Draco Malfoy.
Immer war er dort, wo sie alleine war. Er schien eine Art sechsten Sinn dafür zu haben, wann sie ohne die Hauselfen in der Küche oder ohne den Hausherrn in den Gängen unterwegs war. Keine Gelegenheit ließ er aus, um sie zu schikanieren und ihr Angst einzujagen – nur nachts im Bett hatte er sie bisher entgegen seiner Worte in Ruhe gelassen. Sie hoffte sehr, dass sie dies dem Verbot seines Vaters zu verdanken hatte und nicht einer List von Draco Malfoy selbst. Ihre Lage war misslich genug, sie brauchte die zusätzliche Angst, die er in ihr hervorrief, wahrlich nicht.
Unsicher äugte sie erneut zum Eingang der Küche – und stellte erleichtert fest, dass sie wieder alleine war. Was auch immer die Szene mit Snape gerade zu bedeuten hatte, sie war sich sicher, dass es nicht gut gewesen war, dass Malfoy sie dabei beobachtet hatte. Über kurz oder lang würde er ihr die Rechnung dafür präsentieren oder es anderweitig gegen sie verwenden.
oOoOoOo
„Du willst was?"
Entsetzen lag in der Stimme von Lucius Malfoy. Er konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Fassungslos starrte er seinen Kollegen an.
„Ausgerechnet du willst dir das Recht erkaufen?
Sein Gegenüber nickte nur, ohne sich zu Gründen zu äußern. Die Wortlosigkeit machte Malfoy nur noch ungläubiger. Welches Motiv konnte dieser Mann haben, so viel zu zahlen? Sicher, es war seine Idee gewesen, ein Geschäft daraus zu machen, doch dass ausgerechnet jener Todesser das Angebot annehmen würde, so viel investieren würde.
„Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, Lucius", kam nun doch noch eine kalte, schneidende Äußerung, „du hast uns allen ein Angebot gemacht, ich gedenke es anzunehmen. Ich habe mehr Gold, als ich jemals ausgeben kann, und ich sehe keinen Grund, warum du so reagieren solltest, wie du es gerade tust!"
Lucius Malfoy wusste selbst nicht, wieso er so aufgebracht war. Er wusste nur, dass dieser Handel nicht zu dem Bild passte, dass er bis vor kurzem von diesem Todesser gehabt hatte. Und er wusste, nein, er spürte vielmehr, dass irgendetwas in ihm den Gedanken nicht ertragen konnte, sein Gut endgültig in die Hände eines anderen zu geben. Als er sich den Plan ausgedacht hatte, als er den Wert dieser zufälligen Entdeckung erkannt hatte, da hatte er keine Sekunde daran gedacht, selbst ein Interesse daran haben zu können. Er hatte nur an das Gold und an seine Aufstiegschancen gedacht. Doch jetzt, wo tatsächlich ein ernsthafter Geschäftspartner auf den Plan getreten war, merkte er, wie sehr ihm seine eigene Idee missfiel. Doch er konnte keinen Rückzieher machen. Er würde nicht nur sein Gesicht verlieren, sondern sich im schlimmsten Fall auch noch unangenehmen Fragen von Voldemort stellen müssen.
„Wie du meinst. Dann gib mir das Gold und wir haben einen Deal!", erwiderte er nach kurzer Pause. Er konnte es sich nicht leisten, Verdacht auf sich zu ziehen. Und es war so leicht, Verdacht zu erregen. Der Dunkle Lord war nicht paranoid, er hatte vielmehr einen untrüglichen Instinkt. Er wusste, wer loyal war aus ganzem Herzen, wer es nur aus Nutzenkalkülen war und wer einfach zu feige war, sich von ihm abzuwenden. Und er erkannte sofort, wenn man ihn betrügen wollte. Dass Severus Snape noch lebte, obwohl er sich einst Dumbledore angeschlossen hatte, war ein großes Wunder für ihn – und er wusste, dass Snape mehrere Jahre unter ständigem Verdacht stand. Bis zu jenem Tag, als er Dumbledore eigenhändig getötet hatte. Als er Draco geschützt und sich tatsächlich selbst die Hände schmutzig gemacht hatte. Seit diesem Augenblick stand niemand in der Hierarchie über ihm. Doch um diese Zweifel auszuräumen, hatte es den Tod des mächtigsten Gegners von Voldemort gebraucht. Was sollte er, Lucius, tun, falls der Dunkle Lord jemals ihn des Betrugs verdächtigen sollte?
„Ich werde morgen mit dir frühstücken. Alleine, nur wir zwei, keine Hauselfen, keine Sklaven, keine Familie. Dann bekommst du dein Gold!"
Nur mühsam konnte sich Lucius Malfoy von dem kalten Gefühl der Unsicherheit befreien, welches er mit seinen eigenen Gedanken gerade hervor gerufen hatte. Dieser Handel würde ihm einen mächtigen Mann noch näher bringen und so helfen, auf der guten Seite von Voldemort zu bleiben. Er war seine Idee gewesen, sie war gut, es war eine einmalige Chance, seine Position zu bessern und zu festigen.
„Abgemacht!"
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Mit langsamen, aber weiten Schritten verließ der Todesser das Anwesen der Malfoys. Er war erstaunt darüber, wie leicht es ihm gefallen war, Lucius von diesem Handel zu überzeugen. Sicher, es war dessen Idee gewesen, doch spätestens seit der Geschichte mit Greyback hatte er vermutet, dass der alte Mann vielleicht doch nicht so scharf darauf war, den Handel durchzuziehen. Innerlich hatte er sich schon darauf eingestellt, seine Autorität in die Waagschale zu werfen, als der Hausherr plötzlich nachgab und ohne weitere Nachfragen einwilligte.
Warum stand Malfoy nicht einfach zu seinen Wünschen? Wessen Vorwurf fürchtete er, welche Anklage sollte kommen? Warum knickte er so schnell vor dem geringsten Anzeichen von Autorität eines höher gestellten Todessers ein? Hatte er etwas zu verbergen?
Nachdenklich trat der Mann durch die magische Barriere, die das Grundstück umgab, hindurch und drehte sich um. Sein Blick wanderte über die Fassaden des Gebäudes, das gerade in der Mittagssonne erstrahlte. Die Bewohner des Hauses benahmen sich allesamt merkwürdig. Sicher, die Beziehung zwischen Narcissa und Lucius war schon lange abgekühlt, aber einen Streit, der dazu führte, dass das Frühstück nicht gemeinsam eingenommen wurde, hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Und insbesondere der Sohn verhielt sich eigenartig. Allem und jedem brachte er Hass hingegen, seit Wochen hat niemand ihn mehr lachen sehen, nur der Hass schien ihn überhaupt noch am Leben zu halten.
Was ging in diesem Haus vor sich?
Mit einem Seufzen wandte der Todesser sich ab. Durch Starren würde er es auch nicht herausbekommen. Er nahm sich vor, den Malfoys die nächsten Tage regelmäßig einen Besuch abzustatten. Was er nicht einordnen konnte, konnte seine Pläne ruinieren. Und außerdem bestand die Möglichkeit, dass er all die Jahre in Lucius getäuscht hatte.
So gering diese Möglichkeit auch war, er musste sicher gehen. Er musste herausfinden, woran er war.