Tea war, wie Stephen es prophezeit hatte, eine Woche nachdem Verlassen der Bäckerstraße 21B zurück gekehrt. Die von Stephen angedrohte sieben prozentige Zuckerlösung kam durch einige beachtliche Fälle -welche ich irgendwann ein Mal abzutippen gedenke- glücklicherweise bis Juli nur ganze zwei Mal zum Einsatz gekommen. Zwischen dem trüben Märztag und den Freuden des Sonnenbringenden Julis kam also die Geschichte um den Rosabrief nicht weiter voran. Sie stagnierte einfach und wäre sicher in Vergessenheit geraten, wenn nicht ein weiteres Ereignis ihr neuen Antrieb verschafft hätte...
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Es war der zweite Juli 2013, als ich des Morgens beim Erwachen Stephen in seiner Khaki farbenden Kluft an meinem Bett erblickte. Ein Seitenblick auf die Uhr verriet, dass es noch nicht ein Mal sieben war. Ich blinzelte ihn noch immer recht verschlafen, vielleicht sogar etwas verärgert an, denn ein ausgiebiger Schlaf an einem Sonntag war mir fast schon heilig.
"Entschuldige, dass ich dich in deinem verdienten Schlaf stören muss", sagte er "Aber heute geht es keinem in der Hausnummer 21 besser. Frau Härter ist herausgeklingelt worden, sie hat mich und ich dann Tea geweckt. Nun bist du an der Reihe."
"Brennt das Haus?"
"Nein, ein Klient ist da. Es scheint, dass ein exzentrischer Mann mich in einer dringlichen Angelegenheit sprechen will. Er wartet in der Bibliothek. Wenn sich ein Mann seines Schlags in unser kleines Mainz-Kastel verirrt, noch in dringlicher und aufgebrachte Art zwei Wohnhäuser weckt, sollte sich ein interessanter Fall daraus ergeben. Einen wirklich beachtlichen Fall würdest du doch sicher gerne von Anfang an verfolgen."
"Aber sicher, ich bin schon fertig." Ich gestehe hiermit gerne ein, was durch mein erstes Werk sicher schon offensichtlich ist: Einen größeren Genuss, als die deduktive Arbeit meines Freundes mit zu verfolgen können gibt es für mich nicht. Auch wenn es eine Konstruktion logischer Denkvorgänge war, so erschien seine Deduktionen stets wie ein Wunder, ein erhellendes Licht im Dunkel der Unwissenheit. So zog ich mich rasch an um Stephen und der noch verschlafenen Tea Gesellschaft zu leisten.
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Ein dunkelgrün gekleideter Mann mit ebenso grünem Zylinder blickte aus dem großen Fenster und erhob sich als wir eintraten. Er hatte Schulterlanges, glattes, braunes Haar. Sein Schnurrbart zog sich in breitem Bogen von einem Mundwinkel zum anderen. Die dunkelbraunen Augen versteckten sich hinter einer Nickelbrille. In der Tat wirkte er schon beim ersten Blick wie ein Exzentriker sondergleichen.
Stephen begrüßte ihn freundlich und fuhr, nachdem er sich vorgestellt hatte, auf Tea und mich deutend vor: "Das sind meine vertrauten Freunde Tea und Felix, die mir in diesem Fall wie immer eine große Unterstützung sein werden. Ich denke da es sich um eine besonders Delikate Angelegenheit handelt, werde ich ihre Dienste brauchen. Sind Sie einverstanden Herr Grünwald?"
"Gewiss ich habe bereits im Goldsteinthalbach-Fall von ihren Unterstützern gelesen."
Die Erwähnung einer meiner Mitschriften provozierte bei Stephen automatisch eine Augenverdrehung mit einem Seufzer als Beilage. Was sich bis heute nicht geändert hat. Es störte ihn nicht, dass ich über unsere Erlebnisse schrieb und mehr als ein Mal versicherte mir Tea das er sich insgeheim darüber freute, gar geehrt fühlte. Wenn er auch das nie zeigte. Aber das man ihn aufsuchte, wegen einer ausgeschmückten und nicht korrekten Darstellung der Ereignisse -wie er es zu sagen pflegte-, traf bei ihm stets einen wunden Punkt.
"Nun gut, Sie haben mich sicher nicht aufgesucht um meinem Gefährten ihre Glückwüsche für seine Darstellung der Ereignisse zu unterbreiten. Sie wollten mich sprechen, weil ein ehrlicher Krimineller so frei war ein Verbrechen anzukündigen.
"Wenn Sie diesen Dieb als solchen bezeichnen wollen. Er hat sich im Februar mit Briefen an die Polizeidienststellen des Rheinmaingebietes gewandt. In denen er angekündigte, dass er den Rosenstein zu stehlen gedenkt. Eines der wenigen Edelsteine, welches einen direkt Bezug zu Vincent van Gogh hat, wie sie vielleicht wissen. Ich vertraue sicherlich der Polizei, doch sie ist meist zur Stelle wenn der Schaden bereits existiert. Sie hingegen könnten dem entgegen wirken, ihre Leistungen sprechen für sich."
"Das ehrt mich."
"Weshalb ich das BKA, welches mit dem Fall betraut wurde, gebeten habe Sie und ihre Partner an der Untersuchung und Verteidigung des Kleinods teil nehmen zu lassen. Man hat dieser Bitte recht schnell statt gegeben."
"Das überrascht mich."
"Oberkomissar Scholz meinte Sie wären für einen Fall dieser Größenordnung ausnahmslos zu haben."
"Schulz.", korrigierte Stephen den Klient.
"Oder so.", führte Grünwald seine Erläuterung fort, "Ich soll Ihnen ausrichten, dass am 14. Juli eine Besprechung im BKA zu diesem Fall stattfindet. Allerdings sind nur sie geladen.", endete er seine Ausführung, Stephen ein offizielles Covert überreichend. Dieser überflog die Zeilen und versicherte seine Teilnahme an den bestehenden Ermittlungen. Wenig später verließ uns die merkwürdige Erscheinung, so schnell wie sie eine halbe Stunde zuvor gekommen war.
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Stephen pfiff eine Melodie auf den Lippen den Brief wieder und wieder lesend. Tea und ich starrten entgeistert auf die Uhr, für diese Aufwartung hätte man uns nicht so früh wecken brauchen. Noch überlegten wir uns wieder in die Betten zurück ziehen, schließlich zeigte der kleine Zeiger noch nicht mal acht.
Stöhnend äußerte Tea unser beiden Gedanken: "Der hat vielleicht Nerven."
"Ach stimmt ja du bist der Innbegriff des Morgenmuffel.", entgegnete Stephen belustigt über den Papierrand linsend.
"Bin ich nicht.", erwiderte Tea genervt, "Aber er hätte ruhig später kommen können."
"Frühere wäre besser gewesen."
"Was?"
"Du erinnerst dich, es geht um Phantom er hat in meinem Auslandsjahr acht erfolgreiche Diebstähle begangen. Alle angekündigt, alle in einer Art und Weise die für einen herausragenden Intellekt sprechen. Ich werde die Tage alles an Material sichten, was ich dazu habe und finden kann. Also hätte er sich durchaus ein paar Tage früher an mich wenden können."
Alles an Material hieß bei Stephen die Ausgaben seines Zeitungsarchivs des kompletten Jahres 2013, welche Frau Härter in seiner Abwesenheit annahm und wie ihr geheißen, korrekt einsortiert hatte, sichten. Zusätzlich was er im Netz noch fand und was er mit seinen Bekannten bei der Polizei in Erfahrung bringen konnte.