Madum. Sassy sah sich verzweifelt in der feuchten, stickigen Dunkelheit um. Kein Zweifel, man hatte sie nach Madum gebracht.
Dieser verfluchte Vincent, schon wieder hatte sie ihn unterschätzt.
Und schon wieder hatte er sie mit der selben Schwäche zu einer Gefangenen gemacht.
Langsam und vor Schmerz stöhnend zog sie den Pfahl, er noch immer in ihrem Bauch steckte, aus ihrem Körper und warf ihn zur Seite. Dann richtete sie sich auf, die Wundheilung setzte sofort ein und tat ihr übriges.
Sassy fragte sich, wie viele Tage sie schon außer Gefecht war. Ihre Sinne nahmen eine weitere Person in der Dunkelheit war, aber ihre Augen konnten diese nicht ausfindig machen.
"Blut!", das war alles, was Sassy durch den Kopf ging. Ihr Körper war schwach und sie musste sich dringend ernähren.
"Sassy?", zittrig hörte sie die weinerliche Stimme eines Kindes, als sie sich aufrichtete. Das war selbst für Vincent grausam, er hatte sie mit Atep in eine Zelle geworfen. Mit dem Jungen, den sie beschützen wollte.
"Treplew!", rief sie, in der Hoffnung die hohen Himmel würden sie erhören und ihr den fragwürdigen neuen Engel schicken.
Aber wie befürchtet blieb alles still.
Nur das Pochen des vom Herzen des Jungen durch den Körper gepumpten Blutes, das hallte in Sassys Ohren.
"Nimm den Pfahl und töte mich!", zischte sie ihm zu, nicht wissend wie lange sie ihren Durst noch kontrollieren konnte.
"Aber... Nein!", rief der Junge schockiert aus, "Du bist doch einer der wichtigsten Menschen im Leben meines Vaters!"
Sassy hielt überrascht inne: "Du weißt wer dein Vater ist?"
Atep verneinte das: "Aber du bist wichtig für ihn sagt Vincent! Ich habe Angst das er mir das nie verzeiht wenn ich ihn kennen lernen darf! Außerdem hast du mich gerettet, glaube ich!"
Sassy seufzt, dieser Plan war schon einmal gescheitert.
Plötzlich wurde die Zelle aufgerissen, das grelle Licht, welches durch die Tür fiel, brannte in ihren Augen.
Leben stand in der Türe, in diesem Moment war es Sassy egal, wer es war, ob er schuldig war oder nur helfen wollte.
Er oder das Kind, eine andere Wahl gab es nicht mehr.
Blitzschnell stürzte sie sich auf das, was wie ein Elf roch, und schlug ihre Zähne in seinen Hals.
Ein überraschter, schmerzverzerrter Schrei war alles, was sie noch hörte, neben dem Rauschen des Blutes.
Erst als sie ihn wortwörtlich bis zum letzten Tropfen ausgesaugt hatte, warf sie seinen wahrscheinlich toten Körper zur Seite und ließ damit von ihm ab.
Ein paar Sekunden, länger hatte es nicht gedauert.
"Komm schon!", rief sie Atep zu und streckte ihm ihre Hand hin, die er eilig ergriff. Jetzt, im Licht, konnte sie erkennen, dass sie Recht gehabt hatte.
Madum, der verfluchte Kerker der in Argenshire siedelnden Elfen, mitten in einen Berg gebaut, darauf stand die Burg Wendyn.
Die Anhänger von Königin Niaby, die im 9. Kreis mit ihrer Invasion gescheitert war, hatten sich dort nieder gelassen.
Einen davon hatte sie getötet, einen Elfen, er trug den grünen Wappenrock mit dem Emblem eines Hirschkopfes darauf.
Sie schaute nicht genauer hin, wollte sich die Fratze des Grauens, die ihre Tat auf dem Gesicht des Opfers hinterlassen hatte, nicht unbedingt einprägen.
"Lauf, egal was passiert, wir müssen hier raus kommen!", Sassy zog Atep auf den steinernen, in den Berg geschlagenen Gang und lief mit ihm los.
"Was... Die Gefangene flieht!", hörte sie einen Wachposten hinter sich.
Sassy lief schneller und zog Atep mit sich, auch wenn der Durst ihr nicht mehr den Verstand raubte, sie würde einen Kampf mit bewaffneten Wachen nicht für sich entscheiden können.
Ein Surren holte sie von hinten ein und durchbohrte verhängnisvoll ihren linken Oberschenkel. Schmerzverzerrt sah sie nach unten. Ein Pfeil, ein hölzerner Pfeil.
Vincent schien die Wachen auf eine mögliche Flucht vorbereitet zu haben.
Sassy stürzte und riss Atep mit zu Boden. Schnell ließ sie seine Hand los und zog sich den Pfeil aus dem Bein. Aber es war zu spät, die Elfen hatten sie umzingelt.
"Was haben wir den da?", fragte einer von ihnen belustigt, seine stechenden grauen Augen musterten sie abfällig.
"Hör mir zu du blasses elfisches Elend!", Sassy versuchte ihrer Stimme einen selbstsicheren Klang zu verleihen, "Ihr könnt mich gehen lassen, und dem Jungen auch! Ihr müsst die Befehle des Hexenmeisters nicht befolgen."
Ein blonder Elf trat vor, eindeutig ein Edelmann, keine Madumwache.
Er trug lederne, bestickte graue Wams und eine schwarze Hose: "Vincent nicht dienen? Das wäre ein Fehler, er ist der einzige, der den Dunklen besiegen kann!"
Sassy wurde hellhörig. Vincent und den Dunklen besiegen? Warum sollte der eigenwillige Hexer ein solch nobles Ziel verfolgen.
"Sperrt sie zurück in die Zelle!", befahl der Blonde.
"Nein!", rief Sassy aus, "Mich schon, aber lasst den Jungen gehen! Bringt ihn nach Katzus! Bitte!"
Der Elf lachte und schien sehr belustigt über ihren Vorschlag zu sein: "Sieh an, sie kann bitte sagen! Der blutsaugende Abschaum kann sich tatsächlich gepflegt artikulieren."
Sassy seufzte: "Ich tue alles, was Vincent verlangt! Aber lasst ihn gehen!"
Der Elf grinste überheblich: "Das kannst du ihm selbst vorschlagen, bringt sie weg!"
Im selben Moment wurde Sassy ein Pfahl in den Bauch gerammt und ein schwarzer Sack über den Kopf gestülpt. Den Rufen von Atep zufolge hatten sie auch ihm die Sicht genommen. Sie schleiften sie eine gefühlte Ewigkeit durch die Gänge, bis Sassy schließlich das Bewusstsein verlor.
Sie kam auf weißem Marmorboden zu sich, der Pfahl war entfernt worden und ihr Körper hatte sich regeneriert. Der Durst war im Austausch gegen die erneute Heilung zurück gekehrt. Langsam wollte sie sich aufrichten, wurde aber unsanft an den Haaren gepackt und zurückgerissen.
"Das wirst du noch bereuen, alles was du getan hast!", Vincent hatte sich über sie gebeugt und flüsterte ihr dieses Versprechen ins Ohr.
"Dann töte mich doch endlich und wenn du zu bescheiden dafür bist erkläre deinem Elfenabschaum wo anatomisch gesehen das Herz ist!", Sassy ließ sich nicht verunsichern, und wie erwartet wurde der Griff um ihr Haar zuerst gelockert, dann ließ er von ihr ab.
Sassy nutzte die Chance und rappelte sich auf, der weiße Marmorboden unter ihr war das erste, was sie wahr nahm. Dann die größe des Raumes, ein Büro oder etwas ähnliches. Es gab nichts als ein Bücherregal, zwei Türen und ein paar Kerzenständer, abgesehen von dem hölzernen dunklen Schreibtisch, an dem Vincent sich nieder ließ.
"Lass den Jungen gehen, Vincent!", Sassy versuchte einen möglichst versöhnlichen Ton anzuschlagen.
Der Hexer blickte sie emotionslos an: "Nein! Und wenn du noch einmal irgendetwas tust, was mir missfällt, werde ich den kleinen süßen Atep töten!"
Sassy schluckte, aber bevor sie etwas sagen konnte kamen durch die Türe auf der rechten Seite des Schreibtisches zwei der Wachen: "Sie wünschen, Meister?"
Vincent deutete auf Sassy: "Fesselt sie und bringt sie auf mein Zimmer!"
Sassy verdrehte die Augen: "Fesseln? Ich habe die Botschaft verstanden, keine toten Wachen mehr!"
Vincent grinste, die erste Emotion, die sie seit ihrem Gespräch bei ihm sehen konnte, aber es war ein bitteres Grinsen.
"Ich hoffe du verstehst, dass ich dir nicht vertraue! Sei froh, dass ich dich nicht in Madum verrotten lasse!", Vincent erhob sich, "Diesmal werde ich dich aber nicht so gut behandeln, das kannst du vergessen!"
Sassy seufzte, sie hatte damit gerechnet, dass sie nicht mehr so leicht sein Vertrauen gewinnen konnte. Aber er schien richtig sauer zu sein, als hätte sie seine Gefühle verletzt. Genervt ließ sie sich die Handschellen anlegen, die ihre Hände auf den Rücken fesselten. Und den Maulkorb, den sie wirklich übertrieben fand.
"Ich bin kein Hund, Vincent!", fauchte sie und beschloss den netten Ton wieder sein zu lassen.
Vincent schien ihren Ärger als bedeutungslos zu erachten, er wedelte nur mit der Hand, was für die Wachen das Zeichen war Sassy einen Schubs in Richtung der anderen Türe zu geben.
Wie sie erwartet hatte lag dahinter ein Schlafzimmer, klein, aber wunderschön eingerichtet, ähnlich wie bei Allister, nur in helleren Farben.
Schnörkel und andere typische elfische Eigenarten, wie das übertriebene Himmelbett.
"Was soll ich jetzt hier?", fragte Sassy die Wachen übertrieben freundlich, "Ein Nickerchen machen?"
Eine der Wachen grinste, dann führten sie sie zur Wand neben dem, an der eine kurze Kette hing.
"Das ist nicht euer ernst, oder?", wollte Sassy wissen. Es war ihnen ernst, schnell legten sie ihr den eisernen Ring um den Hals, er sie mit der Kette verband und damit an die Wand fesselte.
Dann gingen sie einfach, ohne ein Wort gesagt zu haben. Bestimmt ein Befehl von Vincent.
"Danke, euch auch noch einen schönen Tag, ich habe bis jetzt einen! Vor allem Dank euch, Pisser!", brüllte sie ihnen nach, bewusst sodass auch Vincent es hören musste. Diese Elfen krochen ja direkt vor dem Hexenmeister, aber warum?
Sassy fragte sich genrell, wie lange er schon hier war. Und wie es möglich sein konnte, das er überlebt hatte.
Als der Konflikt zwischen den Tiermenschen, Druiden und Hexern von Buldarak eskaliert war, hatte Finn sie und Church geschickt um einen Lagebericht abzugeben. Nach ihrer ersten Begegnung mit Vincent in Schwarzwasser war sie auf dem Schlachtfeld auf ihn getroffen. Er hatte Church gequält, bis sie eingewilligt hatte mit ihm zu kommen.
Natürlich hatte Church versucht sie zu retten, aber jedes Mal wieder hatte Vincent ihn kontrollieren können.
Gefährlich, wenn man bedachte, wer Church war. Ob der Hexer es gewusst hatte?
Immerhin hatte er tief in den Verstand des Dämons eindringen müssen, um ihn zu entfernen.
Erst der dritte Versuch hatte geklappt, und auch nur weil Church und Sassy beide in einen Blutrausch verfallen waren, und unkontrolliert alles und jeden geschlachtet hatten. Dann waren sie Vincent gegenüber gestanden, ihm war es wieder gelungen Church zu kontrollieren, diesmal hätte er ihn getötet.
Aber Sassy war eine List gelungen, sie hatte das, was Vincent fühlte, gegen ihn verwendet. Ihm vorgeschlagen zu heiraten, wenn er dafür Church gehen lassen würde. Obwohl sie seine gesamte Familie abgeschlachtet hatte, das Verhältnis konnte man nur als zerrüttet bezeichen, hatte er sofort eingewilligt. Dieser Moment hatte gereicht, als sie sich nach dem Ja-Wort tief in die Augen sahen, Vincent und sie, da hatte sie zugeschlagen. Ihm sein eigenes Schwert entrissen und es tief in seiner Brust versenkt. Dann waren Church und sie geflohen, und hatten sich geschworen nie wieder über Buldarak zu sprechen.
Sassy lachte bitter, sie hatte das Thema abgehakt und gehofft, nie wieder an ihre Gefangenschaft und das, was sie hier gefühlt hatte, erinnert zu werden.
Fakt war, Vincent hatte sie nie angefasst. Er hatte ihr zwar verboten zu gehen, sie aber im Gegenzug wie eine Königin behandelt. Er hatte sie geliebt, so sehr, dass ihm seine Bedürfnisse egal waren.
Und Sassy, auch wenn sie sich das nie eingestanden hatte, war verliebt gewesen. Aber nicht in ihn, oder gar in Church. Sondern in Finn.
Seit sie den Blonden kannte, war er es gewesen, den sie wollte.
Vincent wusste das, und hatte sie mit einem Fluch belegt.
Jeder Mann solle ihr von der ersten Begegnung weg verfallen und ihr sein Herz schenken, nur der nicht, den sie liebte.
Von da an war Church, der sein Herz erst später erhalten hatte, der einzige aufrichtige Freund den sie hatte. Alle anderen, wie Alpha, Allister oder jetzt auch Deseis, waren hinter ihr her.
Ob sie Alpha jemals geliebt hatte? Sie wusste es nicht, der Gedanke, dass er vielleicht nichts für sie empfand ohne den Fluch hatte sie immer beschäftigt.
Ein kleines Geheimnis aus dieser Zeit würde sie aber mit ins Grab nehmen, genau wie die Liebe zu Finn. Über die Wochen, die sie mit Vincent verbracht hatte, war es ihm gelungen Gefühle in ihr hervor zu rufen, die es für sie schwer gemacht hatte ihn zu töten.
Aber das würde ihr jetzt auch nicht helfen.
"Du tobst ja garnicht wie erwartet!", Sassy zuckte zusammen, Vincents Stimme holte sie aus seinen Gedanken, "Ich denke wir sollten uns in Ruhe unterhalten!"
Sassy schluckte, sie konnte sich nicht vorstellen, dass "in Ruhe unterhalten" bedeutete was die Worte eigentlich aussagten.