En-Die saß im Schatten des großen Baumes, welcher am Rande des Waldes stand, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatten und beobachtete Katara und Aang, die ihren Bändigungsübungen nachgingen. Es waren mehrere Tage vergangen, aber außer den Piraten und einem etwas verrückten Teenager, der sich in einem Wald versteckte, war nichts Besonderes vorgefallen. Nun waren sie kurz vor dem großen Graben, ein gewaltiger Canyon, der hier die Landschaft prägte. Der Schatten hatte die zwei Wasserstammkinder inzwischen näher kennengelernt und sie ins Herz geschlossen. Katara war, wie er bald feststellen musste, sehr fürsorglich, aber auch leicht zu reizen und sehr ehrgeizig. Von Sokka dachte er zunächst, dass er der typische Junge in seinem Alter war, der sich gerne wichtigmacht, doch nach ihrem Erlebnis im Wald des verrückten Jungen begann En-Die zu erkennen, dass der junge Krieger sehr viel Potential hatte. "Katara, die Füße mehr nach rechts! Aang, deine Handbewegungen sind zu hektisch! Du willst Wasserbändigen und keine Mücke verscheuchen!", rief En-Die und die beiden versuchten so gut es ging, seine Tipps umzusetzen. Der Schatten seufzte. Er mag zwar kein Wasser berühren können, ohne sich Verbrennungen dritten Grades zuzuziehen, doch er hatte immerhin vier Jahre am Nordpol studiert. Das hinterließ Spuren. En-Die hatte eigentlich gehofft, nie mehr an diesen schrecklichen Ort zurückkehren zu müssen, doch nun war er hier, mit dem Avatar, dem er half eben dorthin zu gelangen. Sein Blick fiel auf Sokka, der am Waldrand mit seinem Bumerang trainierte. Er beschloss, dem Jungen etwas zur Hand zu gehen. Vielleicht konnte er dabei etwas lernen. Eine Weile sah er ihm zu, dann wagte er schließlich seine Frage: "Darf ich es mal probieren?" Sokka sah ihn überrascht an, grinste dann jedoch und übergab ihm seine Wurfwaffe. "Tu dir keinen Zwang an", meinte er und En-Die nickte. Er versuchte Sokkas Bewegung nachzumachen und warf den Bumerang. Die Stärke des Schattens bewirkte jedoch, dass das Geschoss durch die nächsten drei Baumstämme flog, als wären diese aus Butter. Dahinter blieb der Bumerang schließlich liegen, während die Bäume krachend zu Boden fielen. Sokka hob seine Waffe auf und betrachtete sie besorgt. "Ich…äh…ich hoffe, ich habe ihn nicht kaputt gemacht", stotterte der Schatten besorgt. "Nein, alles noch heile", beruhigte ihn der Junge. "Pass auf, beim Werfen eines Bumerangs ist es nicht wichtig, so stark wie möglich zu werfen. Es zählt vielmehr die Technik", erklärte er seinem Freund, der aufmerksam zuhörte. "Wir versuchen damit nicht, unsere Gegner zu verletzen, wie mit einem Schwert, sondern vielmehr, sie auszuknocken." Er reichte ihm die Wurfsichel erneut. En-Die versuchte es nochmal, diesmal mit weitaus weniger Kraft und der Bumerang flog einen schönen Bogen. Anschließend traf er den Schatten am Kopf und Sokka konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Da hilft nur Üben", meinte er, während sich En-Die den Kopf rieb. "Ich glaube, ich bleibe lieber bei meiner Technik", überlegte er laut, während sich sein Umhang um seine rechte Hand wickelte und einen eisernen Handschuh bildete. "Im Nahkampf war ich schon immer am Effektivsten. Für die Ferne habe ich mein Plasma." Mit diesen Worten feuerte er einen der violetten Energiebälle auf den nächsten Baum, dessen Stamm an der Stelle des Aufpralls augenblicklich pulverisiert wurde. "Natürlich kann ich sie auch schwächer dosieren, so dass sie nicht tödlich sind", beruhigte En-Die seinen Freund, als er sah, dass dieser ziemlich entsetzt auf den umfallenden Baum blickte. "J-ja, natürlich", stotterte der Wasserstammkrieger. "Du bist echt ziemlich stark. Ich kenne Leute, die würden glatt behaupten, dass du unbesiegbar bist", meinte er dann, als er sich wieder etwas gefangen hatte. En-Die lachte. "Unbesiegbar? Weit gefehlt Sokka." "Wer könnte es denn mit dir aufnehmen?", fragte der Junge ihn neugierig. "Nun, da wären König Bumi, Meister Pakku vom nördlichen Wasserstamm, Meister Jeong-Jeong, General Iroh, Feuerlord Ozai und Prinzessin Azula. Oh und natürlich Aang. Du glaubst nicht, wie oft er mich vor hundert Jahren in Übungseinheiten einfach vom Trainingsplatz geweht hat", zählte der Schatten auf. "Stimmt schon, er ist ziemlich stark, obwohl er gar nicht so aussieht", stimmte Sokka ihm zu. En-Die blickte hinüber zu dem Luftbändiger. Aang versuchte stets, die Dinge friedlich zu lösen. Darum unterschätzten ihn viele. Doch der Schatten wusste es besser. Die Tatsache, dass Aang trotz all seiner Macht den Frieden so liebte, war für En-Die eine wundervolle Sache. Vielleicht gab es nicht für alles eine friedliche Lösung, aber wenn man zumindest nach einer gesucht hat, bevor man mit dem Kämpfen begann, war man weiser, als alle anderen, egal wie stark sie auch sein mochten. "Also nur diese paar Bändiger?", riss ihn Sokkas Stimme aus seinen Gedanken. En-Die schmunzelte. "Nicht ganz. Es gibt auch noch ein Mädchen, hoch im nördlichen Gebirge, das kann ohne Probleme mit mir mithalten. Nicht nur das, sie ist mir sogar weit überlegen, wenn es um Stärke geht." Er legte Sokka eine seiner klauenartigen Hände auf die Schulter. "Wenn du einem stärkeren Gegner gegenüberstehst, musst du versuchen ihn zu überlisten", riet er ihm und der Wasserstammkrieger nickte. "Merke ich mir. Jetzt sollten wir langsam beginnen das Lager aufzuschlagen."
"Warum hast du das Überwurfzelt denn nicht aufgebaut?", fragte Katara ihren Bruder. "Es ist Trockenzeit", antwortete Sokka und rollte die Augen. "Da wird es wohl kaum regnen. Kümmer du dich lieber darum, dass wir genug Feuerholz haben. Was du bisher gebracht hast reicht doch niemals." Katara sah ihn sauer an. "Wir sollten lieber kein Risiko eingehen! Ach und das Feuerholz würde reichen, wenn du nicht immer so viel fressen würdest, was wir braten müssen!", konterte sie. "Willst du mir etwa sagen, dass ich das Zelt falsch aufgestellt habe?", fragte der Junge und warf das eben Genannte um. "Dann mach es doch besser." Ihre Blicke fielen auf En-Die, der wieder unter seinem Baum saß und eine Pergamentrolle las. Als er bemerkte, dass sie ihn anstarrten, blickte er auf. "Hab ich was verpasst?", fragte er verwirrt. "En-Die, was meinst du, ich habe das Zelt doch richtig aufgestellt, oder?", fragte Sokka ihn. "Schwachsinn! Das Überwurfzelt fehlt!", widersprach Katara ihrem Bruder. Der Schatten schüttelte ungläubig den Kopf. "Habt ihr also endlich mal wieder einen Grund gefunden, um euch zu streiten, was?", fragte er und stand auf. "Tut mir leid, aber ich werde nicht den Schiedsrichter spielen. Ich schlafe am liebsten kopfüber an einem Baum." Aang, der gerade vom Sammeln von Früchten zurückkam sah die drei verwirrt an. "Was ist denn hier los? Wo ist das Zelt und das Feuer?", fragte er. "Die beiden sind sich mal wieder…nun ja…uneinig", antwortete der Schatten seinem Freund, da keiner der beiden Streithähne antworten wollte. "Ich bin des Friedenstiftens müde geworden. Aang sei so gut und tu deine Pflicht", seufzte er und kehrte unter seinen Baum zurück. "Verstehe. Warum tauscht ihr dann nicht einfach eure Aufgaben?", schlug er vor und die beiden stimmten grummelnd zu. "Puh, es wird leider nicht immer klappen, alles so friedlich zu lösen", seufzte der Avatar. En-Die sah ihn nachdenklich an. Der Junge hatte sich in den hundert Jahren kaum verändert, auch nicht was seine Liebe zum Frieden anging. "Da hast du recht Aang", meinte er. "Aber weißt du, dass beweist nur, dass die beiden sich umeinander kümmern. Bei Geschwistern wäre es undenkbar, wenn man sich nicht manchmal streiten würde. Ansonsten würde ich mir Sorgen machen." Aang grinste und stimmte seinem alten Freund zu. "Du hast recht. Hoffentlich ändern sie sich nicht so schnell." En-Die blickte zwischen den dreien hin und her. Er hatte früher nie wirklich verstanden, warum Menschen sich dauernd stritten, vor allem, weil ihr Leben doch begrenzt war. Doch Leila hatte ihm erzählt, dass es manchmal hilft, sich zu streiten, damit man sich besser verstehen konnte. Seit jenem Tag fiel es dem Schatten leichter, sich in die Leute, die er traf hineinzuversetzen und seit jenem Tag war er dankbar, wenn er zusehen durfte, wie ein Streit eine Bindung stärker machte.