Die gesamte Klasse blickte von ihren Aufgaben auf und starrte mich fragend an.
„Ich ähm,...”, stammelte ich unsicher und blickte Lucas Hilfe suchend an. So viel zum Thema erster guter Eindruck.
„Wie bitte?” Sie sprach ganz ruhig, trotzdem war der Hass in ihrer Stimme nicht zu überhören.
„Da war ne Fliege!”, sagte Lucas und rette mich damit vor dem sozialen Selbstmord.
Nachdem wir noch eine Weile angestarrt wurden, konnte sie endlich mit dem Unterricht weitermachen und den größten Teil der Klasse langweilen. Für den Rest der Stunde ignorierte ich Leandro. Eine Blamage am Tag reichte mir.
Die Zeit verging nur schleppend, doch irgendwann erlöste uns das Klingelzeichen und die meisten der Klasse begannen ihre Unterrichtssachen einzupacken. Nur wenige Schüler hörten dem Gequatsche vorne noch zu und notierten sich etwas. Eventuelle Hausaufgaben? Ich zuckte mit den Schultern. Schnell packte auch ich meine Sachen zusammen und warf mir den Rucksack auf die Schulter.
„Wo müssen wir hin?“, rief Leandro durch den Raum und zog damit einige Blicke auf sich. Kopfschüttelnd kam ich auf ihn zu, damit ich nicht auch so schreien würde. Ich hasste es, wenn all die Blicke auf uns lagen. Ich war lieber unbemerkt, zumindest an einer Schule, wo ich kaum jemanden kannte.
„Woher soll ich das wissen?”, zischte ich genervt. Verdutzt starrte er mich an und fuhr sich verlegen durch die Haare. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich ihm gegenüber so unfreundlich sein würde und vor allem nicht dann, wenn uns mindestens zehn Leute anstarrten. Aber wenn er nicht freundlich sein konnte, wenn wir alleine waren, dann musste ich nicht freundlich sein, wenn uns andere zuhörten.
„Wir haben jetzt Chemie.” Neugierig zog ich meine Augenbrauen hoch und suchte nach der netten Stimme.
„Hi, ich bin Melina oder Lina, kannst du dir aussuchen... und das ist Maya”, sagte das große, schlanke Mädchen vor mir und lächelte uns freundlich an. Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen und musterte die beiden. Sie strahlten uns fröhlich an, als könnten sie sich nichts schöneres vorstellen, als in dieser blöden Schule festzusitzen.
„Alex“, entgegnete ich knapp. Melina war hübsch. Sie trug eine runde Brille, mit einem silbernen Rahmen, die perfekt in ihr Gesicht passte und auf den ersten Blick kaum auffiel. Ihre braunen Haare waren lang und etwas wellig. Ihre hellblauen Augen strahlten Offenheit aus und musterten uns keineswegs arrogant. Sie trug dunkle Kleidung und hatte eine schwarze Mütze auf. Das sie die im Unterricht nicht abnehmen musste, war ein Wunder. Sie war kaum geschminkt. Hatte nur ein wenig Mascara auf ihren langen Wimpern und rosafarbenen Lippgloss auf ihren vollen Lippen.
Auf den ersten Blick wirkten sie sympathisch. Aber ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ich hatte die blöde Angewohnheit Leute falsch einzuschätzen und meine Meinung im Nachhinein nicht mehr ändern zu wollen.
„Und von wo kommst du?“, fragte Maya neugierig, während sich die beiden plötzlich bei mir einhakten und wir zusammen aus dem Raum liefen. Ich zögerte einen Moment und versuchte ihre außergewöhnliche Freundlichkeit nicht zu hinterfragen. Leandro und Lucas liefen zusammen hinter uns, trotzdem wechselten sie kein Wort miteinander. Lucas wusste wahrscheinlich nicht, wie er Leandro ansprechen sollte und Leandro hatte mit Sicherheit keine Lust Smalltalk zu halten.
„Berlin.“
„Echt? Und wie ist es da so?“
„Na ja ziemlich hektisch. Aber eigentlich ganz schön, wenn man Städte eben mag.“ Interessiert nickte sie mir zu, fragte mich aber nicht weiter aus. Maja hatte glatte, kurze Haare, von denen sie etwas abgetrennt und zu einem Dutt nach hinten gebunden hatte. Ihr Gesicht war etwas rundlicher und mit tausenden Sommersprossen übersät. Eigentlich hatte sie dunkle Haare, diese aber blond gefärbt. Das erkannte ich an ihrem dunklen Ansatz. Das Blond stand ihr gut und ich fragte mich, wie sie wohl mit ihrer Naturhaarfarbe aussehen würde. Ihre braunen Augen waren groß, die sie mit einem perfekten Eyeliner betonte. Sonst trug auch sie keine Schminke. Sie war ziemlich klein, aber das hieß nicht, dass man sie nicht ernst nahm. Sie wirkte zwar freundlich, aber an der selbstbewussten Art, wie sie redete, konnte ich mit gut vorstellen, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm. Das gefiel mir. Im Gegensatz zu Melina, trug sie eher weitere Sachen. Eine Mom-jeans und einen weiten Pullover.
Wir hatten nur eine kurze Pause, als wir im Chemieraum ankamen, die von den meisten Schülern dafür genutzt wurde, um Leandro und mich mit Fragen zu durchlöchern. Doch ich zeigte mich gewohnt unfreundlich und antwortete auf keine der Fragen. Stattdessen folgte ich Melina und Maya zu einer langen Reihe, in der Mitte des Raumes, wo wir uns setzten. Rechts neben mir Leandro, links Melina und neben ihr Maya. Lucas hatte sich abseits von uns gesetzt und sich mit der Kapuze über dem Kopf, von allen abgeschirmt, während er nur abwesend auf sein Handy starrte.
Ein junger Mann kam lächelnd in den Raum gelaufen und fing an seine Unterlagen zu sortieren. Zuerst war mir sein gefederter Gang aufgefallen, der so aussah, als würde er jede Sekunde anfangen zu rennen. Er war der erste Mann mit dem ich Unterricht haben würde. Nicht das es mich störte, aber es war einfach ungewohnt. An meiner alten Schule hatte es nur sehr wenige männliche Lehrer gegeben und davon hatte meine Klasse nie einen abbekommen. Auf den ersten Blick erschien er mir ganz nett, etwas verpeilt, aber ziemlich gutmütig.
Das Klingelzeichen löste alle Gespräche auf und brachte mich zum Staunen. Ich war es gewohnt, dass die Gespräche erst verstummten, wenn der Lehrer mehrmals darum gebeten hatte.
„Guten Morgen. Ah ich sehe ein neues Gesicht, herzlich willkommen“, fing er an und musterte mich dabei aufmerksam. Seine Worte wurden von einem Handzeichen unterbrochen, das von dem gleichen Mädchen kam, dass auch in Physik ganz vorne gesessen hatte. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, fing sie an den Raum mit ihrer schrillen Stimme zu füllen und verursachte damit, bei einigen Schülern, ein leises Seufzen.
„Und einen neuen Schüler.” Der Lehrer ignorierte die Aussage meiner Mitschülerin und bat uns freundlich nach vorne, damit wir uns vorstellen könnten. Er selbst stellte sich mit Herr Gerdinger vor.
Seufzend standen Leandro und ich auf, begaben uns nach vorne und hofften, hier nicht lange stehen zu müssen. Warum konnten wir das nicht einfach vom Platz aus machen? Natürlich lagen auch dieses Mal alle Blicke auf uns, wobei ich mir einbildete, dass sie mich noch ein wenig mehr anstarrten. Damit Leandro nichts von uns preisgeben würde, was keiner wissen sollte, machte ich den Anfang. Er wirkte verunsichert und ungewöhnlich schüchtern.
„Hallo, jor, ähm... ich bin Alex und das Leandro.“ Kurz zeigte ich auf ihn, ließ meinen Arm dann aber wieder schnell sinken und fuhr fort:
„Wir kommen beide aus Berlin und sind sechzehn Jahre alt. Mehr gibt es eigentlich auch nicht zu sagen“, erzählte ich und hoffte bald wieder auf meinem Platz sitzen zu können. Herr Gerdinger hatte Mitleid mit uns und ließ uns schnell gehen. Zum Glück verzichtete er auch auf eine Vorstellrunde, wo fast jeder Schüler sowieso das Gleiche sagen würde.
Unerwartet verging die Stunde ziemlich schnell und was noch viel ungewöhnlicher war, hatte ich mich tatsächlich am Unterrichtsgeschehen beteiligt. Herr Gerdinger war sehr entspannt und vermied es, uns Druck zu machen. Zudem behandelte er uns eher, wie Gleichgestellte, wie seine Freunde und das weckte in mir die Lust, das Thema verstehen zu wollen. In meiner alten Schule waren wir damit schon lange durch gewesen und das gefiel mir. So hatte ich einen kleinen Vorsprung und konnte Wissenslücken schließen.
Nach Chemie hatten wir zunächst eine größere Pause, die wir dafür nutzten, um etwas frische Luft zu schnappen. Während wir aus dem Raum stürmten, folgten uns eine Menge aus der Klasse, die sich bei Leandro und mit vorstellen wollten. Ich wollte ungern als arrogant und unfreundlich abgestempelt werden, weswegen ich immer freundlich nickte und kurze Antworten von mir gab. Melina und Maya retteten uns aus der Menschenmasse und führten und zu einer großen Eiche, die in der Mitte des Geländes stand. Um sie herum hielten sich noch weitere Leute auf, die wohl zu ihren Freundeskreis gehörten.
„Sag mal, was hast du eigentlich mit Lucas zu tun?“, fragte Melina schließlich neugierig und blieb für einen Moment stehen.
„Ja, das würde mich auch brennend interessieren“, mischte sich Leandro ein und musterte mich mit kritischen Blicken. Seufzend strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fing an mit meinem Schuh im Sand herum zu scharren.
„Nicht viel. Wir sind uns vorher schon ein Mal begegnet und haben uns gut verstanden. Ich schätze wir haben einfach ein paar Gemeinsamkeiten. Warum?“
„Hat mich nur gewundert warum er mit dir geredet hat. Normalerweise zieht er sich immer zurück und man vergisst, dass er überhaupt ein Teil der Klasse ist.“
„Das passt wohl zu ihm, aber wenn man ihn näher kennt, ist er eigentlich ganz nett.“
„Na wenn du das sagst“, lachte Maya und lief weiter. Am Baum angekommen stellten wir unsere Taschen ab und jeder holte etwas zu essen raus. Ich hingegen stand nur in der Gegend herum und steckte meine Hände in die Jackentaschen. Für Mitte Winter war es heute nicht besonders kalt und ich genoss die kühle Luft, die mich nicht zum Frieren brachte.
„Ist er das nicht?“
„Lucas!“, rief ich laut über den Schulhof und winkte ihn zu uns. Er sah kurz zu uns, ignorierte mich dann jedoch und lief weiter. Verwirrt von dieser Reaktion rannte ich also auf ihn zu und wollte ihn überreden mitzukommen.
„Bist du verrückt?“, knurrte er leise und zog mich in eine unbelebte Ecke.
„Was wieso?“
„Du kannst doch hier nicht so lang rennen, was sollen denn die Leute von dir denken?“
„Oh, ja daran habe ich nicht gedacht“, gab ich zu und fragte mich, wie ich das hatte vergessen können. Zum Glück war der Weg nicht so weit gewesen, dann war meine ungewöhnliche Schnelligkeit vielleicht nicht so aufgefallen.
„Kommst du mit zu den anderen?“
„Dann denke bitte das nächste Mal daran!“
„Ja werde ich schon“, murmelte ich genervt und verschränkte auffordernd die Arme vor der Brust. Einen zweiten, ermahnenden Leandro brauchte ich wirklich nicht.
„Und?“
„Was?“
„Ob du mit zu den anderen kommst?“
„Nein danke, du hast anscheinend interessantere Leute gefunden. Ich will nicht zwischen euch stehen.“
„Ach quatsch, zier dich nicht so. Sie wollen dir eine zweite Chance geben und dich noch mal kennenlernen.“
„Oh wie gnädig“, antwortete er schnippisch und warf mir einen genervten Blick zu.
„Komm, stell dich nicht so stur“, sagte ich grinsend und zog ihn mit mir.
„Warum bist du so gut gelaunt, das ist ja nervig.“
„Die Frage ist wohl eher, warum du so miese Laune hast.“
„Es ist Montag, was erwartest du denn?“ Da hatte er Recht. Zusammen liefen wir also zu den anderen und stellten uns zu ihnen. Lucas wollte sich eigentlich zurückhalten, doch Maya verwickelte ihn schnell in ein Gespräch und fragte erneut, woher wir uns kannten.
„Wir sind uns an einem Abend begegnet und irgendwie ins Gespräch gekommen.“
„Wir sind schon ein paar Jahre in einer Klasse und irgendwie haben wir uns nie wirklich unterhalten“, stellte Maya fest und lächelte ihm süß zu. Ihre Stimme war plötzlich ganz nervös geworden und sie hatte Schwierigkeiten ihm länger in die Augen zu schauen. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man glatt meinen, dass Maya Lucas ganz süß fand. Ich konnte es ihr nicht verübeln, er sah echt nicht schlecht aus und Humor hatte er auch.
„Ja, das kann sein. Ich bin tagsüber einfach nicht so munter, schätze ich“, erklärte er locker und fuhr sich durch seine blonden Haare.
„Kann ich verstehen“, antworte Maya schüchtern und lächelte ihm unsicher entgegen. Wahnsinn, wie unsicher sie plötzlich war. Man hätte fast denken können, dass sie nie schüchtern ist.
„Leandro, richtig?“, fragte Lucas schließlich und lächelte Leandro freundlich entgegen. Schnell wandte ich mich von dem Gespräch zwischen Melina und Maya ab und konzentrierte mich auf die anderen beiden. Es brauchte nicht viel Menschenkenntnis, um zu wissen, dass Leandro seine Bemühungen nur abblocken würde. Nach Außen hin versuchte ich ruhig und cool zu bleiben, doch innerlich zersprang ich beinahe an Nervosität. Lucas durfte sich bloß nicht verplappern. Eigentlich durfte er gar nichts sagen, weder wie wir uns wirklich kennengelernt hatten, noch wozu er mich angestiftet hatte und erst recht nicht, dass ich all die Nächte bei ihm geschlafen hatte. Unruhig versuchte ich mich daran festzuhalten, dass Lucas genügend Verstand besaß, um diese Themen zu umgehen.
„Hm.“
„Ich bin Lucas.“
„Ich weiß, dich konnte ich kaum übersehen“, zischte Leandro und wandte sich von Lucas ab. Ich seufzte laut und machte einen Schritt auf die beiden zu. Leandro wusste genau, dass ich hier neue Freunde finden wollte. Doch so wie er sich benahm, würde er sie alle nur vergraulen.
„Und wie findest du die Klasse bis jetzt?“, fragte Lucas und versuchte Leandro´s Unfreundlichkeit zu ignorieren. Ich war ihm wirklich dankbar dafür, aber ich zweifelte daran, dass Leandro sich auf ein vernünftiges Gespräch einlassen würde.
„Wie soll man eine Klasse schon finden? Ich weiß nur, dass ich mit einigen nicht befreundet sein werde“, knurrte er stur und warf Lucas einen eiskalten Blick zu, den niemand falsch verstehen konnte. Lucas wusste wenigstens, warum Leandro ihn nicht mochte. Aber Melina und Maya waren von seinem Verhalten bestimmt sehr irritiert. Warum musste er sich nur so unheimlich stur anstellen? Warum konnte er nicht einfach so tun, als würde er sie alle mögen oder zumindest nett finden? Wahrscheinlich gingen seine Äußerungen nicht mal gegen Lucas selbst, sondern eher gegen mich. Als eine Art Bestrafung. So ein Kindergarten.
Eine hohe Mädchenstimme ließ mich wieder aufmerksam werden. Ein blondes, schlankes Mädchen drängte sich in unsere Mitte, wobei sie niemand wirklich beachtete, außer Lucas. Sie strahlte ihn mit gebleichten Zähnen an und klimperte dabei mit ihren falschen Wimpern. Ohne es zu merken, verzog ich mein Gesicht und musterte sie von oben herab, als sie ihm überschwänglich um den Hals fiel und ihm einen langen Kuss aufdrückte. Röte, die ich bisher noch nie in seinem Gesicht gesehen hatte, stieg auf und ließ ihn verlegen werden.
„Du hast mir gar nicht erzählt, dass ihr jetzt zusammen seid“, platzte es voreilig aus mir heraus, während ich nicht aufhören konnte sie anzustarren. Unweigerlich erinnerte sie mich an Laureen. Mit ihren langen, blonden Haaren, den perfekten Zähnen und der reinen Haut. Auf den ersten Blick sah sie ihr ziemlich ähnlich, doch dann erkannte ich ein paar Makel, die Laureen nicht hatte. Ihr Gesicht war etwas zu schmal geraten, sie hatte eine ziemlich hohe Stirn und dunkle Augenringe, die sie mit einer Tonne an Concealer versucht hatte zu überdecken.
„Er ist ja wohl auch nicht dazu verpflichtet oder?“, meinte Leandro Augen rollend und starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sein Kommentar ignorierte ich ohne Probleme und starrte das Mädchen noch länger an. Sie trug einen sehr tiefen Ausschnitt und ich fragte mich, ob sie bei dem Wetter nicht zu frieren anfing. Obwohl ich noch kein Wort mit ihr gewechselt hatte, war sie mir unsympathisch. Vielleicht lag es an dem ganzen Make-up und ihrer reizvollen Kleidung. Aber eigentlich sollte einen so etwas nicht unsympathisch machen. Immerhin konnte sich jeder kleiden wie er wollte. Trotzdem hatte ich diese Vorurteile gegen sie. Ich dachte sie wäre so ein arrogantes Mädchen, das Menschen manipulierte und sie nur ausnutze. So ein Mädchen, das dachte sie wäre besser als andere und sich gerne über Leute lustig machte, die keine Markensachen trugen und wenig Geld hatten. So ein Mädchen, wie Anne es war und, wie ich es einige Zeit gewesen war. Das dachte ich wirklich, aber vielleicht war sie so gar nicht. Wenn Lucas sie mochte, dann würde sie schon einen guten Charakter haben. Also beschloss ich die Vorurteile so gut es ging zu verdrängen und ihr möglichst freundlich gegenüberzutreten.
„Du bist Emma oder?“
„Ja?“
„Lucas hat von dir in großen Worten geschwärmt.“ Meine Bemerkungen machten ihn noch verlegener, woran ich Gefallen fand. Sonst war er unheimlich selbstbewusst und ließ sich durch nichts verunsichern. Ob er tatsächlich verliebt war? Ich wünschte es ihm und ich wünschte ihm, dass sie ein guter Mensch war, dass sie ihn glücklich machen könnte.
„Da muss ich ihm wohl zustimmen“, lachte sie und zog Lucas noch ein Stück näher an sich ran.
„Ich bin Alex“, sagte ich und hielt ihr meine Hand freundlich hin. Seufzend ließ sie von ihm ab und nahm sie genervt entgegen.
„Wie habt ihr euch kennengelernt?“
„Was geht dich das an?“ Verdutzt starrte ich sie an und war kurz davor ihr eine Ansage zu machen, doch dann bemerkte ich Lucas entschuldigendes Gesicht und erinnerte mich an
Leandro´s Fehlverhalten.
„Nicht viel wahrscheinlich, ich bin nur neugierig.“
„Aha, vielleicht solltest du in Richtung Make- up neugieriger sein. Siehst ja aus wie...“ Sie verstummte, als Lucas ihr kräftig in die Seite stieß und sie mit großen Augen anstarrte. Mit Sicherheit wollte sie mich als Bauerntrampel beschimpfen. Gott, warum gab es an jeder Schule so eine unausstehliche Anne? Und dann musste sie ausgerechnet die Freundin von Lucas sein? Na das würde ja großartig werden! Ich hatte mir nicht ausgesucht, den Rest meines Lebens ohne Make-up rumzulaufen und selbst wenn ich das so wollen würde, würde ihr das noch lange nicht das Recht geben, so gemein zu sein. Ich fühlte mich schon unwohl genug, ohne diese ganze Schminke, aber was sollte ich schon machen? Sie verunsicherte mich nur noch mehr. Vielleicht hatte sich Leandro auch deswegen zurückgezogen. Vielleicht fand er mich ja nicht mal mehr attraktiv?
„Sag mal geht’s noch? Sie hat es nicht nötig sich das ganze Zeug ins Gesicht zu klatschen, was man von dir ja wohl nicht behaupten kann“, entgegnete Leandro wütend und strafte sie mit seinem typischen, schlecht gelaunten, Gesichtsausdruck. Ich musste schmunzeln. Er fand mich also auch ohne Make-up hübsch? Ehrlich gesagt gefiel mir, dass er mich zu verteidigen versuchte. Aber ich konnte für mich selbst sprechen und nur, weil er dieses eine Mal süß gewesen war, hieß das noch lange nicht, dass zwischen uns wieder alle geklärt war! Wie gegen eine Wand gestoßen schaute sie ihn verdattert an. Wie konnte es jemand wagen, etwas gegen ihr makelloses Aussehen zu sagen?
„Danke, aber ich kann für mich selbst sprechen!“, sagte ich entschlossen und richtete mich wieder selbstbewusster auf. Diese blöde Emma sollte bloß nicht glaube, dass ich mich von ihr einschüchtern lassen würde.
„Gott, dir kann man`s auch nie Recht machen oder?“ Mit diesen Worten verschwand er von der Bildfläche und zog sich ins Schulgebäude zurück. Melina folgte ihm. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass er ohne sie den Raum nicht finden würde. Da konnte ich nur hoffen, dass er wenigstens zu ihr freundlich war. Schließlich sollten sie ihn nicht gleich so abstempeln, wie ich es bei Emma tat.
„Okay ich muss los, ich hab besseres zu tun, als mit euch Losern hier rumzuhängen. Babe, wir sehen uns nach der Schule?“ Er nickte nur schüchtern und ließ sie verschwinden. Babe? Gott schon bei diesem Wort kam mir mein Mittagessen von letzter Woche hoch. War er wirklich so blind oder hatte ich mich so arg in ihm getäuscht? Ich hatte nicht gedacht, dass Lucas auf Mädchen, wie Emma stand. Aber da hatte ich mich wohl gewaltig in ihm getäuscht.
„Du versetzt mich wegen der?“
„Alex... ich...“
„Ach komm lass es sein, die widert mich echt an“, meinte ich enttäuscht und ließ ihn dort stehen. Maya und ich machten uns auf den Weg zum nächsten Unterricht. Kunst... etwas wo ich weiterhin nicht besonders aktiv sein müsste.
„Wo hat er die denn aufgegabelt?“, fragte Maya fassungslos und enttäuscht, während wir an der Mensa vorbeiliefen. Die Enttäuschung in ihren Augen konnte man kaum übersehen. Nur zweifelte ich daran, dass Lucas wüsste, dass er der Grund dafür war. So eine Maya passte doch viel besser zu ihm, als diese hirnverbrannte Emma! Hier schien der zentrale Treffpunkt zu sein. Unzählige Schüler hatten sich versammelt und verbrachten zusammen die Pause. Eine Ordnung schien es nie gegeben zu haben. Viele saßen auf den Tischen, während sich andere mit dem Boden zufrieden gaben. Wahrscheinlich hatten sie einfach keine Lust, am Ende der Pause die Stühle wieder zu stapeln. Mein Blick schweifte neugierig durch die Massen, bis er an einer Gruppe Mädchen hingen blieb, die hysterische Lachanfälle vortäuschten. Sie waren alle rausgeputzt, als würden sie gleich auf eine Party gehen. Mit Sicherheit gehörte Emma zu ihnen, alles andere würde mich wundern.
„Weißt du, bis eben habe ich wirklich gedacht, dass er kaum mit Leuten spricht.“
„Tja, eigentlich ist er unheimlich nett, aber das... keine Ahnung was er sich dabei gedacht hat und dann versetzt er mich auch noch? Für sie?“, fragte ich fassungslos und schüttelte den Kopf. Ich hatte kein Problem damit ein Treffen mal abzusagen, aber wenn so eine Emma der Grund war, dann wurde ich pissed! Außerdem würde mich Lucas dann mit dem Geistproblem in meinem Haus alleine lassen. Auch, wenn er davon noch keinen blassen Schimmer hatte.
„Willst du etwa was von ihm?“, fragte Maya geradewegs heraus und sah mich mit großen Augen an.
„Nein, wir sind wirklich nur gute Freunde“, entgegnete ich lächelnd. Es war wirklich offensichtlich, dass Maya ein Auge auf Lucas geworfen hatte, aber ich wollte sie nicht darauf ansprechen. Offensichtlich war es ihr peinlich und wir kannten uns kaum. Da wollte sie sicher nicht mit mir drüber reden.
„Und was ist das mit Leandro und dir?“, fragte sie vorsichtig und überlegte wohl möglich, ob sie diese riskante Frage hätte stellen sollen.
„Keine Ahnung, das wissen wir wohl selbst nicht so genau“, gab ich zu und seufzte. Vielleicht würden wir heute Nachmittag mehr wissen.
„Ahh, also so eine komplizierte Sache?“
„Jor, könnte man so sagen.“
„Und dann seid ihr sogar in einer Klasse gelandet? Hälst du das für eine gute Idee?“
„Darüber habe ich tatsächlich noch nie nachgedacht“, antworte ich schulterzuckend und hatte plötzlich eine Sorge mehr. Was, wenn wir heute Nachmittag wirklich feststellen würden, dass das zwischen uns einfach keinen Sinn machte? Dann hätte ich ihn sogar in der Klasse noch an der Backe! Das würde ja super werden. Dann müsste ich die Klasse wechseln oder wenigstens er. Aber zusammen mit ihm würde ich dann in dieser Klasse nicht mehr klar kommen. So viel war sicher.
„Aber er scheint ziemlich eifersüchtig auf Lucas zu sein. So, wie er ihn vorhin angegiftet hat.“
„Ja ich weiß. Er ist nicht besonders begeistert, dass wir uns manchmal treffen. Aber ganz ehrlich, ich lasse mir doch nichts von ihm verbieten. Entweder er kommt damit klar oder wir müssen das eben lassen“, sagte ich cool und hoffte ich würde diese Einstellung auch umsetzten können.
„Wenn das nur so einfach wäre“, seufzte sie, als wir in den Kunstraum traten. Es roch nach einer Mischung von getrockneter und nasser Farbe. Der Geruch von muffiger Kleidung lag in der Luft und hatte sich mit Schweiß vermischt. Angeekelt rümpfte ich die Nase und hoffte mich bald an diese stickige Luft gewöhnen zu können.
Wir setzten uns in die hinterste Reihe, zu Melina und Leandro. Umso mehr Zeit verging, desto näher kamen wir dem Nachmittag und damit all meinen Problemen. Was sollte ich tun, wenn er es beenden wollte? Müsste ich ihn rausschmeißen? Diese Gedanken verdrängte ich schnell und begann an meine Sachen auszupacken.
Pünktlich mit dem Klingelzeichen stürmte auch Lucas in den Raum und setzte sich auf einen freien Platz, der sich auf der anderen Seite des Raumes befand. Enttäuscht musterte ich seinen Rücken und fragte mich immer noch, ob er ernsthaft verliebt war. Das durfte er einfach nicht sein, doch nicht in sie! Sie würde ihm weh tun, sie würde ihm fremd gehen. Sie verhielt sich jedenfalls wie jemand, der so etwas tat. In einer ruhigen Minute müsste ich mit ihm reden, ich wollte, dass er sie vergisst. Sie passte nicht zu ihm! Vielleicht sollte ich ihm einfach mal den Hinweis geben, dass Maya ihn offensichtlich ganz gut fand.