Verwirrt zog er die Augenbrauen hoch und für einen Moment dachte ich, er würde endlich seinen Kopf von ihr wegziehen. Doch als sie ihre Hand in sein volles Haar legte und ihn wieder näher an sich heran drückte, hatte er seinen Sorgen und Vorsätze schnell vergessen. Als hätte er sein ganzes Leben auf sie gewartet, zog nun auch er sie näher an sich heran und legte seine linke Hand auf ihren Oberschenkel. Endgültig schloss er seine Augen und fiel über sie her. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich sehen, dass er keinen Funken von Reue verspürte und sich auf ihre Spielereien komplett einließ, ohne über die Konsequenzen nachzudenken und ohne an mich zu denken. Bei diesem einen Kuss beließen sie es nicht. Stattdessen folgten unzählige weitere, wobei sie nicht den Anstand hatten ihre Zungen bei sich lassen zu können.
Langsam wanderten seine Küsse ihren Hals hinunter und mir wurde bewusst, dass ich endlich etwas tun müsste, bevor sie sich die Kleider vom Leib reißen würden.
Eigentlich hätte ich wütend sein müssen, irgendwo tief in mir war ich das auch, aber die Enttäuschung, Traurigkeit und Fassungslosigkeit überdeckten alle anderen Gefühle. In mir zog sich alles zusammen und ohne die Situation wirklich verstanden zu haben, liefen die ersten Tränen meine Wangen hinunter. Meine Glieder begannen schwer zu werden, das Atmen wurde anstrengender und ich spürte wie meine Stimme verschwunden war. Am liebsten wäre ich einfach davon gelaufen. Einfach in das Auto meiner Mutter gestiegen und nach Hause gefahren. Ohne ihn jemals wiedersehen zu müssen und ohne mich verabschieden zu können. Doch so funktionierte das Ganze nicht. Wenigstens sollte er sehen was er angestellt hatte. Er sollte es verdammt noch mal bereuen, so mit mir gespielt zu haben.
Wie konnte er das ausgerechnet heute machen? Wie konnte er mir das heute antun? Er wusste genau, dass mir diese Beerdigung viel bedeutet hatte, vielleicht sogar mehr als ihm. Er hätte für mich da sein müssen und er hätte mir beistehen müssen, doch stattdessen vergnügte er sich mit einer anderen. Aber wie konnte auch Laureen ausgerechnet heute so sein? Auch wenn sie das größte Miststück dieser Erde war, so hatte ich doch gedacht, dass sie ein wenig Anstand hatte. Ich meine bis eben hatten wir noch trauernd um den Sarg seinen Vaters gestanden. Wie hatte sie ausgerechnet jetzt daran denken können ihn flachlegen zu wollen?
Laureen hatte endlich das bekommen was sie sich schon die ganze Zeit gewünscht hatte. Und ich? Ich hatte wieder ein mal nichts. Unentschlossen was ich tun wollte und was ich wirklich tun könnte, stand ich auf und trat dabei auf einen morschen Ast. Das Knacken war lauter als gedacht und somit brachte ich nicht nur Laureen`s Aufmerksamkeit auf mich, sondern auch seine. Erschrocken starrte er mich an und wusste nicht was er zu seiner Verteidigung sagen sollte.
„Alex ich...“
„Arschloch!“, zischte ich bevor er etwas sagen konnte, drehte mich um und lief in die Richtung aus der ich gekommen war. Alex? Was dachte er mit seinen Worten bezwecken zu können? Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen, das was gerade passiert war konnte er unmöglich leugnen. Es gab keine Entschuldigung für so etwas, keine einzige!
Die Wut auf die ich so verzweifelt wartete, blieb immer noch aus. Stattdessen gab es nur diese Leere in mir, dieses Gefühl etwas wichtige verloren zu haben, etwas ohne das man nicht leben wollte. Und genau dieses Gefühl machte mich schwach. Es ließ meine Stimme so kratzen und verheult klingen, dass er genau wusste wie sehr er mir wehtat. Einerseits wollte ich das, ich wollte dass es ihm wirklich leid tat, ich wollte dass er sich dafür schämte. Andererseits glaubte ich daran, dass er diese Art von Reue nicht spüren könnte. Also musste ich möglichst gefasst und unerschüttert wirken. Ich musste wenigstens versuchen ihm zu zeigen, dass es mich nicht im Geringsten störte. Auch wenn das natürlich eine fette Lüge war.
„Alex, bitte warte. Ich...“, er verstummte und blieb neben mir stehen. Behutsam legte er seine Hand auf meine Schulter und zog mich zurück. Energisch schlug ich sie runter und ich wich einen großen Schritt zurück.
„Was? Was willst du mir schon sagen?“, fragte ich empört und zog die Augenbrauen ausdrucksstark nach oben. Vorsichtig kam er mir immer näher und machte den Eindruck als wolle er mich versöhnend in die Arme schließen. War bei ihm eine Sicherung durchgebrannt? Als könnte ich ihm nach ein paar entschuldigenden Worten einfach vergeben. Kopfschüttelnd wich ich jeden Schritt zurück, den er auf mich zumachte.
„Ich versteh dass du wütend bist, aber ich...“
„Wütend? Das ist eine Untertreibung! Dumm von mir gedacht zu haben, ich hätte dir nur einen Augenblick lang etwas bedeutet“, entgegnete ich laut und hatte endlich meine richtige Stimme wieder gefunden. Dafür war meine Antwort nicht gerade das gewesen, was ich mir vorgenommen hatte. Ich hätte ihm nicht sagen dürfen, dass ich wütend bin, was ich ja eigentlich nicht mal wirklich war. Er sollte doch einfach denken, es würde mich nicht im geringsten interessieren mit wem er etwas machte.
„Das hast du und das tust du immer noch.“
„Witzig, verarschen kann ich mich alleine.“
„Es ist einfach ein bisschen kompliziert, ich...“
„Kompliziert? So nennst du das also? Es ist ganz eindeutig, dass du einfach ein scheiß Arschloch bist was keine Ahnung von Gefühlen und Anstand hat!“, antwortete ich ruppig und verschränkte die Arme vor der Brust. So sehr ich mich auch bemühte, es war verdammt schwer den Eindruck zu machen, dass mich dieser Vorfall nicht mitnahm. Meine Hände zitterten ganz schrecklich und immer noch bebte meine Stimme. Immerhin waren die Tränen versiegt.
„Ich habe gesagt wir sollten etwas warten. Es ist also...“
„Nicht deine Schuld?“, unterbrach ich ihn ungläubig, wirklich diese Überzeugung von ihm zu hören.
„Ja, also ich meine du hast mich ja fast dazu gezwungen und...“
„Bitte? Willst du mich eigentlich komplett verarschen? Du hättest nein sagen müssen. Ich kann ja nicht wissen was sich in deinem Kopf abspielt. Und nur mal so nebenbei, du warst derjenige der mir erzählt hat, dass zwischen dir und Laureen nie etwas gelaufen ist und dass dort auch nie etwas laufen wird!“
„Ja du hast ja recht. Es tut mir leid, ich hätte“
„Ja du hättest ne Menge anders machen müssen“, unterbrach ich ihn wieder, bevor ich seine Lügengeschichten glauben würde.
„Wahrscheinlich, aber Alex ich liebe dich doch trotzdem.“ Wie versteinert stand ich ihm gegenüber und starrte in seine Augen die mich glauben ließen, dass seine letzten drei Worte keine Lüge waren. Konnte man mit diesen Worten überhaupt lügen? Konnte man das? Seine Gesichtszüge waren verzweifelt und er machte tatsächlich den Anschein, als würde es ihm leidtun. Beinahe hätte ich vergessen was passiert war, doch dann kam ich wieder zur Besinnung und löste das Gespräch vorerst auf:
„Das ist mir egal. Ich denke es gibt nichts mehr zu sagen. Ich gehe jetzt“, zischte ich und verschwand hinter den Bäumen. Auch wenn es mir wie Stunden vorgekommen war, so hatte meine Familie und die anderen kaum Fortschritte gemacht und ich konnte sie schnell wieder finden. Laureen und Leandro waren mir gefolgt und liefen nun hinter uns, als wäre nie etwas passiert.
„Dann können wir jetzt los oder?“, fragte meine Mutter in die Stille hinein. Ja wir könnten wieder zurückfahren, aber ganz sicher nicht mit ihm. Nicht in diesem Leben würde ich den Penner mit nach Berlin nehmen!
„Natürlich ich hole nur noch meine Sachen und dann können wir uns auf den Weg machen.“ Gedankenversunken folgte ich den anderen, bis wir wieder zum Steg kamen. Mittlerweile war ich schon so oft über diesen eigenartigen Steg gelaufen, sodass ich mich nicht mal mehr vor dem Überqueren fürchtete, zudem hatte ich momentan wirklich andere Sorgen. Gerade als ich Melonie über das Wasser folgen wollte, hörte ich die besorgten Schreie von Laureen. Erschrocken drehte ich mich zu ihr um und starrte direkt zu Leandro, der zusammengebrochen auf dem Boden lag.
„Leon?“, fragte nun auch Melonie besorgt und kniete sich zusammen mit Laureen neben ihn. Ich schaute einfach unbeteiligt zu und fragte mich welche Show er dieses Mal abzog. Vielleicht hätte ich ihm geholfen, wenn seine neue Freundin sich nicht so sorgsam um ihn gekümmert hätte. Vorsichtig gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn und brachte damit meine Wut fast zum überkochen. Angewidert von ihr und ihrem Verhalten begann ich meine Hände zu kneten und biss mir auf die Lippe, um ein unangemessenes Kommentar vermeiden zu können.
Warum spielte sie überhaupt diese schlechten Spielchen, wenn sie doch ihren komischen Freund hatte? Warum wollte sie ihn mir wegnehmen? Konnte sie mich nicht leiden oder wollte sie einfach die Machtverhältnisse klarstellen? Ein plötzlicher, schneller Atemzug riss mich aus den Gedanken und ließ mich aufmerksam werden. Mit einem Mal war seine Atmung wieder vorhanden und er saß kerzengerade im nassen Gras.
„Wann hast du das letzte Mal Blut getrunken?“, fragte Melonie fast warnend und streckte ihren Zeigefinger drohend in die Luft.
„Keine Ahnung vor einer Woche? Wie auch immer mir geht`s gut. Ich habe nur etwas... wenig geschlafen”, versuchte er sich raus zureden und warf mir hilfesuchende Blicke zu. Auch wenn ich davon keine Ahnung hatte wurde ich das Gefühl nicht los, dass er schon wieder log und dass es ihm bei weitem nicht gut ging.
Vielleicht waren es die Bilder aus der Gefrierkammer die mich zu diesen Gedanken brachten. Wenn ich an seine merkwürdige Reaktion dachte. Wie er Mühe gehabt hatte sich zu kontrollieren, um nicht gleich über die gefrorenen Menschen herzufallen. Aber ich mischte mich nicht ein, mir war es sonderlich egal ob ihm Blut fehlte oder etwas völlig anderes. Fakt war jedenfalls, dass er uns damit aufhielt und die Fahrt nach Hause verzögerte. Meine Mutter konnte ihn schließlich nicht in diesem Zustand alleine lassen oder bei Melonie und Laureen. Sie war genauso neugierig wie ich und musste unbedingt wissen wie es ausging. Auch wenn es mir hätte egal sein müssen.
„Leandro, denk doch ein einziges Mal nach. Was hättest du gemacht, wenn dir das im Auto passiert wäre?” Er zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, aber mir wäre mit Sicherheit etwas eingefallen.“ Laureen reichte ihm die Hand und zog ihn wieder die Beine. Ich fühle mich ganz eigenartig in dieser Situation. Bei jeder Frage warf er mir hilflose Blicke zu, so als wäre ich immer noch seine erste Ansprechpartnerin. Doch das war ich schon längst nicht mehr, wenn ich das je gewesen war. Eigentlich wäre ich längst verschwunden, blöder Weise war ich auf die Hilfe von Melonie und Laureen angewiesen.
„Ich glaub direkt so vor vier Wochen oder... ja irgendwie so”, flüsterte er plötzlich in die gerade entstandene Stille hinein und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
„Sag mal bist du lebensmüde?“, fragte Melonie kopfschüttelnd.
Schmunzelnd legte Laureen den Hals schief, strich ihre blonden Haare beiseite und warf ihm auffordernde Blicke zu. Einen Moment zögerte er und seine Augen begannen aufzuleuchten. Doch dann schweiften seine Blicke wieder zu mir und er begann heftig mit dem Kopf zu schütteln, während er sich etwas von Laureen entfernte.
„Nein ich brauch keins. Nicht hier.”
„Ach komm schon, ich weiß dass du es willst“, flüsterte Laureen und legte ihre schmalen Hände auf seine Wangen.
„Nein ich brauche kein Blut. Jetzt und auch nachher nicht“, zischte er und strich ihre Hände von seinen Wangen runter.
„Jetzt sei nicht albern“, drängelte Melonie und stieß ihm in die Rippen. Er wollte gerade zu einem weiteren Nein ansetzen, da kam ihm Melonie zu vor:
„Hör bloß auf mit den Diskussionen! Sonst hat es dich auch nie gestört.“ Mit einem lauten Seufzer ließ er sich schließlich doch darauf ein und nickte.
„Na gut, aber sie muss gehen!“, rief er bestimmend und richtete seinen Zeigefinger auf meine Nasenspitze. Auffordernd starrte er mir direkt in die Augen und nickte mir zu. Empört schüttelte ich den Kopf. Ganz gewiss würde ich jetzt nicht gehen. Wenn er schon so ein Drama um alles machen musste, dann würde ich das sicher nicht verpassen wollen. Außerdem würde ich dann schon mal sehen, was noch auf mich zukommen würde.
„Leandro jetzt mach endlich”, drängte Laureen.
„Geh!“
„Das kannst du vergessen. Ich bleibe hier, ob es dir passt oder nicht.“
„Oh Gott Alex was soll das? Geh doch einfach deine Sachen zusammensuchen.“
„Das kann dir doch herzlich egal sein, außerdem werde ich dafür nicht länger als fünf Minuten brauchen.“
„Ich bitte dich ein letztes Mal, geh endlich. Ich will nicht dass du mich so siehst.“
„Schwachsinn du willst doch nur mit ihr alleine sein, außerdem werde ich genauso sein. Dann weiß ich was auf mich zukommen wird.“
„Vielleicht, aber so könntest du das noch vor dich her schieben.“
„Was?“
„Deine Gedanken, die sich ändern werden.“
„Meine Gedanken? Über was?“
„Über mich.“
„Was denkst du eigentlich von mir? So etwas würde nie meine Meinung über eine Person ändern. Zumal du dafür nichts kannst. Im Gegensatz zu anderen Dingen“, entgegnete ich kühl und warf ihm dabei enttäuschte Blicke zu.
Er seufzte und schaute betrübt zu Boden. Zwar hatten wir noch nicht Klartext über das zwischen uns gesprochen, doch ich war mir sicher, dass es nach dieser Aussage keinen Klärungsbedarf mehr geben würde. Er konnte sich schon denken, dass ich nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollte und dass zwischen uns nie wieder etwas laufen würde, nie!
„Dann bring wenigstens sie weg“, knurrte er und zeigte mit seinen Fingern auf Mum, Tom und Mia, die zurückhaltend hinter mir standen.
„Ist schon gut, ich bringe sie weg“, schlug Melonie freundlich vor und führte die drei über das klare Wasser. Als sie bereits in einen der Häuschen verschwunden waren, warf er mir einen letzten prüfenden Blick zu, ehe er sich zu seinem wahren Ich verwandelte.
Er atmete ein Mal kräftig aus und legte seinen Kopf in den Nacken. Mit einem Ruck traten seine spitzen Eckzähne noch deutlicher hervor und seine Augen begannen blutrot zu werden. Sie waren nicht nur leicht rot, nein sie wurden tief blutrot. Seine Blutgefäße zersprangen und färbten das Weiße neben seiner Pupille vollkommen rot. Dunkle Schatten legten sich unter seine Augen. Enge Stirnfalten legten sich auf sein Gesicht und die schwarzen Adern an seinen Schläfen traten ungewöhnlich stark hervor.
Grinsend legte er seine Arme um Laureen´s Hals und rammte schließlich seine spitzen Beißer in ihre samtige Haut. Ein leises Knacken war zu hören und daraufhin verzog Laureen ihr Gesicht, zu einem Schmerzerfüllten. Doch anstatt Schreie oder eines unterdrückten Hilferufes, schloss sie die Augen und reckte ihren Kopf immer weiter in die Höhe, je mehr er von ihrem Blut trank. Erschrocken betrachtete ich eine dunkle Ader an seinem Hals die immer größer wurde, umso mehr Blut er seinen Rachen hinunterlaufen ließ.
„Hör auf! Das ist genug“, rief Laureen plötzlich und stieß seinen Kopf von ihrem Hals weg. Vorsichtig zog er seine Zähne aus ihrer Haut und wischte sich das Blut vom Kinn und den Mundwinkeln. Erleichtert schloss er die Augen, atmete tief ein und ließ die dunklen Adern an den Schläfen verschwinden. Auch die Ader an seinem Hals verabschiedete sich und als er die Augen wieder öffnete war das Rot längst verschwunden, nur seine spitzen Zähne wollte er nicht wieder in ihre ursprüngliche Form bringen.
Schmunzelnd hielt Laureen die blutigen Löcher an ihrem Hals zu und wischte mit der anderen Hand das runter rinnende Blut ab.
„Du hattest es aber auch echt nötig.“
„Kann sein.“ Vorsichtig nahm sie die Finger von der Wunde und prüfte ob sie immer noch blutete. Verwirrt starre ich ihren Hals an. Unzählige kleine Punkte lagen auf ihrer sonst perfekten Haut und machten mich stutzig. Sie glichen alle den neuen Einstichen und ließen mich wissen, dass das bei weitem nicht sein erster Biss an ihrem Hals gewesen sein musste. Ich schluckte. So wie sie es genossen hatte bekam ich die Befürchtung, dass er das nicht nur machte um seinen Durst zu stillen...
„Alex ist alles in Ordnung?“, fragte er fast besorgt, als er meine erschrockenen Blicke entdeckte. „Bestens.“ Ich räusperte mich.
„Laureen bring mich nach unten.“
„Vielleicht noch ein Bitte.“
„Das verdienen sich nur Leute mit Anstand und davon bist du weit entfernt.“
„Wie bitte?“
„Laureen los bring sie runter“, mischte sich Leandro heldenhaft ein und bildete sich darauf wohl auch noch etwas ein. Ich wäre auch super ohne ihn zurecht gekommen, aber natürlich konnte er es nicht unterlassen sich wie der Größte von allen aufzuspielen. Sie setzte an etwas dagegen zu sagen, doch dann fiel ihr wohl auf, dass ihre Kapazitäten langsam dem Ende entgegen traten. Was wollte sie noch tun? Sie hatte das, was mir fast am bedeutungsvollsten gewesen war. Also was könnte sie noch tun? Wenn sie irgendwann auf die Idee käme sich über meine Familie herzumachen, dann würde ich sie eigenhändig zur Strecke bringen! Da schwöre ich!
„Komm mit“, brummte sie und zog mich an der Hand zum Wasser.
„Nimmst du ihn mit nach Berlin?“, fragte sie und brachte damit einen Hauch von Unsicherheit mit sich. Eigentlich hatte ich gedacht, dass sie ihn nur geküsst hatte, weil sie mich nicht leiden konnte, doch jetzt schien es beinahe so als wäre sie an seiner Person wirklich interessiert. Ob sie früher vielleicht wirklich etwas miteinander gehabt hatten?
„Was geht dich das an?“
„Ne Menge.“
„Nein. Ich bin nicht auf ihn angewiesen und ich habe nicht besonders Lust ihm eine Stadtführung zu geben. Also du brauchst keine Angst zu haben, du hast ihn ganz für dich. Ich werde ihn dir nicht weg nehmen. Ich bin schließlich fair“, schnaufte ich und trat in eine der Hütten ein.
„Sorry ich...“
„Ich bitte dich, du willst dich doch wohl nicht entschuldigen?“, fiel ich ihr arrogant ins Wort und lockerte endlich den Zopf, der mir schon den ganzen Tag über Kopfschmerzen gebracht hatte.
„Nein, natürlich nicht. Jetzt geh endlich!“, zischte sie und schubste mich fast den dunklen Treppen entgegen. Ich seufzte. Widerwillig stellte ich mich ein letztes Mal meiner Angst und schritt die dunklen Treppen hinunter.
Erleichtert hatte ich den Boden sicher erreicht und lief nun auf mein Zimmer zu. Die letzten Minuten an diesem schrägen Ort waren angebrochen und ließen mich mein Zuhause kaum noch erwarten.
„Willst du dich gar nicht verabschieden?“, flüsterte mir plötzlich eine dunkle Stimme ins Ohr und drehte mich zu sich um.
„Rick?“
„Wer sonst?“, schmunzelnd fiel ich ihm in die Arme und drückte ihn immer fester an mich. Es lag an den Umständen, dass meine Umarmung so herzlich gewesen war. Eigentlich wollte ich nur jemanden der mich in den Arm nehmen würde und der mir sagen würde, dass alles gut werden würde. Meiner Mum wollte und konnte ich schließlich nichts davon erzählen.
„Sag mal wo ist Leandro? Ich suche ihn schon den ganzen Tag.“
„Wir waren auf der Beerdigung. Warum warst du nicht dort?“
„Beerdigung? Von wem denn?“, fragte er verblüfft und löste sich aus der Umarmung.
„Seinem Vater?“
„Oh mein Gott. Antonius? Der Arme.“
„Hm.“
„Also weißt du wo er ist?“
„Nein ist ja auch nicht meine Aufgabe immer zu wissen wo er ist.“
„Na ja irgendwie schon. Ihr seid doch zusammen oder?“ Ich zuckte mit den Schultern.
„Gerade war er jedenfalls noch oben vor den Hütten.“
„Okay, danke. Dann eine gute Heimreise euch“, wünschte er winkend und wollte sich auf den Weg zum Fahrstuhl machen.“
„Rick, warte. Was willst du eigentlich von ihm?“
„Ich wollte mich nur verabschieden. Wir sind gut befreundet und wenn er einfach nach Berlin geht, dann will ich wenigstens auf wiedersehen sagen“, meinte er und blieb auf halber Strecke stehen.
„Oh ich glaube das wird nicht nötig sein. Immerhin wird er nicht mitkommen.“
„Was? Wie kommst du darauf?“, fragte er verwirrt und kam wieder auf mich zugelaufen. Eigentlich wollte ich ihn nicht mit meinen Gefühlsduseleien belästigen, aber er sollte ruhig wissen mit was für einem Arschloch, Lügner und unglaublich gutaussehenden Vampir er befreundet war. Moment... hatte ich das gerade wirklich gedacht? Okay ich sollte schleunigst einen Seelenklempner besuchen!
„Weil ich ihn nicht mitnehmen werde.“
„Was? Ihr ward süß zusammen.“
„Nun ja Treue ist nicht gerade eine seiner Stärken.“
„Was? Das ist jetzt nicht dein Ernst oder?“
„Doch.“
„Mit wem?“
„Na wer wohl? Laureen“, lachte ich und warf meine bereits offenen Haare nach hinten. Warum ich lachte? Es war der einzige Weg die schönen Momente zu verdrängen und die Tränen zu vermeiden.
„Dieser Vollpfosten. Ich glaub ich muss ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Der Junge soll mal die Augen aufmachen und sehen was für ein tolles Mädchen du bist.“
„Lieb von dir, aber das ändert leider nichts an der Tatsache“, gab ich zu und kratze mich schmollend am Nacken.
„Das werden wir noch sehnen. Ach man, das wird schon wieder“, entgegnete er und schloss mich in seine warmen Arme. Genau das war das, was ich hören wollte, nur änderte es leider nichts. Anstatt es besser zu machen, bemerkte ich wie die ersten Tränen in meine Augen schossen.