Es passiert oft. Immer öfter. Manchmal denke ich zu oft. Wissenschaftliche Erklärungen und Forschungen zu dem Thema sollen mir die Angst nehmen, doch sie ist allgegenwärtig. Immer da. Abends. Nachts. Wenn ich versuche zu schlafen. Wenn ich mich abends in mein Bett lege, ist noch alles gut. Doch wenn ich dann das Licht ausschalte, fängt es an. Die Angst kriecht langsam von meinen Zehen über meine Knie und Oberschenkel hinauf in meinen Bauch über meine Brust in meinen Kopf. Ich kann sie überall spüren und ich weiß, dass es wieder passieren wird. Wieder und wieder. Ich weiß auch, dass nichts daran gefährlich oder schlimm ist. Aber es macht mir trotzdem Angst. Ja Panik sogar. Eine Zeitlang habe ich absichtlich den Fernseher laufen gelassen, wenn ich schlafen gegangen bin, aber ich glaube, dass es das ganze nur noch verschlimmert hat. Auch das Radio scheint nichts zu nützen. Es macht die Gestalten nur umso realer und angsteinflößender. Das Schreckliche ist nicht wirklich der Moment, in dem es passiert. Das Schreckliche ist viel mehr der Abend im Bett bevor ich einschlafe. Wenn ich nicht weiß, ob es wieder passieren wird oder nicht. Wenn ich Panik habe. Manchmal über Wochen hinweg, ohne dass etwas passiert. Dann werde ich unvorsichtig. Dann gebe ich meiner Angst eine Pause. Schicke sie in die hinterste Ecke meines Bewusstseins wo sie nur darauf wartet wieder herauszuspringen und über mich herzufallen. Meistens passiert es genau dann, wenn ich einmal vergessen habe, Angst zu haben. Keine alles umfassende Panik vor dem Einschlafen verspürt habe. Meistens passiert es genau dann. Unvorhersehbar. Unerklärbar. Und doch so klar und real.
Ein Ritual habe ich mir zurechtgelegt. Jeden Abend wird es durchgeführt. Jeden Abend. Fast wie ein Gebet. Bevor ich mich ins Bett lege, stelle ich sicher, dass meine Zimmertür leicht geöffnet ist. Damit ich das Zimmer im Notfall so schnell wie möglich verlassen kann. Dabei ist das überhaupt nicht möglich. Im Ernstfall. Wenn es passiert. Nachdem ich die Zimmertür überprüfe, laufe ich zu meinen Fenstern und ziehe alle Vorhänge zu. Ich habe das Gefühl, dass der kleinste Funke Licht die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es passiert. Dann laufe ich meinen Kleiderschrank und sämtliche Kommoden ab um sicherzugehen, dass alle Türen und Schubladen verschlossen sind. Einmal habe ich den Fehler gemacht, diesen Schritt zu überspringen und eine meiner Schubladen einen Spalt breit offen zu lassen. Es war, als hätte ich ihnen ein Herzlich Willkommen Schild an die Tür gehängt.
Kommt her. Immer wieder. Ich habe euch doch gerne bei mir. Um mich herum. Im Schlaf.
Nachdem dann alle Türen und Schubläden sorgfältig verschlossen sind, schalte ich mein Licht aus und lege mich ins Bett. Ich schlafe niemals auf dem Rücken, sondern immer auf der Seite oder dem Bauch. Das scheint ein wenig zu helfen. Doch trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen kann ich ihnen manchmal nicht entkommen. Trotz dieser Schritte werde ich heimgesucht. Einmal im Monat. Zweimal in der Woche. Die Abstände sind unterschiedlich. Das macht sie so unberechenbar.
Wenn es passiert, verstehe ich es zuerst nicht. Man könnte meinen, ich müsste es mittlerweile kennen. So oft, wie es mir schon passiert ist. Aber jedes Mal ist es für einen kurzen Augenblick wieder so, als wäre es etwas völlig neues. Alles, was ich mir vorgenommen habe, scheint vergessen zu sein und ich bin gefangen in meinem eigenen Schlaf. Anstatt es hinzunehmen und abzuwarten, weil ich eigentlich weiß, dass es nichts schlimmes ist, reiße ich panisch meine Augen auf und versuche dagegen anzukämpfen und mich zu wehren. Sobald ich wach werde weiß ich wieder, dass das die Methode ist, die alles nur noch schlimmer macht, aber ich habe es bisher nicht geschafft, ruhig zu bleiben und die Situation zu überschauen.
Ich wache auf. Es ist mitten in der Nacht. Das merke ich daran, dass es stockduster ist. Mit dem Morgengrauen fallen immer kleine Lichtstrahlen durch meine Vorhänge ins Zimmer. Meine Augen sind offen und ich blinzele ein paar Mal. Dann passiert es. Ich merke, dass ich auf dem Rücken liege und möchte mich auf die Seite drehen, um auf meinen Wecker zu schauen und herauszufinden wie viel Uhr es ist. Nichts. Gefangen. Mal wieder. Als säße eine schwere Kreatur auf meiner Brust, die versucht mich mit aller Kraft nach unten zu drücken. Krampfhaft versuche ich meinen Arm zu bewegen. Meinen Körper auf die Seite zu rollen. Noch nicht einmal mit meinem dicken Zeh kann ich wackeln. Die Panik beginnt sich auszubreiten. Die Panik, die über die letzten Wochen hinweg immer weniger geworden und sogar fast vollständig verblasst ist. Doch genau dann, als ich denke, dass ich es endlich geschafft habe, kehrt sie zurück. Wie eine alte Freundin. Nur, dass sie nicht willkommen ist. Ich sage mir, dass ich die Augen wieder schließen und weiterschlafen sollte, aber das schaffe ich nicht. Die Angst vor dem Übernatürlichen ist zu groß. Was, wenn sie kommen, während ich mit geschlossenen Augen hier liege. Ich möchte sie sehen. Ich möchte mich wehren. Ich versuche zu schreien, doch mein Mund bewegt sich kein Stück und nicht einmal der winzigste Laut entfährt meinen Lippen. Ich will, dass das vorbei ist. Ich möchte es nicht noch einmal durchleben. So liege ich da. Völlig bewegungslos. In meinem Bett. Auf dem Rücken. Dem ausgeliefert, was in der Dunkelheit auf mich lauert. Mein Kopf, mein Gehirn, mein Geist – wach. Mein Körper – im Schlaf, paralysiert. Ein Schutzmechanismus. Doch leider nur schützend, wenn auch der Geist schläft. Wie aus dem nichts erscheint eine schwarze Gestalt am anderen Ende des Zimmers. Oh nein. Bitte nicht. Gleichzeitig beginnt das laute Summen in meinen Ohren. Ich bin mir nie sicher, ob es Insekten oder Menschen sind. Ein Summen, das immer lauter wird. Lauter mit jedem Schritt, den die Gestalt auf mich zumacht. Und ich bleibe starr. Kann mich nicht bewegen. Kann nicht schreien. Kann nichts tun. Das Summen verwandelt sich in ein klirren und dann einen Ton, als würden tausende von Kirchenglocken gleichzeitig läuten. Ding. Dong. Ding. Summ. Und dann eine Melodie. Wie aus dem Radio. Irgendein Lied, das ich irgendwann einmal gehört habe. In meinem Kopf. Als käme es aus meinen Ohren. Und die Gestalt hält inne. Steht jetzt direkt neben meinem Bett. Ich spüre, wie mein Schlafanzug nass an meinem vor Angst schwitzenden Körper klebt. Das Klirren in meinen Ohren wird lauter. Unerträglich. Und dann hört es auf. Ganz plötzlich. Ich wache auf. Mein Körper gesellt sich zu meinem wachen Geist und ich schließe die Augen für einen Moment bevor ich sie öffne um mich zu vergewissern, dass ich auch wirklich wach bin. Dieses Mal scheint schwach das Licht durch meine Vorhänge und mein Versuch mich zu meinem Wecker hin zu drehen gelingt. Doch der Trost ist nur schwach. Es wird wieder passieren. Und wieder und wieder. Gefangen im eigenen Schlaf.