denn eine bessere Idee?“, stöhnte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nein, aber ich werde bestimmt nicht durch eine Wand springen!“
„Vertraust du mir?“, fragte ich und griff nach seiner Hand. Überzeugt und selbstbewusst starrte ich in seine Augen und hoffte ihn somit für diese Idee begeistern zu können. Ich konnte gut verstehen warum er meine Theorie anzweifelte.
Wahrscheinlich würde ich an seiner Stelle mir auch nicht glauben können. Ich meine da erzählt eine verrückte Stadtgöre, die sich bisher nur Sorgen über ihren Kleidungsstil, ihren Status und ihr Ansehen gemacht hat, etwas, das für einen gelehrten Vampir völlig Irre klingt und verlangt wohl auch noch, dass er ihr auf Anhieb glaubt.
Ich wusste selbst nicht wo her meine Überzeugung kommt. Immerhin verlangte eine unbekannte Stimme, ich solle doch mit vollem Schwung durch ein Bild, mitten im Nirgendwo springen. Es klang verrückt, es war verrückt, aber es war mein einziger Ansatzpunkt. Und Zeit für Zweifel hatten wir nicht.
„Dir? Ja bedingungslos, aber nicht dieser komischen Stimme in deinem Kopf, die dich dazu anstiften will, Selbstmord zu begehen.“ Bedingungslos? Fast hätte ich einen Lachanfall bekommen. Also von bedingungslos konnte wohl kaum die Rede sein. Er zweifelte alles an was ich von mir gab.
„Dann nicht. Wenn du zu feige bist, dann lass es eben sein. Ich werde springen“, sagte ich fest entschlossen und betrachtete das Bild erneut. Angespannt versuchte ich mir die Umgebung so gut es ging in Erinnerung zu rufen, ehe ich ihm die Zeichnung wieder in die Hand drückte.
„Alex was soll das? Du weißt genauso gut wie ich, dass das keine Option ist“, versuchte er misstrauisch auf mich einzureden. Ich spürte seine Unsicherheit und die Angst, die sich hinter seinen Worten verbargen. Er sah mir meine Entschlossenheit an und es machte ihm Angst, ich könnte falsch liegen.
„Alex“, rief er mir verzweifelt entgegen und zog mich zurück. Was dachte er damit bezwecken zu können? Er hatte selbst keine Alternative und mein Entschluss stand fest, da konnte selbst er mit seinem Scharm nichts dran rütteln.
„Bitte.“ Lächelnd schüttelte ich den Kopf und riss mich los von ihm. Schwer atmend lief ich auf das Geländer zu. Mit der flachen Hand tastete ich das Holzgeländer ab und stellte fest, dass es mindestens fünf Zentimeter breit war. Das bedeutete wohl, dass ich einen guten Stand haben musste.
Fokussiert richtete ich meinen Kopf gerade aus und setzte den ersten Fuß auf´s Geländer. Mit den Händen stützte ich mich ab und stellte auch den zweiten Fuß dort ab. In der Hocke verharrend, versuchte ich krampfhaft nicht nach unten zu blicken. Ich spannte meinen Bauch an, um das Gleichgewicht halten zu können und hievte mich schließlich in den Stand. Jegliche Erschöpfung war verschwunden und hatte sich in energiereiches Adrenalin verwandelt.
„Schau jetzt bloß nicht runter“, hallten meine leisen Worte durch die Stille. Ich lauschte nach einem Geräusch, doch bis auf mein hämmerndes Herz und den schnellen Atem hört ich nichts. Konzentriert starrte ich dem Gemälde entgegen und machte mich bereit, dass Unmögliche zu versuchen. Mit bewusster Atmung versuchte ich meinen Herzschlag zu verlangsamen, ruhig zu werden und meine Gedanken zu sammeln.
Für eine Sekunde schloss ich die Augen und rief mir die Bilder der Gänge in Erinnerung. Gähnende Lehre herrschte in meinen Gedanken und ich konzentrierte mich nur auf meine Erinnerungen. Ich verlor jegliche Zweifel, dafür war es jetzt sowieso zu spät und sprang mit Schwung vom Geländer ab. Mit den Händen zuerst raste ich auf das Gemälde zu und war kurz davor einzutauchen oder abzuprallen.