Müde rieb sich Hermine die Augen. Die letzte Woche war wie im Flug vergangen. Sie hatten so viel zu tun, so viele Hausaufgaben und so viel Stoff aus dem Unterricht, den sie nacharbeiten wollte, dass ihr kaum Zeit geblieben war, über ihre Nacht mit Lucius nachzudenken. Jetzt war es bereits Samstag und das erste offizielle Hogsmeade-Wochenende stand an. Sie konnte nicht anders als unwillkürlich wieder an Lucius zu denken.
Langsam setzte sie sich in ihrem Bett auf und rieb sich die Augen. Er verstand es wirklich, eine Frau zu verführen. All seine Arroganz, die Überheblichkeit, die Art, wie er sie immer wieder wie ein Kind behandelte, all das reizte sie so sehr, dass sie ihm nur noch mehr beweisen wollte, dass sie eine Frau war. Und sie wusste, dass sie damit genau in sein Netz getappt war. Warum nur war sie ausgerechnet durch Arroganz so leicht zu manipulieren?
Die eigentliche Frage war jedoch, warum sie sich seinen Armen anvertraut und in seiner Gegenwart geschlafen hatte. Er war immer noch ein Todesser, ganz unabhängig davon, wie gut oder schlecht sein Stand bei Voldemort war. Es konnte jederzeit passieren, dass es Voldemort wieder in den Sinn kam, dass er da einen einstmals einflussreichen Verbündeten hat und ihn reaktiviert. Und was, wenn Lucius Malfoy herausfand, wer sie in Wirklichkeit war? Würde er sie vielleicht töten oder zumindest gefangen nehmen, um seine Stellung unter den Todessern zurück zu gewinnen?
Nein, vermutlich nicht.
Sie streckte sich, dann verließ sie ihr wohlig warmes Bett, trottete ins Badezimmer und begann, sich die Zähne zu putzen. Ihre Zimmergefährtinnen schliefen noch, doch sie wollte gerne früh am Frühstückstisch sein, um in aller Ruhe einen ersten Kaffee zu trinken. Und um alleine mit ihren Gedanken sein zu können. Wo sollte diese Affäre mit Lucius hinführen? Früher oder später würde die Realität sie einholen, früher oder später würde der Krieg ausbrechen und dann standen sie auf unterschiedlichen Seiten. Würde sie im Zweifelsfall den Stab gegen Lucius erheben können, wenn es darauf ankam?
Mit der Zahnbürste im Mund schaute Hermine sich selbst im Spiegel an. Ja. Ja, sie würde gegen ihn kämpfen können. Sie verspürte keinerlei emotionale Bindung zu ihm, nur Lust und Neugier auf alles, was er ihr vielleicht noch zeigen konnte. Aber jenseits vom Sex war er keine echte Bereicherung für ihr Leben, entsprechend irrelevant war es, was im Krieg und danach geschehen würde. Sie hatte sich unter Kontrolle, sie konnte ihre Gefühle von ihrer Lust trennen.
Zumindest im Moment.
Was es auf jeden Fall zu verhindern galt, war jegliche emotionale Verwicklung. Sie durfte sich nicht in ihn verlieben, sonst war sie dem Untergang geweiht. Sie musste sich immer wieder daran erinnern, dass sie Harrys Freundin war. Dass sie auf der Seite von Dumbledore stand. Und dass Lucius Malfoy ein Todesser war. Niemals durfte sie das vergessen.
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„... und dann blitze es noch einmal und ich bin wieder auf dem Bett gelandet!"
Hermine konnte nicht fassen, was ihre beiden besten Freunde ihr da gerade auf dem Weg ins Dorf erzählten. Hatte Harry wirklich einen Zauberspruch an Ron ausprobiert, dessen Wirkung er nicht kannte? Wie konnte er nur so verantwortungslos sein?
Mit missbilligender Miene hakte sie nach: „War dieser Zauber ganz zufällig auch aus diesem Zaubertrankbuch von dir?"
Sie konnte sehen, dass Harry genervt von ihrer Frage war, entsprechend unfreundlich fiel seine Antwort aus: „Du musst immer alles runtermachen, was?"
Es verletzte sie, wie ablehnend die Jungs waren, sobald sie versuchte, rational an eine Sache ranzugehen, doch sie blieb stur: „War er aus dem Buch?"
„Nun ... jaah, schon, na und?"
Verzweifelt warf sie die Hände in die Luft: „Du hast also beschlossen, eine unbekannte, handgeschriebene Zauberformel auszuprobieren und einfach mal zu sehen, was passiert?"
Harrys Antwort war nicht nur ausweichend, sondern brachte Hermine auch noch mehr zur Weißglut: „Warum ist es wichtig, ob sie handgeschrieben ist?"
„Weil sie wahrscheinlich nicht vom Zaubereiministerium genehmigt ist!", erklärte sie und hoffte, dass ihr Tonfall deutlich machte, was sie davon hielt, dass die Jungs sich dieses Umstandes offenbar nicht bewusst waren. Um ihr Argument noch zu stärken, fügte sie hinzu: „Und außerdem weil ich allmählich glaube, dass dieser komische Prinz ein bisschen zwielichtig war."
Natürlich wehrten beide sofort ab, insbesondere Ron schien sich gar keine Gedanken zu machen: „Das war doch nur ein Jux! Nur ein Jux, Hermine, nichts weiter!"
Fassungslos starrte sie ihre Freunde an. Erinnerten sie sich denn nicht mehr, wo sie alle diesen Zauber schon einmal gesehen hatten? Mit mühsam unterdrückter Wut verlangte sie zu wissen: „Wer verwendet Zeit und Energie darauf, solche Zauber zu erfinden?"
Doch auch diese Frage brachte nicht das erhoffte Ergebnis, da Ron sofort eine Antwort parat hatte: „Fred und George, das ist genau ihr Ding. Und ..."
„Mein Dad!", fügte Harry hinzu. Überrascht schaute Hermine ihn an – wie konnte er sowas über seinen lange verstorbenen Vater wissen? Achselzuckend meinte Harry: „Ich – Lupin hat es mir gesagt."
Seufzend beschloss Hermine, ihren beiden Freunden die Augen zu öffnen: „Dein Dad mag ihn vielleicht verwendet haben, Harry, aber nicht als Einziger. Wir haben eine ganze Menge Leute gesehen, die ihn eingesetzt haben, falls du das vergessen hast. Leute in der Luft baumeln lassen. Sie schweben lassen, im Schlaf, hilflos."
Der geschockte Ausdruck auf Harrys Gesicht gab Hermine die Hoffnung, endlich zu ihm durchgedrungen zu sein, doch sie hatte zu früh gehofft. Ron gab sich trotzig: „Das war was anderes. Die haben ihn missbraucht. Harry und sein Dad haben nur einen Jux gemacht. Du magst den Prinzen nicht, Hermine, weil er in Zaubertränke besser ist als du."
Gegen ihren Willen lief Hermine rot an. Natürlich, dass sie von Anfang an so negativ auf ihn reagiert hatte, hatte daran gelegen, dass sie in ihrem Stolz verletzt war, das wusste sie. Aber je mehr sie über das Zaubertränkebuch erfahren hatte, umso unguter war ihr Gefühl geworden. Hitzig erwiderte sie: „Das hat damit nichts zu tun! Ich finde nur, dass es sehr verantwortungslos ist, einfach irgendwelche Zauber auszuprobieren, wenn man nicht einmal weiß, wofür sie gedacht sind, und hör endlich auf, vom Prinzen zu reden, als wäre das sein Titel, ich wette, das ist nur ein bescheuerter Spitzname, und ich hab nicht den Eindruck, als wäre er ein besonders netter Mensch gewesen."
„Ich verstehe nicht, wie du darauf kommst!", gab Harry zurück, der langsam wirklich wütend wirkte. „Wenn er ein angehender Todesser gewesen wäre, dann hätte er wohl nicht damit geprahlt, ein Halbblut zu sein, oder?"
Hermine konnte über so viel Naivität nur den Kopf schütteln: „Die Todesser können nicht alle reinblütig sein, es gibt nicht mehr genügend reinblütige Zauberer. Ich schätze, die meisten von ihnen sind Halbblüter, die so tun, als wären sie Reinblüter. Die hassen nur Muffelstämmige, dich und Ron würden sie mit offenen Armen aufnehmen."
Nun war es Ron, der wütend reagierte: „Die würden mich nie im Leben als Todesser nehmen! Meine ganze Familie besteht aus Blutsverrätern! Das ist für die Todesser genauso schlimm wie Muggelstämmige!"
„Und mich hätten sie liebend gern!", stimmte Harry sarkastisch mit ein. „Wir wären die besten Kumpels, wenn sie mich nicht dauernd erledigen wollten."
Gegen ihren Willen musste Hermine nun doch lachen. Und ehe sie ihren Streit fortsetzen konnten, holte Ginny sie auf dem Weg ins Dorf hinunter ein und übergab Harry eine Schriftrolle.
„Das ist von Dumbledore", erklärte Harry, „die nächste Stunde ist Montagabend."
Ginny nickte allen noch freundlich zu, dann eilte sie mit den Worten, dass Dean schon auf sie wartete, davon. Hermine entging nicht, wie Harry ihr traurig nachsah, doch sie verkniff sich einen Kommentar. Nichts war besser geeignet, eine Männerfreundschaft zu zerstören, als wenn der beste Kumpel sich in die kleine Schwester verliebte. Falls Ron von Harrys Gefühlen nicht wusste, würde sie es ihm nicht auf die Nase binden.
oOoOoOo
Rückblickend betrachtet war dieser Tag in Hogsmeade eine einzige Katastrophe gewesen. Nicht nur, dass sie sich am Morgen mit Ron und Harry schon wieder über den Halbblutprinzen gestritten hatte – dass geschah deutlich zu oft in letzter Zeit! – nein, dann war auch noch die Sache mit Katie Bell passiert. Wer hatte ihr dieses verfluchte Amulett gegeben? Und wem sollte sie es überbringen?
Und vor allem: War an Harrys Verdacht, dass es Malfoy gewesen sein könnte, irgendetwas dran? Sie hatten ihn in den Sommerferien bei Borgin & Burke gesehen, doch sie war der festen Überzeugung, dass er dieses Amulett nicht gekauft hatte, auch wenn es sich zum Zeitpunkt seines Besuchs dort befunden hatte. Dennoch, der Zufall war einfach zu ... zufällig.
Kopfschüttelnd starrte sie aus dem Fenster ihres Schlafzimmers hinunter auf den Innenhof des Schlosses. Der Oktober kündigte sich deutlich an und so war es zu dieser frühen Abendstunde bereits dunkel. Nur noch wenige Schüler waren zu sehen, die meisten hatten sich in die wohlige Wärme des Schlosses zurückgezogen. Sie selbst hatte schnell das Weite gesucht, als Ron und Harry selbst im Gemeinschaftsraum noch nicht gerade leise über den Vorfall – und ihren Verdacht gegen Malfoy – diskutieren mussten. Wieso nervten die beiden sie dieses Jahr nur so?
Seufzend kehrte sie zu ihrem Bett zurück, zog ihre Schreibunterlage, Pergament und Feder hervor, um ihre Gedanken zu Papier zu bringen. Sie würde Lucius schreiben. Natürlich konnte sie ihm nicht trauen, doch falls er irgendwie mit seinem Sohn unter einer Decke steckte, wären die Neuigkeiten vom heutigen Vorfall nicht neu für ihn – und wenn er keine Ahnung hatte, was sein Sohn trieb, würde er zumindest vielleicht nachfragen. Sie war immer noch davon überzeugt, dass Draco unschuldig war – er war nicht mal in Hogsmeade gewesen heute! – dennoch, sicher war sicher.
Lucius.
Heute hat sich etwas Merkwürdiges in Hogwarts zugetragen. Ich sitze hier alleine in meinem Bett, einige Stunden nach dem Ereignis und bin noch immer völlig geschockt.
Sie zwirbelte die Feder durch ihre Finger. Sollte sie ihm wirklich schreiben? Sollte sie sich ihm wirklich auf diese Weise öffnen?
Eine Mitschülerin wurde von einem Fluch getroffen, der auf einem Amulett lag. Zumindest ist das die Annahme. Sie hatte Glück, dass sie überlebt hat.
Wieder hielt sie inne. Wenn sie ein Vater wäre, was würde sie davon halten, wenn eine mehr oder minder fremde Person ankäme und einfach fragte, ob man dem eigenen Sohn so einen Angriff, ja, einen Mordversuch zutrauen würde?
Ich glaube nicht, dass sie das Angriffsziel war, eher, dass sie verhext wurde, um als Überbringerin zu dienen. Der eigentliche Empfänger ist zum jetzigen Zeitpunkt unbekannt.
Sie holte tief Luft. Wenn er ihr ihre Neugier und die Vorwürfe übelnahm, wäre sie ihn zumindest los. Was sollte er ihr schon antun, über die Entfernung hinweg, von Malfoy Manor aus?
Ich zähle dir jetzt einige weitere Fakten auf, die nicht allgemein bekannt sind zu diesen Umständen – mache daraus, was du magst. Ich wäre dir zutiefst dankbar, wenn du mir deine Einschätzung mitteilen würdest.
Während der Sommerferien, die ich, wie du ja nur zu gut weißt, in der Winkelgasse verbracht habe, habe ich zufällig deinen Sohn bei Borgin & Burke gesehen. Ich schnappte rein zufällig einen Teil seiner Unterhaltung mit dem Verkäufer auf – er hat offensichtlich ein Objekt erworben, das er nicht direkt mitnehmen wollte, das ihm aber nach Hogwarts geliefert werden sollte. An diesem Tag war das Amulett, das heute meine Mitschülerin verflucht hat, bei Borgin & Burke. Dein Sohn selbst war heute nicht in Hogsmeade, wo der Angriff heute stattgefunden hatte. Er musste nachsitzen, da er offenbar mit seinen Hausaufgaben nachlässig geworden ist.
Hermine entließ zischend die Luft, die sie unbewusst angehalten hatte. Ja, das klang vernünftig und nicht nach einem Vorwurf. Natürlich würde Lucius wissen, worauf sie anspielte, aber neutraler konnte sie es nicht formulieren, ohne am Ende gar nichts zu sagen.
Nachdenklich betrachtete sie ihre Fingernägel. Sollte sie noch einige Zeilen über ihr letztes Treffen verlieren? Es wäre vermutlich beleidigend, wenn sie es nicht täte. Doch was gab es da zu sagen? Sie wusste schließlich immer noch nicht, was sie davon halten sollte, dass sie sich in seinen Armen während des Schlafens so wohl gefühlt hatte.
Unsere gemeinsame Nacht letzten Samstag war ... atemberaubend. Es fällt mir schwer, dir Komplimente zu machen, da ich weiß, dass sie dein ohnehin schon zu aufgeblasenes Ego noch weiter stärken, doch in diesem Fall wäre alles andere eine Lüge. Ich habe nur eine Bitte: Lass das nächste Mal nicht zu, dass ich in deinen Armen einschlafe. Das ist unangebracht, es überschreitet eine Grenze, die ich zu überschreiten nicht gewillt bin.
Er war ihr vermutlich dankbar, dass sie von selbst dieses Thema ansprach, immerhin waren die wenigsten Männer von Schmuseeinheiten nach dem Sex begeistert. Zumindest sagte man so.
Ich kann dir vorerst keinen neuen Termin nennen. Nach dem Angriff auf meine Mitschülerin ist alles zu aufgeregt.
J.
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Er hätte wütend auf sie sein müssen, ihr deutlich sagen, dass sie kein Recht hatte, seinem Sohn einen Mordversuch zu unterstellen. Doch er konnte nicht. Weil er wusste, dass sie mit ihrem angedeuteten Verdacht richtig lag.
Verdammt, Draco, was tust du?
Er hatte die Rechnung von Borgin & Burke gesehen, hatte sich darüber gewundert, warum sein Sohn ein Vermögen für einen Kleiderschrank und eine Halskette ausgeben wollte, doch er hatte nicht weiter nachgefragt. Draco war aus dem Alter raus, in dem er das Geld der Familie für sinnlose Dinge ausgab, und er verstand die finanzielle Situation nach seiner Beinahe-Inhaftierung in Azkaban nur zu gut. Sein Sohn hätte diese Dinge nicht gekauft, wenn es nicht eine größere Bedeutung gehabt hätte.
Hätte er doch damals nur nachgefragt, was er damit wollte.
Genervt ließ Lucius Malfoy die Kaffeetasse sinken. Er hasste es, bereits am frühen Morgen Post zu erhalten, die seine Laune nachhaltig verdarb. Er konnte nicht länger leugnen, dass alles darauf hindeutete, dass sein eigener Sohn inzwischen ein Todesser war – und nicht nur einer der vielen Mitläufer, sondern tatsächlich aktiv, einer, der Aufgaben übernahm. Das gefiel ihm nicht.
Insbesondere, wenn seine Aufgabe offensichtlich in Mord bestand. Es war eine Aufgabe, die für einen Jungen wie ihn zu groß war. Er würde scheitern. Dieser Versuch war gescheitert. Und wenn er keinen weiteren, erfolgreichen Versuch unternehmen würde, würde der Dunkle Lord ihn bestrafen.
Er will mich bestrafen. Durch meinen Sohn.
Wütend ballte Lucius seine Fäuste. Dieser verdammte Potter. Wenn er damals in der Mysteriumsabteilung nicht diese verdammte Prophezeiung zerstört hätte, wäre alles gut gewesen. Warum war er auch mit Freunden aufgetaucht? Und warum konnten diese gerade sechzehnjährigen Bälger so gut kämpfen?
Angestrengt atmete er aus. Es war sein Versagen. Dass der Dunkle Lord seinen Sohn da reingezogen hatte, war ebenso typisch für ihn wie unverzeihlich. Hatte er ihn nicht genug damit gestraft, dass sein einstmals loyalster Anhänger nun unwichtig und beinahe ausgestoßen war? Musste er sich darüber hinaus noch an ihm rächen? Was war nur aus der Malfoy-Familie geworden? Er hatte es geschafft, von jetzt auf gleich alles zu ruinieren, was seine Vorfahren je aufgebaut hatten. Verachtenswert.
Du kannst Draco eh nicht helfen. Wenn du beim Dunklen Lord seinetwegen vorsprichst, wird er sich nur bestätigt sehen und Draco noch mehr quälen. Du bist zum Zusehen verdammt.
Rastlos stand er auf. Dieses riesige Haus war zu groß für eine Person, selbst mit den vielen Hauselfen, die hin und wieder kurz auftauchten und dann wieder verschwanden. Er brauchte Gesellschaft. Er brauchte Ablenkung.
Entschlossenen Schrittes ging Lucius aus dem Speisesaal, durchquerte die Eingangshalle und steuerte auf sein Arbeitszimmer zu. Ein bisschen berauschender Austausch mit Jean war genau das, was er jetzt brauchte. Ihren Brief fest in der Hand ließ er sich auf seinen Sessel sinken, zog einen Bogen frischen Pergaments hervor, griff nach seiner bevorzugten Schreibfeder und setzte an.
Verehrte Jean!
Deine Worte haben mich tief getroffen. Wie kannst du so kalt sein, mich des Bettes verweisen zu wollen, und gleichzeitig so heiß, mich genau dort immer wieder hinzulocken? Du bist wahrlich eine abgebrühte Frau, dass du so mit den Gefühlen eines Mannes spielen kannst. Und noch dazu einem Mann wie mir, der nicht mehr standhaft genug ist, deinen Spielen etwas entgegen zu setzen.
Ich kann dich deswegen nur demütig ersuchen, deine Worte noch einmal zu überdenken. Bin ich dir wirklich nicht mehr wert als der bloße Sex? Können wir nicht darüber hinaus zusammen einige Momente der Zweisamkeit genießen? Welche sechzehnjährige Frau kann so eiskalt einfach ihren Liebhaber von der Bettkante stoßen, sobald er ihr gegeben hat, weswegen sie gekommen ist? Siehst du nicht, dass du mir damit das Herz brichst?
Habe ich gar ein männerverschlingendes Monster geschaffen, das sich nicht nur an mir, sondern an den vielen anderen, so viel jüngeren Männern im Schloss vergeht, da ihr Appetit maßlos ist? Ist das der Grund, warum du nicht mehr Zeit als nötig auf mich verschwenden willst?
Hast du dich gar in den wenigen Wochen, seit ich dich kennen gelernt habe, von einem unschuldigen Engel in eine femme fatale entwickelt?
Bist du eine Schlampe geworden?
Zutiefst verletzt, besorgt und verzweifelt,
L.
Selbstzufrieden grinste Lucius auf die letzten Zeilen. Er war mehr als gespannt auf ihre Reaktion. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie sie seine übertrieben emotionalen Sätze überflog, immer wieder wegwerfende Handbewegungen machte, weil sie ihm die Komplimente und seine Abhängigkeit von ihr sowieso nicht glaubte – und wie sie dann bei seinen letzten Worten stocken würde. Die Augen aufgerissen, mit offenem Mund das eine Wort anstarren würde. Vermutlich würde sie dann mit einem lauten Fluch den Brief von sich schleudern. Voller Hass beschließen, ihm nicht mehr zu schreiben, ihn zu ignorieren, ihn aus ihrem Leben zu streichen.
Und am Ende würde sie ihm doch schreiben, weil er ihren Stolz verletzt hatte, weil sie sich verteidigend wollte, weil sie sich beleidigt fühlte und das nicht auf sich sitzen lassen konnte. Wie eine echte Löwin.
Und dann, wenn sie schon fast fertig war mit ihrem Brief, würde ihr aufgehen, dass er ihre Bitte, den Vorfall in Hogsmeade zu beurteilen, ignoriert hatte. Sie würde beschämt sein darüber, dass er sie mit seinen Worten so provoziert hatte, dass sie vollkommen egoistisch nur noch auf ihren Stolz geschaut hatte, anstatt sich dem eigentlich so viel wichtigeren zu widmen.
Er grinste noch breiter. Junge Frauen waren so leicht zu durchschauen und zu manipulieren.
Und mit Draco würde er reden, wenn er über Weihnachten nach Hause kam. Ehe sie sich nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen, konnte er eh wenig ausrichten.