Schnaubend und schweißbedeckt trabte Sakura auf den Hof zurück. Übermüdet ließ sie den Kopf hängen, und Echo ging es ähnlich. Kyle und Amelie hatten sie lange geritten, durch den halben Wald und zurück, wie es schien.
Gleichzeitig, trotz der Erschöpfung, die Sakura wie einen Nebel umgab, fühlte sie sich seltsam beflügelt.
Sie hatte den Sprung geschafft, den Todessprung, der damals ihr Leben zerstört hatte. Sie war frei von der Erinnerung an den Unfall!
Natürlich war dieser letzte Gedanke nur ein Wunsch, und sie wusste es. Weder sie noch Amelie hatten den Unfall wirklich überwunden. Immer noch wirkte Amelie vollkommen unsicher im Sattel, nur stellenweise hatte sie die Angst vergessen können – beim Galopp, oder wenn ihre Konzentration größer wurde, dann war Amelie wie früher.
Sakura verstand es jetzt: Ihre Reiterin war nicht etwa verschwunden. Die wundervolle, gute Amelie war noch da, doch sie war gefangen in einem Kokon aus Zweifel und Furcht, und dieser Kokon begann jetzt erst, Risse zu zeigen.
Amelie würde den Kokon verlassen müssen. Das würde dauern.
Während die beiden erschöpften Pferde über den Hof trabten, dem Stall zustrebten, begrüßte sie ein hochmütiges Wiehern.
Sakura hob den Kopf und richtete die Ohren nach vorn, was sie sogleich bereute.
Ihnen gegenüber trat, aus dem Schatten des Stalls heraus, ein anderes Pferd hervor. Es war ein Vollbluthengst, das Fell pechschwarz, die Muskeln ein Tanz kräftiger Stränge unter der Haut. Das Pferd war schlank und groß, mit kurzer Mähne und kalten, stahlgrauen Augen.
Der Araber hatte mit Sakura und Echo so wenig gemein, dass er einer ganz anderen Art angehört sein könnte.
Neben dem Pferd – nein, ein wenig davor – ging ein Mädchen. Sie war schlank, ebenso kalt und fremd und groß wie ihr Tier. Und wie das Pferd teures Sattelzeug trug, dessen Leder nach Künstlichkeit roch und nach Chemie, so trug das Mädchen teure Kleidung, die keinen Zweck hatte. Sie war nicht bequem, hielt nicht warm, ihr einziger Zweck war es, so teuer auszusehen, wie sie gewesen war.
Das jedenfalls hatte Amelie einmal gesagt, in einem früheren Leben. Doch auch ohne etwas von Kleidung und Geld zu verstehen, wusste Sakura, dass sie weder Pferd noch Reiterin leiden konnte. Der Geruch des Sattels hatte etwas allzu abstoßend Beißendes, und die Augen beider blickten allzu hochmütig.
„Ach, Amelie! Du bist wieder im Stall?“, fragte das Mädchen, das den dunklen Hengst am Zügel führte.
Amelies Blick huschte zu Kyle, doch der sagte nur sehr leise einen kurzen Satz: „Sei selbstbewusst.“
Amelie versuchte wohl, sich diesen Rat zu Herzen zu nehmen. Sakura spürte, wie sie sich straffte und dem Blick des Mädchens begegnete. Sakura spürte durch den Sattel hindurch, wie Amelie zitterte.
„Natürlich, Viktoria. Ich bin schon fast zwei Wochen zurück.“
„Seltsam, ich habe dich beim Training nirgends gesehen“, Viktoria und der Hengst zogen an ihnen vorbei, und das hochmütige Mädchen musterte Amelies Sattel.
Dann lachte sie plötzlich so schrill, dass ihr Hengst tänzelte und Sakura scheute.
„Hast du etwa Angst, wieder aus dem Sattel zu fallen? Hast du dich echt festgebunden?“
Amelie brachte Sakura unter Kontrolle, und bis sie damit fertig war, war Viktoria bereits außerhalb der Reichweite, in der Menschen noch etwas hören konnten.
Aber Amelie zitterte auf Sakuras Rücken und ihre Bewegungen an den Zügeln waren ruckartig und grob.
Sakura hasste Viktoria nur umso mehr, denn ganz offensichtlich war der Schmerz in ihren Mundwinkeln, nach diesem langen Ritt, dem hochmütigen Mädchen zu verdanken.
„Ruhig, Amelie“, sagte Kyle und kam Sakura damit zu Hilfe.
„Das war diese Zicke Viktoria!“, Amelies Stimme zitterte auch, Sakura hörte die Wut darin, und noch etwas anderes: Amelie war kurz davor, zu weinen!
Aber Amelie schniefte nur. „Ihr Vater schiebt ihr alles in den Hintern, auch ihr Pferd. Das war ein echter Rassehengst, Rocket.“
Abwesend klopfte sie Sakuras Hals. „Du erinnerst dich noch an Rocket, oder, meine Liebe?“
Oh ja, Sakura erinnerte sich. Obwohl sie Rocket niemals als Pferd kennengelernt hatte. Immer war dieses Tier nur ihr Gegner gewesen. Bei jeder Reitstunde zusammen hatte es einen stummen Wettkampf gegeben. Rocket trat mit jedem Pferd in Wettkampf, statt sie kennen zu lernen. Und Rocket gewann, denn er war schneller, und mit seinen langen Beinen und dem kräftigen Körper auch der bessere Springer.
„Du kannst sie nicht leiden, was?“, fragte Kyle sanft.
„Niemand kann Viktoria leiden“, meinte Amelie. „Vermutlich nicht einmal Viktoria.“
Eine Weile trotteten die Pferde nebeneinander her. Echo kaute auf seinem Gebiss, während die beiden Reiter schwiegen.
„Von was für einem Training hat Viktoria eigentlich gesprochen?“, fragte Kyle unvermittelt.
Amelie lehnte sich im Sattel leicht zur Seite, als sie eine abwinkende Geste machte – was in der Menschensprache hieß, soviel wusste Sakura, dass ihre Reiterin nicht weiter darüber reden wollte. Amelie erklärte es Kyle trotzdem.
„Das Training für ein Wettbewerb, irgendein Rennturnier oder so. Viktoria trainiert durchgängig für irgendwelche Rennen. Ich blick da schon nicht mehr durch.“
„So, so“, sagte Kyle.
Sakura wurde misstrauisch. Da war so ein Unterton in Kyles Stimme, der Amelie nicht aufzufallen schien.
So, als würde Kyle nachdenken.