Kapitel 10
Glaube der Lüge
Fay:
„DerTraum verbindet!“, lachte mich am Montag die fette Schlagzeile in der KLATSCH-Zeitung an, darüber ein eindeutiges Foto, auf dem ich Damien im Fahrstuhl umklammerte. Halbnackt und klatschnass. Das ist mir in dem Augenblick nicht bewusst gewesen.
Ich schmiss mich rücklings auf mein Bett und las bang den Artikel durch.
Was wären wir nur ohne DerTraum! Unser aller Lieblings-Casting geht in die nächste Runde (Ausstrahlung: jeden Samstag um 20.15 Uhr).
„Das Niveau ist gigantisch!“, sagte uns Daniela Börner höchstpersönlich und auch ihre Kollegin Stefanie Starke ist sich sicher: „Das wird wahrscheinlich die beste Staffel von DerTraum, die es je gegeben hat!“
„Die Kandidaten singen teilweise schon wie Vollprofis.“, schließt sich auch Holger Heinrich an.
Superstimmen und Superaussehen. So kennen wir Damien Sangez (25) und Fay Hieler (21) schon von ihren starken Auftritten und Interviews. Dass die beiden noch mehr verbindet als nur die Liebe zur Musik, haben sie uns am Wochenende deutlich gezeigt. Etwas erschrocken und doch so verliebt, schauen sie in unsere Kamera (Bild rechts oben).
Frisch aus dem Schwimmbad gekommen, haben sie sich im Aufzug wohl etwas aufgewärmt. Wie weit die beiden Turteltäubchen dabei gegangen sind, haben sie uns nicht verraten. Doch wir werden sie im Auge behalten und euch weiter berichten.
Angstvoll blickte ich von der Zeitung auf, als es in diesem Augenblick entschieden an meiner Tür klopfte. Ich öffnete bang, und Damien stürmte ohne ein „hallo“ in den Raum. In der rechten Hand hielt er die KLATSCH. Er wirkte nicht wie sonst wie ein ruhiger See, sondern wie ein tobender Orkan. Das erste Mal bekam ich eine Facette seines spanischen Temperaments zu spüren.
„Das ist ja wohl die Höhe! Ich stehe auf und denke mir nichts Böses und in der Cafeteria hält man mir grinsend diesen Mist unter die Nase!!“ Er warf die Zeitung direkt vor unsere Füße, sodass sie unheilvoll am Boden zwischen uns verweilte und mit Hohn zu uns hinauf sah.
Ich sah ihn unsicher an und wusste das erste Mal in seiner Gegenwart nicht mehr, was ich sagen sollte. Er machte es mir leicht, da er mit seinem Zorn fortfuhr, wobei er wild im Raum auf und ab schritt. „Es kann nicht sein, dass wir hilflos der Willkür dieser Leute ausgesetzt sind. Für alles in diesem Land gibt es Gesetze. Da muss man etwas gegen tun können!“
„Damien.“, setzte ich vorsichtig an. „Mir gefällt das genauso wenig wie dir, glaub mir. Aber wir sind jetzt nun einmal öffentliche Personen. Mit der Teilnahme bei DerTraum haben wir unterschrieben, dass wir…“
„Es ist mir egal, was wir unterschrieben haben!“ Er funkelte mich wütend an und mein Herz sprang mir bis in die Kehle, dann fügte er ruhiger hinzu: „Es tut mir leid. Du kannst nichts dafür. Ich finde es nur unverschämt, wie sie uns vor aller Welt darstellen.“
Kaum flaute sein Zorn wieder ab, flaute meiner auf. „Meinst du, ich finde das prickelnd? Sascha dachte so schon, dass wir zusammen sind, und jetzt hält er mich bestimmt auch noch für eine Lügnerin, weil ich ihm tausendmal versichert habe, dass es nicht so ist.“
„Du hast es ihm tausendmal versichert?“ Damien sah aus als hätte er auf etwas Bitteres gebissen. „Und um etwas anderes machst du dir keine Gedanken? Dass man dich hier beinahe nackt an einen Mann geklammert sieht, vielleicht? Weißt du, was das für ein Licht auf eine Frau wirft?“
„Nein, darüber habe ich mir bisher keine Gedanken gemacht, aber danke, dass du mich daran erinnerst! Was ist los mit dir? Ich habe die Fotografen nicht dahin bestellt!“
„Sascha wird diesen Schrott nicht glauben“, seufzte er, was wohl seine Art war, sich bei mir für seine Worte zu entschuldigen.
Ich sagte nichts mehr, weil ich nicht mehr streiten wollte. Plötzlich fühlte ich mich unendlich müde. „Lass uns bitte heut Abend üben. Ich will jetzt allein sein.“
Er zuckte nur abweisend mit den Schultern. Ich spürte, dass in diesem Moment etwas zwischen uns zerbrach. „Wie du willst. Ich könnte mich jetzt sowieso nicht konzentrieren.“
„Gut.“ Aus einem mir unerklärlichen Grund zutiefst traurig und wütend auf ihn, nahm ich meine Jacke vom Haken an der Tür und stürmte an ihm vorbei aus meinem Zimmer.
Es war ein kühler Nachmittag, sodass ich froh war, an meine Jacke gedacht zu haben, als ich vor der Tür des Hotels angekommen war. Ich beschloss, einen kleinen Spaziergang durch den Park zu machen und schlug den Kragen meiner Jacke nach oben.
In der freien Natur sah die Welt immer etwas anders aus. Weniger beengt, und die Probleme waren etwas kleiner. Was geschehen ist, ist geschehen. Und es hätte schlimmer kommen können. Nur diese seltsame Veränderung in der Luft zwischen Damien und mir machte mir zu schaffen, da ich sie nicht benennen konnte. Sie war vorhanden, doch ich konnte sie nicht ansprechen, da sie wie ein namenloser, bedrohlicher Schatten über uns hing. Damien sagte immer wieder, alles wäre okay zwischen uns, doch wir beide wussten sehr genau, dass es das nicht war. Ich nahm an, dass er mir im Stillen doch die Schuld an diesem hässlichen Artikel gab. Vielleicht hatte er damit ja auch recht. Ich war einfach unvorsichtig gewesen, doch schließlich war ich es auch noch nicht gewohnt, unter ständiger Beobachtung zu stehen.
Als mein Handy plötzlich klingelte, hoffte ich mit einer unsinnigen Intensität und Leidenschaft, dass er es wäre und war beinahe schon am Boden zerstört, dass es sich um Nici handelte. „Hey Fay. Wo bist du denn?“
Verdutzt blieb ich mitten im Park stehen, und ein Jogger wäre beinahe mit mir zusammengeprallt. Er rief mir unschöne Schimpfwörter zu, als er an mir vorbei eilte, doch ich nahm es kaum wahr. „Oh Gott, Nici! Wir waren ja zum Shoppen verabredet. Ich hatte einen blöden Streit mit Damien und hab es total vergessen. Ich bin in zehn Minuten da, ja?“
„Kein Problem, das versteh ich doch. Lass dir Zeit. Ich warte in der Cafeteria.“
Das tat sie wirklich. Ganz ruhig und mit ihrem unerschütterlichen Lächeln sah sie zu mir, als ich das Hotelfoyer betrat. Wie ein Fels in der Brandung. Es gab keine Fragen in ihrem Blick, obwohl ich wusste, dass sie den Artikel auch gelesen haben musste. Der Zeitungsständer mit dem Klatschblatt stand genau neben ihr.
Als ich bei ihr ankam, umarmte sie mich zur Begrüßung, und genauso wie ich bei Damien gemerkt hatte, dass etwas in unserer Freundschaft zerbrach, merkte ich bei ihr, dass sie immer stärker wurde. Das Gefühl der Sicherheit trieb mir fast die Tränen in die Augen, sodass ich flüsterte: „Es tut so gut, dich zu haben!“
„Mir auch.“, erwiderte sie und strich mir beruhigend über den Rücken. Dann hielt sie mich von sich weg und sah mich fragend an. „Willst du reden oder gleich shoppen gehen?“
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Reden will ich darüber nicht mehr. Das Thema hängt mir bereits zum Halse raus. Ich möchte einfach nur noch ein schönes Outfit für Samstag finden.“
Sie strahlte und hakte sich bei mir unter, als wir das Hotel zusammen verließen. „Das lässt sich sicher machen.“
Es war ein befreiend leichter Vormittag, der sich in einen gemütlichen, ruhigen Nachmittag verwandelte als wir mit unseren Tüten bewaffnet in ein niedliches Café einkehrten und uns heiße Schokolade bestellten. Ich hatte mir ein langes Sommerkleid in einem sanften Orangeton geholt, dazu weiße hohe Sandaletten. Aus einem inneren Impuls heraus hatte ich für Damien eine Krawatte in der Farbe meines Kleides gekauft. Immer, wenn ich an ihn dachte, bekam ich einen Kloß im Hals, doch Nicis Gesellschaft war Balsam für meine Seele.
Wir waren albern zusammen wie zwei Dreizehnjährige und machten uns über die Leute auf der anderen Straßenseite lustig. Oder über den Kellner, der dreimal an unseren Tisch kam, um jeweils eine Kleinigkeit zu bringen, wie etwa zwei Servietten oder zwei Löffel. Es war offensichtlich, dass er sich nicht traute, uns anzusprechen, es aber anscheinend ganz fest vorhatte.
Wir studierten die italienischen Wörter, die auf die Servietten gedruckt waren und sprachen sie in einem Akzent aus, dem jeden Italiener die Zornesröte ins Gesicht getrieben hätte. Und lachten Tränen dabei.
„Gott, wenn Nicolás uns jetzt hören könnte!“, stöhnte Nici lachend. Ich hielt mir den schmerzenden Bauch. „Das darf niemand jemals erfahren. Nici, ich hatte einen wunderbaren Tag.“
„Das ging mir genauso. Egal, was bei DerTraum weiter passiert, lass uns immer Freundinnen bleiben, ja?“
Ich konnte nur gerührt nicken und fühlte mich beinahe unbesiegbar, als ich mit ihr zurück ins Hotelfoyer kam. Es fühlte sich richtig unnatürlich an, als sie sich zum Gehen wandte und mir noch einmal lächelnd zuwinkte. Vielleicht gab es unter Freundinnen auch so etwas wie Seelenverwandtschaft. Das Wort Freundin erschien mir lächerlich klein zu dem Vergleich, was wir in so kurzer Zeit geworden waren. Mir war längst klar, dass sie genau das war, was ich mein Leben lang vermisst und gebraucht hatte.
Vor Damiens Tür zögerte ich, da ich mich plötzlich davor fürchtete, mit ihm allein zu sein, erklärte mich aber gleich für lächerlich und klopfte entschlossen an. Er öffnete die Tür sofort, als hätte er mich schon erwartet. Und er war wieder ganz der Alte, was mir ein Zentner Steine vom Herzen purzeln ließ.
„Tut mir leid, dass es so spät geworden ist. Ich bin noch mit Nici shoppen gewesen, aber ich habe dir etwas mitgebracht.“ Schlauerweise zog ich diese Trumpfkarte sofort aus dem Ärmel, sodass er gar keine Zeit bekam, wütend auf mich zu werden. Also hielt ich ihm die Schachtel mit der Krawatte hin.
Er wirkte seltsam gerührt, als ich ihn informierte, dass sie perfekt mit meinem Kleid harmonierte. „Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Danke!“
Ich lachte. „Das reicht schon völlig.“
„Also warst du erfolgreich? Möchtest du es mir nicht zeigen?“
Ich blinzelte ihn verwirrt an. „Natürlich… gerne. Ich hätte nur nicht gedacht, dass es dich interessiert. Warte, ich zieh mich schnell um.“
Damien:
Schon war sie in meinem Badezimmer verschwunden, und ich ließ mich seufzend auf meinem Bett nieder. Wenn ich es schaffte, meine Gefühle soweit im Zaum zu halten wie ich es jetzt tat, konnten wir vielleicht tatsächlich weiter Freunde bleiben. Ich war nicht bereit dazu, sie gänzlich aufzugeben. Und ich merkte, dass sie mich ebenso brauchte; wenn vielleicht auf andere Art und Weise.
Sie hatte sich auch das Make-up aufgefrischt und irgendetwas mit ihren Haaren angestellt, als sie wieder aus dem Badezimmer kam. Das Kleid strahlte wie sie – sanft aber unübersehbar schön wie die aufgehende Sonne an einem klaren Morgen. Mir fiel nichts anderes ein als die brutale Wahrheit zu sagen: „Du bist die schönste Frau, die ich jemals vor mir hatte.“
Einen Moment später hätte ich mir die Zunge dafür herausreißen können. Ihr Lächeln verblasste, und auf ihre Züge trat statt Freude, ein leichter Argwohn, wenn sich ihre Wangen auch röteten. So als glaubte sie, ich knüpfe irgendwelche Bedingungen an diese Aussage und wütend fragte ich mich, mit welchen Idioten sie es in ihrem bisherigen Leben zu tun hatte.
Offenbar schien ihr nichts einzufallen, was sie auf das Kompliment erwidern könnte. Sie wechselte so schnell zu einem anderen Thema über wie ein Schmetterling von Blüte zu Blüte. „Wollen wir jetzt üben? Ich glaube, ich werde das gleich anbehalten. Ich fühle mich super darin! Zu allem bereit.“
Ich wandte ihr den Rücken zu und legte die CD ein, damit sie den Ärger auf meinen Zügen nicht sah. Als ich mich wieder umwandte, lächelte ich wieder. „Dann los.“
Es war das erste mal, dass wir das Lied gemeinsam hörten, gemeinsam spürten. Die ersten Töne rissen uns schon mit, und das Gefühlschaos in uns verwandelte sich in einfachste Einigkeit. Ohne jede Frage oder Unklarheit.
Ich fasste sie um die Hüfte und ums Handgelenk und wir begannen uns so perfekt zu dem Takt zu bewegen, als hätten wir unser Leben lang nichts anderes getan als zusammen zu tanzen. Ich nahm das freudige Erstaunen in ihren Augen wahr und sog es tief in mich auf wie die Luft, die ich zum Atmen brauchte.
Wir sangen nicht, wir ließen uns von der Musik tragen und speicherten jeden Ton davon in uns ab, um sie uns zu eigen zu machen. Vielleicht war das Lied vor Jahren ja nur für uns und diesen Augenblick geschrieben worden.
Als es endete und dann wieder von vorn begann, weil ich vorher die entsprechende Wiederhol-Taste betätigt hatte, hielten wir nicht einmal für eine Sekunde mit dem Tanzen inne. Doch dieses Mal begann ich zu singen und beobachtete wie sie mit jedem Ton mehr, tiefer in meine Augen fiel. Wie ihre Lider schwer wurden und sie in dem Liebespaar versank, das wir in dem Song darstellten.
Ich drehte sie und der Duft ihres Haares brannte sich in jede meiner Fasern ein. Sie sang gequält und leidend und ich fragte mich, ob sie wegen Sascha so litt oder was sie in ihren jungen Jahren schon so sehr quälte, dass ich ihr nicht helfen konnte, während ich sie zu dieser Musik hielt. Vielleicht war ich auch nur ein flüchtiger Schatten in ihrem Leben.
Fay:
Noch nie zuvor war ein Mann mehr für mich gewesen als Damien in diesem Moment und ich konnte dieses tiefe, abgrundtiefe Gefühl einfach nicht beim Namen nennen. Und fühlte mich nicht bereit dafür. Es war als stünde ich vor einem endlosen Abgrund und würde in seine Tiefen stürzen, unternähme ich auch nur einen weiteren Schritt nach vorn.
Doch das Gefühl zog mich mit sich. Ich kannte das Verliebtsein, darum wusste ich, dass es das nicht war. Doch ich kannte nicht die Liebe. Und so wusste ich auch nicht, ob dieser tiefe Schmerz, diese tiefe Angst und Verwirrtheit die Liebe war. Nicht irgendeine Liebe. Sondern die Liebe. Die nicht schwärmerisch oder perfekt ist. Nicht ruhig wie ein See und lieblich. Weil sie wild und unbezähmbar und abgrundtief schmerzhaft ist wie das richtige Leben eben.
Noch nie hatte ich mit einem Mann getanzt und wenn doch, dann sicher nicht so. Noch nie hatte mich ein Mann gehalten und wenn doch, dann sicher nicht so! Mein Kopf war leer. Und mein Kopf war voll. Ich wusste nicht wohin mit mir. Mein Herz sprang in meinem Körper hin und her und zerbarst mit jedem Schritt ein bisschen mehr, bis es mich atemlos zurück ließ wie nach einem kilometerlangem Lauf, als wir uns am Ende des Liedes kurz umarmten.
„Gut.“, sagte Damien. Er war genauso atemlos wie ich. Hatte er diesen Strudel auch gespürt? „Das sollten wir auf der Bühne ganz genauso machen, dann ist es perfekt.“
„Perfekt.“, wiederholte ich nur und merkte selbst nicht, wie rau und verletzlich meine Stimme dabei klang.
Die nächsten Male, in denen wir das Lied in den folgenden Stunden übten, war es nie wieder so intensiv. Und wenn es wieder so zu werden drohte, brach Damien die Situation schnell ab, indem er mich tadelte oder lobte oder irgendeinen dummen Scherz machte.
Darum dachte ich mir, dass ich verrückt oder überarbeitet sein musste und wahrscheinlich die einzige von uns gewesen bin, die den Tanz so wahrgenommen hatte. Wahrscheinlich hat es an dem Lied gelegen, da es mir immer schon so viel bedeutet hatte. Und an dem Kleid, in dem ich mich unbesiegbar schön fühlte seit Damien mir dieses Kompliment gemacht hatte, über das ich nicht einmal nachdenken konnte.
Wenn Nicolás es gesagt hätte, wäre es leicht gewesen. Er hätte es mit diesem Grinsen im Blick gesagt. Mit seinem typischen Charme, der allen Frauen galt. Es wäre leicht hinzunehmen gewesen, da es nicht wirklich ernst gemeint gewesen wäre. Hätte Sascha es gesagt, wäre es atemberaubend und ernst gemeint gewesen, weil er nicht der Typ dazu war, der diese Dinge einfach zu einer Frau sagte. Ich wäre vielleicht vor Freude zusammen gebrochen. So oder so wäre die Sache klar gewesen. Damien war mein Freund. Mein erster männlicher Freund und inzwischen neben Nici schon der wichtigste Mensch in meinem Leben. Was hatte ich davon zu halten, wenn er diese Dinge zu mir sagte? Nicht „du bist hübsch“, sondern „du bist die schönste Frau, die jemals vor mir stand“
Das hatte irgendwie so ein Gewicht, dass es mich fast zu Boden drückte, darum erlaubte ich mir auch nicht, weiter darüber nachzudenken. Ähnlich verhielt es sich mit den Küssen und dem Tanz.
Die Schritte, die wir jetzt zusammen taten, waren dagegen seltsam distanziert und holprig. Auch unsere Stimmen klangen anders. Dieser erste Tanz war kein Üben gewesen, sondern die reine Perfektion und ich wusste, wenn wir beide es nur zuließen, dann müssten wir nicht weiter üben. Warum fügten wir uns nicht einfach in das, was uns da führte?
Da klopfte es beharrlich mehrmals laut an die Tür. Wir erwachten aus dieser verzerrten Traumwelt und kehrten abrupt in die harte Realität zurück. Lange sahen wir uns nur verwirrt an bis ich sagte: „Da möchte jemand zu dir.“
Er bewegte sich keinen Zentimeter. „Ich wüsste nicht, wer.“
„Vielleicht solltest du nachsehen.“, erwiderte ich langsam, und er ging endlich zur Tür und öffnete sie. Hereingeweht kam Nicolás. Er übersah mich in seiner Euphorie und schlug Damien mit der zusammengerollten KLATSCH gegen den Oberarm. „Hab ich es doch gewusst, du Casanova! Ich hab dir doch gesagt, dass…“
Damien räusperte sich laut und sah in meine Richtung. Erst da bemerkte Nicolás mich und sein Grinsen wurde noch breiter. „Auf frischer Tat ertappt.“
„Das ist ja mal wieder typisch für dich, dass du den Quatsch auch noch glaubst, obwohl ich dich für wesentlich klüger gehalten hätte.“, explodierte ich sofort. „Wir müssen uns treffen, da wir Samstag einen Auftritt zusammen haben, erinnerst du dich?“
„Ach kommt schon. Nur Freunde? Geht das überhaupt zwischen Mann und Frau?“ Er wandte sich wieder an Damien, sodass ich seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte - aber Damien erwiderte tonlos: „Hast du nichts zu tun?“
„Ich wollte eigentlich ein Männergespräch führen.“, erwiderte Nicolás. Ich hörte, dass er grinste.
„Soll ich euch zwei Hübschen vielleicht allein lassen?“, fragte ich säuerlich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wärst du so lieb?“, erwiderte Nicolás.
Als ich gerade hoch erhobenen Hauptes an den beiden vorbeiziehen wollte, hielt Damien mich sanft am Arm fest und sagte bestimmt: „Du gehst nirgendwohin. Nicolás wird gehen. Wir müssen üben!“
„Spielverderber.“, sagte Nicolás grinsend. Mit einem letzten, für ihn ungewohnt besorgten Blick verschwand er so schnell wie er gekommen war und ließ uns in peinlichem Schweigen zurück. Ich wünschte, Damien hätte mich statt Nicolás gehen gelassen, denn die Situation wuchs mir schlichtweg über den Kopf.
Und da war noch diese andere, unausgesprochene Angst in mir, für die ich mich so sehr schämte, dass ich nicht einmal mit Nici hätte darüber reden können. „Damien?“
„Hm?“
Ich drehte mich zu ihm um. „Als du heute Morgen das Bild von uns in der Zeitung gesehen hast, hast du da nur Abscheu empfunden?“
Er sah mich mit großen Augen an und wollte gerade etwas erwidern, da fuhr ich fort: „Denn ein kleiner widerlicher Teil von mir war über die Maßen Stolz, mein Bild in dieser großen Zeitung zu sehen. Wenn es jetzt schon so mit mir anfängt, Damien, wie soll es dann weitergehen?“
Er schloss den Mund wieder und ich war mir ziemlich sicher, dass er eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen: „Du bist herzerweichend ehrlich, was deine Gefühle betrifft. Weißt du, wie selten das ist, dass Menschen sich Anderen so öffnen können? Was für eine Gabe das ist?“
Das hatte rein gar nichts mit der Frage zu tun, die ich ihm gestellt hatte. So zuckte ich nur gleichgültig die Achseln und stellte die Musik wieder an.