Mit einem guten Gefühl verließ auch Teitr das gemütliche Bauernhaus seines Freundes. Heute Nacht wollte er endlich wieder einmal in seiner Hütte am See schlafen und dem Paar ein wenig Ungestörtheit lassen. Zufrieden schnupperte der Alte in die laue Abendluft. Ja, es würde bald Frühling werden. Alle Zeichen deuteten auf die kommende Schneeschmelze und baldige Wärme hin. Man konnte es riechen. Man konnte es fühlen. Ja, wenn man genau hinhörte, vernahm man es sogar im Gesang der Vögel.
Der Vorarbeiter schlenderte langsam über den Hof und bog dann zwischen Scheune und Grubenhaus ab, um den Weg hinunter zum Fluss zu nehmen. Noch einmal warf er einen Blick zurück, um das helle Leuchten der Fenster im Haus seines Freundes zu bewundern. Zwei Kerzen standen darin und luden mit ihrem freundlichen Licht zum Bleiben ein. Runas geschickte Hände waren in Thorsteins Haushalt allerorts zu spüren. Sein Freund hatte es wirklich gut getroffen!
Es war dieser kurze Blick zurück, der Teitrs Aufmerksamkeit auf ein ganz anderes flackerndes Glimmen aufmerksam machte. Drüben, direkt hinter dem Moorsee brannte ein kleines Feuer, dessen Flammenschein durch die Bäume hindurch schimmerte. Riechen konnte man das kleine Feuerchen nicht und wäre er nicht ausgesprochen spät noch unterwegs gewesen, so dachte sich Teitr, hätte keiner etwas von den ungebetenen Gästen am Waldrand mitbekommen. So aber machte der alte Fuhrmann sofort kehrt und verständigte Thorstein über seine unerwartete Entdeckung.
»Kann man denn hier nie seine Ruhe haben?«, brummte der Krieger missmutig, als ihn das Klopfen an der Tür davon abhielt, seine Runa weiter zu verführen. Gerade hatte er die ersten Bänder ihres Kleides gelöst … Doch das Hämmern ließ ihn wissen, dass es noch etwas Dringendes gab. Keiner seiner Männer würde ihn grundlos um diese Zeit belästigen. Schulterzuckend zog er sich die Kyrtel wieder über. Mit einem »Ich komm ja schon!« eilte der Steuermann zur Tür und trat hinaus in den Hof. Auch wenn es der alte Vorarbeiter war, den er nun begrüßte – niemand musste seine Gefährtin halb bekleidet sehen.
Doch Teitr dachte gar nicht darüber nach, wieso man ihm den Zutritt ins Haus verweigerte. Sofort berichtete er von dem, was er gesehen hatte und auch Thorstein war daraufhin schnell klar, dass er handeln musste. Den Göttern sei Dank für die gute Beobachtungsgabe seines Freundes!
Das halblaute Murmeln zwischen ihrem Gefährten und Teitr entfernte sich nach und nach von der inzwischen wieder angelehnten Tür. Runa wickelte sich seufzend in eine Decke und tappte auf nackten Füßen zum Eingang, um das dicke Eichenholz endgültig zu schließen. Noch war es viel zu kalt, um die Tür lange offenstehen zu lassen. Was Teitr wohl noch von Thorstein wollte?
Nachdenklich musterte sie einen Moment lang die beiden Schatten, die sich inzwischen eilig auf die Scheune zu bewegten. Dabei blieben sie leise, was Runa irgendwie beruhigte. Wenn Gefahr drohte, sei es durch Wildtiere oder gar ein Feuer, würden sie doch mit lauten Rufen auf sich aufmerksam machen, oder nicht?
Dennoch zog sich die junge Frau schnell wieder an, band sich auch die Beinlinge um und schlüpfte in ihre Schuhe. Sicher war sicher!
So fand sie Thorstein, als er nach einer kurzen Beratung mit seinen Knechten ins Haus zurückkehrte, um sich zu bewaffnen. Egal, wer dort draußen herumschlich, etwas Gutes konnten solche Heimlichtuer nicht im Sinn haben.
Der Steuermann war sich sicher, dass sie zumindest nachsehen mussten, wer sich da am Moorsee aufhielt. Waren es Strauchdiebe oder anderes Gesindel, mochten sie vielleicht gar in der Überzahl sein, war es besser, den Feind zu kennen. Bei diesen überraschenden Gästen konnte es sich nicht um ehrbare Menschen handeln!
"Teitr hat einen Feuerschein am Moorsee entdeckt", ließ Thorstein Runa wissen. "Vielleicht sind es nur ganz harmlose Reisende, die sich verirrt haben. Aber wir werden nachsehen gehen, wer sich da draußen herumtreibt." Der Steuermann rieb sich die Stirn. "Teitr weckt gerade Oddi und Katla. Alle, die auf dem Hof bleiben, werden sich hier versammeln. Das Haus lässt sich gut verteidigen, wenn es zu einem Angriff käme." Als er Runas entsetzten Blick sah, musste er trotz der ernsten Situation lächeln. "Aber so schlimm wird es keinesfalls werden. Ich will nur ganz sicher sein, dass dir und Solvig nichts zustößt."
Runa nickte. Dann sah Thorstein, wie sie sich straffte und entschlossen aufstand. "Wir werden uns schon schützen", versprach sie. "Sei du nur auch vorsichtig! Solch wildes Gesindel kann hinterhältig sein!"
Sie trat dicht an ihn heran, umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und küsste ihren Gefährten leidenschaftlich. "Lass dich auf kein Risiko ein, Thorstein", bat sie leise. "Und komm unverletzt zurück!"
Der Steuermann nickte. "Wir werden vorsichtig sein. Keiner unserer Leute soll heute Nacht Schaden erleiden. Ich werde schon auf sie und mich aufpassen!" Mit diesen Worten ergriff Thorstein sein Schwert, das immer schnell erreichbar neben der Tür hing, steckte es neben seinem Dolch in den Gürtel und öffnete die Tür. "Wir werden bald zurück sein. Pass auf dich auf!"
Die Tür fiel leise zu und Runa war allein. Angespannt lauschte sie den Geräuschen des spätabendlichen Hofes. Doch außer ein paar Tierlauten und dem Knarren eines Fensterladens im Wind war nichts zu hören. Die Männer verließen in aller Stille den Hof, um ihre ungebetenen Besucher nicht vorzeitig zu warnen.
Ebenso leise und ohne eine Tranlampe zu benutzen, schlichen wenig später auch Oddi, Teitr, Katla mit der kleinen Solvig und die Hirtenfrauen in Runas Haus. Sie fanden die Hausherrin still am Tisch sitzen, vor sich ihr blank gezogenes Schwert, die drei langen Küchenmesser sorgfältig aufgereiht daneben.
Teitr lächelte vergnügt. So ernst die Situation auch sein mochte - der Mut von Runa gefiel ihm. "Soll ich uns noch die Mistgabeln holen?", fragte er schmunzelnd und freute sich, als er mit diesem frechen Spruch ein Lächeln auf das Gesicht der jungen Frau zauberte. Unwillkürlich sah sie zum Kamin, auf dessen Sims jene Wolfszähne lagen, auf deren Eroberung Teitr anspielte. "Warum nicht?", stimmte sie zu. "Mistgabeln können ganz nützlich sein. Nicht nur im Schweinestall …"
Die fragenden Gesichter von Katla und Oddi waren alsbald Grund genug für den Vorarbeiter, die Geschichte ihrer gemeinsamen Wolfsjagd zum besten zu geben. In seiner unnachahmlichen Erzählweise schilderte er, wie Runa, mit eben jener Mistgabel bewaffnet, Skinfaxi vor den Raubtieren gerettet hatte. Stolz zeigte diese die beiden Wolfszähne herum, die Teitr für sie aus dem Kiefer des erlegten Tieres gebrochen hatte.
So verging die Zeit und das Zusammensein nahm den Wartenden ein wenig die Angst um Thorstein und seine Männer, die am Moorsee inzwischen bei den unerwarteten Lagernden angekommen sein mussten. Noch war draußen alles still und das beruhigte Teitr, der trotz seiner Erzählung immer wieder lauschend auf das Geschehen vor der Tür geachtet hatte. Nichts deutete auf einen beginnenden Kampf hin. Der Alte war sich sicher, dass er auf Thorsteins Umsicht und Zurückhaltung vertrauen konnte. Der Steuermann war zwar ein verwegener Krieger, wenn er es sein musste, doch er war weder lebensmüde, noch übersah er drohende Gefahren oder die Überlegenheit eines möglichen Gegners.