Keeda griff nach Alice Hand die weiterhin Harbeks Ärmel umklammerte und löste sacht die verkrampften Finger. Die Assassine richtete sich erschöpft auf und wischte sich die Tränen aus dem rotgeweinten Gesicht. „Er ist als Held gestorben‟, sagte sie entschlossen und sah auffordernd Keeda an. Die Dunkelelfe nickte, aber zuckte auch mit den Achseln.
„Ich hätte nie vermutet, dass er zu einem solch großem Opfer fähig ist‟, murmelte sie nachdenklich, aber Alice nahm ihr die harten Worte nicht übel. Sie lachte sogar auf und lächelte Harbek an.
„Scheint wir haben ihn nicht so gut gekannt, wie wir dachten. Wenn er dich hören könnte, wäre er wegen deiner Worte sicher tief beleidigt.‟
Keeda lächelte ebenfalls, „Wenn er mich höre könnte, würde ich ihm sagen, dass seine Heilkräfte am Ende wohl doch nicht ausgereicht haben.‟ Sie lachte freudlos auf, „Und dann würde er sagen, dass wir uns auch gerne selbst verarzten können.‟
„Dass wir uns glücklich schätzen müssen, ihn an unserer Seite zu haben‟, pflichtete ihr Alice bei und neue Tränen traten in ihre Augen. Sie atmete tief durch und versuchte sie fort zu blinzeln. „Er wusste doch, dass wir ihm immer dankbar waren, oder?‟ Alice runzelte die Stirn und biss sich nachdenklich auf die Lippe. „Oder?‟ Sie sah zweifelnd zu Keeda, aber die Dunkelelfe blickte nachdenklich in die Ferne und reagierte nicht auf ihre Worte.
„Keeda?‟fragte sie zögernd und griff nach ihrer Hand. Ihre Finger berührten noch nicht die obsidianfarbene Haut, als Keeda sie abrupt weg zog und sich vorbeugte. Fieberhaft tastete sie den Zwergen ab, bis Alice sie zurück riss und ihre Handgelenke umfasste. Fassungslos sah sie die Drow an, die sich jedoch befreite und weiter Harbeks Taschen durchsuchte.
„Nur weil Harbek jeden Toten nach Münzen abgesucht hat, musst du es ihm nicht gleich tun‟, tadelte Alice sie und wollte erneut dazwischen gehen. Keeda schlug ihre Hände beiseite und schüttelte den Kopf.
„Ich suche …‟, sie biss sich auf die Lippe als sie die Schnallen des Brustharnischs öffnete, um an die darunter verborgenen Taschen zu gelangen, „Ich suche … das hier!‟ Triumphierend hielt sie eine blaue Glasphiole in die Höhe.
„Das Wasser!‟, rief Alice schockiert aus und griff nach dem Gefäß, aber Keeda war bereits dabei das Siegel am goldenen Deckel aufzubrechen.
„Das Wasser von Elah'zad‟, erklärte sie und biss ungeduldig den Verschluss auf, „Ich schätze es ist Zeit seine Wirkung zu entdecken.‟ Sie hielt die Phiole über Harbeks Lippen, doch zögerte. Stirnrunzelnd blickte sie zu Alice, die sie erwartungsvoll beobachtete. „Wir dürfen uns keine allzu großen Hoffnungen machen‟, wand sie vorsichtig ein, aber Alice riss ihr die Flasche aus der Hand.
„Hoffnung ist das einzige was wir noch haben.‟ Entschlossen träufelte sie Harbek den gesamten Inhalt der magischen Flüssigkeit in den Rachen und ließ die Phiole neben sich fallen.
Gespannt beobachtete sie das regungslose Gesicht des Zwergen. Das Wasser hatte eine unnatürlich blaue Farbe, zeigte aber keine Wirkung. Nichts geschah, dennoch wandte Alice nicht den Blick von Harbek. Keeda seufzte dagegen enttäuscht auf und blickte betrübt zu Boden.
„Wir müssen uns mit dem Unabänderlichem abfinden‟, murmelte sie und sah enttäuscht zu der leeren Glasphiole. Ihre letzte Hoffnung war erloschen. „Alice, es tut mir leid‟, flüsterte sie, doch die Assassine jauchzte in diesem Moment laut auf. Zweifelnd blickte Keeda zu Harbek hinab und beobachtete ungläubig das Schauspiel, welches sich ihren weit aufgerissenen Augen bot.
Jede von Harbeks Venen trat blau leuchtend unter der Haut hervor und ließ ihn von innen leuchten. Es war das gleiche blau der Glasphiole, oder Valindras Augen. Furcht machte sich in Keeda breit und sie tastetet vorsichtig nach ihrem Dolchgriff.
Das Leuchten verblasste allmählich und ein tiefer Seufzer ging durch Harbek Körper. Er atmete auf und seine Hände begannen sich zu bewegen. Alice beugte sich breit lächelnd über den Zwergen und stütze ihn, als er sich stöhnend aufsetzte. Er rieb sich die müden Augen und fuhr über sein stoppeliges Kinn. Langsam, wie ein Säugling, der zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt, öffnete er blinzelnd die Augen und sah sich verwundert um.
„Das Licht‟, murmelte er verwirrt und schnaufte, als sich Alice freudestrahlend um seinen Hals warf. Er sah sie verwundert an und murmelte nachdenklich ihren Namen. Sein Blick wanderte weiter zu Keeda, die ihn fassungslos, aber argwöhnisch betrachtete. Erleichtert atmete sie auf, als sie dem Blick seiner dunkler Augen begegnete, die nicht wie die der Hexe glühten. Sie ließ ihren Dolchgriff los und ergriff dankbar die Hand des Zwergen.
„Du lebst‟, stellte sie lächelnd fest und Harbek musste bei ihrer Überraschung grinsen.
„Sieht ganz so aus. Tut mir leid, deine Hoffnungen zu zerstören.‟
„Ich werde es überleben‟, schmunzelte Keeda und drückte seine Hand. Sie konnte es nicht glauben.
„Das Wasser von Elah'zad?‟, vermutete Harbek und seine Blick fiel auf die Glasphiole, „Jetzt kenne ich das Ausmaß seiner Macht.‟ Er sah zu ihnen auf und lächelte beide dankbar an.
„Neverwinter wird euch auf ewig dankbar sein.‟ Neverember kam torkelnd aus seinem Versteck. Er zog seine Rüstung zurecht und hob auch den Helm auf. Er nickte ihnen anerkennend zu und wollte hocherhobenem Hauptes das Zimmer verlassen. Keeda sprang ungestüm auf und stellte sich dem Lord drohend in den Weg.
„So einfach könnt ihr uns nicht verlassen‟, zischte sie wütend und stieß ihn zurück. Er stolperte und fiel rücklings vor die Füße der Drow. „War es das wert?‟fragte Keeda zornig und ergriff ihren Dolch. Neverember sah ängstlich zu ihr hinauf, doch so schnell wie er die Fassung verloren hatte, fand er sie wieder und setzte seine altbekannte Maske auf.
„Ich weiß nicht wo von ihr sprecht. Euch werden alle Reichtümer der Stadt zustehen, Ländereien, alles was ihr begehrt.‟
Keeda lachte freudlos auf. „Ich möchte eure Bestechungen nicht‟,knurrte sie, „Ich möchte Antworten, also frage ich erneut: War es das wert? Der Mord am König, das Auslösen der ersten Elfenkriege, bei denen mein Volk den Ruf einer bestialischen Rasse bekam, und das Ingangsetzen einer Kette von Ereignissen, deren Ausgang eine Nekromatenkönigin mit gebrochenem Herzen war? Tausende sind wegen euch gestorben, empfindet ihr auch nur eine Spur Reue? War der Titel Lord von Neverwinter all diesen Schmerz wert?‟ Keeda zog ihren Dolch und sah hasserfüllt auf den Lord hinab.
Alice stand vorsichtig auf, ihre Beine zitterten noch immer und hob beschwichtigend die Hände. „Keeda, lass den Unsinn. Ich verstehe deinen Groll, doch er ist deinen Hass nicht wert. Leg die Waffe weg.‟
Keeda sah entschuldigend zu Alice hinüber und schüttelte entschlossen den Kopf, „Tut mir Leid, aber das kann ich nicht.‟