Dracos Wächter schleppten ihn hoch hinauf in die Privatgemächer seiner Lordschaft. All der düstere Luxus auf den Korridoren dorthin wirkte auf den jungen Mann wie eine Reminiszenz an Malfoy Manor. Er dachte kurz an sein Zuhause und fragte sich wie so oft, was aus seinen Eltern geworden war. Sie fehlten ihm sehr.
Die Schattenjäger verhöhnten ihn nur aus Gewohnheit. Sie hatten nichts gegen ihn persönlich – warum auch. Er hörte nicht hin. Er fühlte auch nichts. Eine tiefe Leere hatte sich in ihm breitgemacht. Sie entsprang einer seltsamen Kombination aus Todesangst und Erleichterung über das vorläufige Ende seiner Odyssee quer durch Europa. Sein Verstand funktionierte präzise und genau.
Er fragte sich, was Potter mit ihm vor hatte. Welche furchtbaren Demütigungen und Misshandlungen vergnügten einen wütenden Dunklen Lord? Im Gegensatz zu den meisten von Potters früheren Mitschülern hatte er bereits seine Erfahrungen mit einem anderen Dunklen Herrn. Er litt nicht an Naivität; das hatte er nie getan. „Keine Sorge, Malfoy. Wenn seine Lordschaft etwas von dir übrig lässt, bringen wir es zu Mummy und Daddy. Dann könnt Ihr ein kleines Familientreffen in den Kerkern abhalten. Wird bestimmt lustig“, sagte einer von ihnen. Er hieß wohl Skinner oder so ähnlich. Der andere begnügte sich damit, ihn ein Dreckstück zu nennen. Draco interessierte es nicht. Ein paar kleine Beleidigungen spielten angesichts seiner Perspektiven keine Rolle. Im Gegenteil die Aussage gab ihm neuen Mut. Seine Eltern lebten scheinbar und waren hier.
Sein Blick blieb am Porträt der Fetten Dame hängen. Er befand sich offensichtlich vor dem Gryffindorturm. Potter wohnte immer noch hier. Die Ironie dieser Tatsache erschloss sich ihm trotz seiner Lage. Er sah auf den Boden um ein kleines Grinsen zu vermeiden.
Sie übergaben ihn einer kleinen, sehr hübschen Veela, Lady Weasleys Kammerzofe. Ihr Name lautete Eirlys McGwaren. Sie hatte lange nach einer aussichtsreichen Position im Schwarzen Schloss gesucht, vor allem weil sie schon länger auf der Suche nach einem passenden schwarzen Magier als ihren Veelaherrn war. Natürlich hatte sie bereits einen heimlichen Favoriten, der allerdings noch keinerlei Notiz von ihr genommen hatte.
Sie hieß ihn zu duschen, gab ihm ein wohlriechendes Öl und schlichte Kleider. Nach der Zeit auf der Flucht kamen Draco das warme Wasser und der Duft des Arganöl auf seiner Haut wundervoll vor. Er versuchte beides zu genießen, so gut es unter diesen Umständen ging. Dann zog er die Kleider an, die man für ihn bereit gelegt hatte. Ein sehr schlichtes, schwarzes Hemd und eine ebenso schwarze Hose sollte er ohne Unterwäsche tragen. „Du bist wirklich schön. Ein Jammer…“, sagte sie mit einem Lächeln auf den schwarz geschminkten Lippen, das ihn erschauern ließ. Sein Magen knurrte vernehmlich. Er bat nicht um etwas zu essen, weil er vermutete sie würde ihm ohnehin nichts geben können oder wollen. Sie sagte nichts dazu, obwohl sie das Knurren gehört hatte. Es ging sie nichts an. Er versuchte sich zu erinnern, was er über Veelas wusste - nicht besonders viel.
Der Turm schien in vier Bereiche gegliedert zu sein. Auf der Seite des ehemaligen Mädchenschlafsaals führte eine elegante goldene Treppe nach oben. Die perlmuttfarbene Tür hatte ein Künstler mit Pfauen und Blumen verziert. Die Tür des anderen Mädchenschlafsaals hatte offenbar derselbe Künstler gestaltet. Sie zierte ein beeindruckender Gryffindorlöwe, der sich golden vom roten Grund abhob. Die Tür eines der beiden Jungenschlafsäle wirkte durch das massive Eichenholz machtvoll. Der Gryffindorlöwe prangte hier in Kirschholz auf dem Eichengrund. Die letzte Tür drohte in schwarzem Ebenholz und schwerem Silberbeschlag. Draco war klar, dass es sich um Potters Privatgemach handeln musste. Er wunderte sich ein wenig, dass Potter nicht mehr Platz für sich beanspruchte. So groß waren die Jungsschlafsäle nicht gewesen. Er ließ sich widerstandslos, hinter ihr herziehen. Nur das gespenstische Licht schwarzer Kerzen erhellte die Dunkelheit.
Wie immer wenn er an den Portraits vorbeiging, versteckten sich die Personen in anderen Bildern. Es amüsierte Lord Potter auch nach so langer Zeit. Sie hatten Angst vor ihm, genau wie fast jeder andere in diesem Schloss und in der Zauberwelt. Einer der wenigen, die ihn nicht fürchteten, begleitete ihn bei seinem Spaziergang im Mondlicht. Albus Dumbledore glaubte noch immer sehr viel Einfluss auf Lord Potter zu haben; schließlich hatte er Lord Potter gewissermaßen erschaffen. Manche Schlossbewohner widersprachen dieser Annahme.
Den Trank der Düsternis, der alles Licht aus Harrys Seele gerissen hatte, hatte Dumbledore zusammen mit Severus Snape gebraut. Tiefste dunkle Magie wirkten sie beide und baten einen unschuldigen Jungen sein Selbst zu geben. Seitdem sahen viele Mitglieder des Phönixordens sie in der Verantwortung Harry beizustehen, so gut es eben ging.
„Du wolltest mich vorhin sprechen?“, begann der junge Lord das Gespräch. „Ja. Ich wollte…“, hob der andere an. „Du wolltest ihn schützen“, unterbrach ihn sein ehemaliger Schüler zornig. „Mich hast du auch nicht geschützt. Weshalb also ihn? Was macht seine Seele wertvoller?“ Die Stimme des Alten wurde noch sanfter: „Harry. Auch dich wollte ich schützen.“ Wieder unterbrach der Lord zornig. „Ich habe dir nicht erlaubt, mich zu duzen. Es heißt noch immer Mylord.“ Albus Dumbledore seufzte kaum hörbar. „Ihr habt Recht, Mylord.“ Vorsichtig wechselte er das Thema „Samhain steht vor der Tür. Ihr fühlt die Magie besonders stark in Euch. Versucht Euch zu zügeln.“ Potter antwortete “Dieser Satz steht dir nicht zu. Ich will mich nicht zügeln, alter Mann."
Dumbledore wagte einen Versuch und legte den Arm um den Lord. „Darf ich Euch etwas fragen, Mylord?“ Hart wies der Dunkle Herr die körperliche Annäherung zurück. Er grenzte immer mehr und immer deutlicher ab.
Sie saßen mittlerweile auf Potters Lieblingsplatz einer Bank, auf dem Astronomieturm. Im fahlen Mondlicht zeigten sich die Geschöpfe der Nacht aus dem Verbotenen Wald. Behutsam fragte Dumbledore: „Habt Ihr bezüglich Lady Weasley eine Entscheidung getroffen? Ihr sagtet, Ihr würdet meinen Vorschlag in Erwägung ziehen.“ Prüfend sah der Dunkle Lord in die Augen seines mächtigen Gegenübers. Dumbledore verheimlichte ihm etwas. Diese Tatsache beschäftigte ihn seit längerem. „Sie wird meine Gemahlin und bis dahin behüte ich ihre Unschuld, so wie du es geraten hast. Ich stimme zu, wenn du sagst, eine magische, reinblütige Jungfrau im eigenen Brautbett ist, für einen Dunklen Zauberer etwas Besonderes. Auf sie zu warten, steigert den Reiz unzweifelhaft. Lughnasadh soll der Tag sein, an dem das Ritual vollzogen wird. Sie ist einverstanden, meine Dame zu sein. Ginny liebt mich. Es tut mir leid für sie.“ Fast hätte man meinen können ein ganz leichtes Bedauern in der eisigen Stimme zu hören. „Eine würdige Lady Potter“, bestätigte der alte Mann seinem Lord. Seine müden Augen gewannen einen winzigen Funken zurück. „Und der junge Malfoy?“, fragte er abschließend. „Er ist ein Sklave sonst nichts. Mein derzeitiges Spielzeug bis ich seiner überdrüssig bin. Vielleicht töte ich ihn dann oder verschenke ihn an den Vampir, der ihn mir brachte. Er lechzte gierig nach Malfoys Blut. Wir werden sehen. Da fällt mir ein, der Arme wartet sicher schon sehnsüchtig auf mich.“ Lord Potter lachte böse in die Nacht. Wer immer ihn so lachen hörte, hielt einen Moment inne, weil er erschrak.
Draco stand mit beiden Händen und Füßen an die Wand gekettet. Zunächst erschien ihm die Haltung sogar recht gut aushaltbar. Mit zunehmender Zeit schliefen Arme und Beine langsam ein. Seine Angst rann nun wellenartig über seinen Körper. Sie hatte die stoische Leere in seinem Innern ersetzt.
Seit dem Konkordat zwischen dem Ministerium und den Schattenjägern gab es immer wieder Berichte über die neuen Regeln für Dunkle Zauberer und Hexen. Vor allem aber hörte Draco immer wieder Gerüchte über die Grausamkeiten des neuen Dunklen Lords. Fenrir Greyback, so erzählten sich die Leute hinter vorgehaltener Hand, hätte Potter das Fell lebendigen Leib eigenhändig mit einen silbernen Dolch herunter geschnitten. Alle Werwolfsrudel hatten angeblich einen Boten entsenden müssen, der dies mit ansah. Sie erkannten Potter als ihren Herrn an und akzeptieren die strengen Regeln des Konkordats. Mittlerweile staute sich das Blut vom langen Stehen. Vor Erschöpfung fielen Draco die Augen zu.