Gross und bedrohlich stand sie auf einmal vor mir, Frau Kritik. Die Arme energisch in ihre breiten Hüfte gestützt, die Beine fest auf dem Boden, stand sie da und die Worte purzelten nur so aus ihrem Mund.
Vergeblich versuchte ich, die Türe zu schliessen. Rasch schob sie einen Fuss in den Spalt und drückte sich mit ihrem schweren Oberkörper in den Raum.
Es gab kein Ausweichen.
Wie klein ich mich fühlte! Wie hilflos und ausgeliefert! Was konnte ich ihrem kritischen Redefluss schon entgegenhalten? Bestimmt hatte sie recht mit all dem, was sie mir da an den Kopf warf!
Immer mehr zog ich mich an die Wand zurück, in der Hoffnung, dort Schutz zu finden. Mein Kopf war gesenkt, der Blick auf den Boden gerichtet. Inständig hoffte ich, Frau Kritik möge endlich schweigen. Schweigen und gehen. Wie oft hatte ich mich schon verletzt gefühlt durch sie, durch ihe harschen Worte!
An die Wand gepresst überlegte ich, wie ich ihr ausweichen könnte. Aber die Tür zum rettenden Nebenzimmer war weit entfernt. Meine Verzweiflung wuchs.
Vor mir auf dem Boden huschte eine Maus vorbei. Sie schaute mich an, erkannte meine Not und wisperte mir zu: "Mach dich gross!"
Vor meinem inneren Auge erschien ein Elephant, der laut trompetend den Rüssel schwenkte. Auf seinem Rücken sass ein Affe, der herumturnte.
Ich musste lachen.
Mein unerwartetes Lachen brachte Frau Kritik aus dem Konzept. Sie unterbrach ihren Redefluss und blickte mich erstaunt an.
Das ermutigte mich und ich atmete tief durch.
Auf einmal spürte ich, wie mir grosse Ohren wuchsen, ein Rüssel und vier grosse, starke Beine. Meine Haut wurde grau - ich war ein Elefant geworden.
Ruhig stand ich da und schaute Frau Kritik an. Entgeistert wich sie zurück, suchte nun ihrerseits Halt an einer Wand.
Lange musterten wir uns wortlos.
Die Maus kam wieder angetrippelt und stellte sich zwischen uns beide.
Lächelnd schaute sie uns an.
"Kritik ist gut. Sie ändert nichts an deiner Grösse", sagte sie ruhig zu mir.
"Kritik üben muss gelernt sein - dann kann sie viel Gutes bewirken", wandte sie sich dann an Frau Kritk.
Der Gesichtsausdruck von Frau Kritik veränderte sich, wurde weich. Langsam kam sie auf mich zu und begann mich behutsam zu streicheln. Ich beschnupperte sie vorerst vorsichtig, schlang dann meinen Rüssel um ihre Hüfte und hob sie auf meinen Rücken.
Seither gehen wir als Team durchs Leben.