Rudolphus Lestrange betrachtete den Muggel verächtlich im Halbdunkel. Keinerlei Körperspannung. Verweichlicht. Weinerlich. Dieser blasse, fette Junge sollte tatsächlich einer der meist gehassten Feinde seiner Dunklen Lordschaft sein. Selbst bevor Potter der Dunkle Lord geworden war, hätte ein einfacher Fluch den Muggel wie ein Schwein zum Quieken gebracht. Lestrange zog seine dünnen Kleider an sich. Die Kälte im Kerker ging durch und durch. Seine Ketten scheuerten an den Hand – und Fußgelenken. Er wusste schon lange nicht mehr, welcher Tag war. Wenige Tage nach der Verhaftung durch die Auroren hatte man die Lestranges, genauso wie die Malfoys an Potter ausgeliefert. Rudolphus erinnerte sich noch oft, an seiner Überraschung, als er Snape zum ersten Mal an der Seite des jungen Lords gesehen hatte.
Severus Snape, das Halbblut, einer der ranghöchsten Anhänger von Harry Potter - wer hätte das gedacht. Die ersten Tage in Potters kurzzeitigem Hauptquartier im Grimmauldplatz waren noch erträglich gewesen. Potters Zeit wurde von diversen Verpflichtungen in Anspruch genommen. Später im Schwarzen Schloss entwickelten sich die Dinge zum Schlechten. Man brachte sie hierher in die Dunkelheit. In dem Käfig, in dem man sie hielt, gab es nichts. Die meiste Zeit saßen sie aneinander geschmiegt auf dem Steinboden. Oft versuchte er vergeblich Bellatrix warm zuhalten. Er liebte sie noch immer, obwohl sie ihn nie geliebt hatte. Sie hatte immer nur Riddle geliebt. Diese Kälte auf dem Boden wurde immer schlimmer. Der Hunger nahm gleichzeitig mit dem Gejammer von Dursley zu.
Potter quälte Bella mit Vorliebe und Kreativität. Vor allem sorgte er dafür, dass sie nicht einfach starb. Jetzt hatte man sie in medizinische Obhut gegeben, damit Potter sie später wieder mißhandeln konnte. Das taten sie immer. Die Lestranges bekam genauso viel zu essen, dass sie immer hungrig blieben und dennoch nicht verhungerten. Der Muggel jammerte noch immer. Rudolphus nervte diese Geheule furchtbar. Irgendwie schien der Muggel die Situation noch schlimmer zu machen. Lestranges Verachtung für Dursley stieg weiter. Wenn er seinen Zauberstab hätte, dann …. Draußen hörte man Stimmen. Sie stritten erkennbar und Lestrange versteifte sich. Wenn die Schattenjäger untereinander stritten, bedeutete es nie etwas Gutes. Die Wache sagte etwas kaum Verständliches. Sie erhielt eine klare Ansage: „Muss ich Dich Gehorsam lehren?“ Die Stimme stammte unverkennbar von Snape, dem Verräter.
Die Tür wurde quietschend geöffnet. Snape kam ins das eisige Halbdunkel. Mit einem kleinen Zauber wurde es angenehm hell. Der Magier sah sich ruhig um. Der nahezu leere Raum bot keinerlei Trost oder Schutz. An die Wände waren schwere Ketten angebracht. Die beiden einzigen Gefangenen hier waren daran gefesselt. Sie konnten sich mit Anstrengung bewegen. Prüfend betrachtete Snape die Gefangenen. Dursley erfreute sich eines akzeptablen Allgemeinzustandes, auch wenn er sich gab, als ginge es ans Streben. Rudolphus dagegen sah sehr schlecht aus. Seine eingefallenen Wangen, der hektische Blick, die verfilzten Haare zusammen mit der zerschlissenen Kleidung wiesen auf die Dauer seines Leidens hin. Severus empfand kein Mitleid mit dem Todesser, der die Longbottons in den Wahnsinn gefoltert hatte. Viele andere Unschuldige hatte Lestrange gefoltert und ermordet. Der Preis musste gezahlt werden.
Das einzig Absurde daran war, dass beide Lestrange vor allem für den Tod von Sirius Black litten. Welch eine Ironie, dachte Potters Gefolgsmann. Entschlossen öffnete er die Käfigtür mit seinem Zauberstab. Er fixierte Dursley magisch an der Wand und sprach mit Rudolphus: „Du siehst schlecht aus, Lestrange.“, merkte er überflüssiger Weise an. Lestrange zog es vor zu schweigen. Er rechnete mit einem Folterfluch oder ähnlichem. Anstatt dessen wendete Snape einen starken Erfrischungszauber an. Ein angenehm warmer Windhauch umhüllte den Gefangenen, entwirrte die zerzausten Haare, reinigte seinen ausgemergelten Körper und hauchte ihm etwas Farbe ins Gesicht. Rudolphus sah überrascht hoch: „Danke, Master.“, sagte er unterwürfig. Er hatte lange gebraucht, Snape oder andere so anzureden. Lord Potters Erziehungsmaßnahmen hatten ihre Wirkung jedoch nicht verfehlt. Mittlerweile verstand er es als Normalität. Der Master behielt seinen undurchdringlichen Blick. Er löste Lestrange Fesseln und warf ihm ein Bündel frischer Kleider zu. „Zieh das an.“ Lestranges Überraschung wuchs mit seiner Dankbarkeit. Er hielt warme Unterwäsche in den Händen, ein paar Wollsocken, einfaches Shirt und eine robuste Hose. Snape hatte ihm sogar passende Schuhe mitgebracht. Seit anderthalb Jahren hatte man ihm keine Kleidung mehr wechseln lassen. Hastig streifte er die alten Sachen ab. Dass man ihm dabei zu sehen konnte, war ihm egal. Diese Art der Scham hatte er längst verloren. Die neuen Kleidungsstücke wärmten gut und wieder bedankte er sich. Soviel Gnade kannte er gewöhnlich nicht.
„Du hast Hunger, nicht wahr?“, fragte Snape noch immer neutral. Lestrange nickte vorsichtig. Er wagte kaum zu hoffen auch noch Nahrung zu bekommen, die über die üblichen Abfälle hinaus ging. Snape rief nach einer Hauselfe, die offenbar vor der Kerkertür gewartet hatte. Aus dem Nichts erschien ein Tisch mit zwei Stühlen. Der Hauself deckte innerhalb von Sekunden ein und servierte eine Schüssel heißer Hühnersuppe, dampfendes frisches Brot, Kakao und einige belegte Sandwiches. „Setz,´ Dich, Lestrange und iß langsam, sonst wird Dir schlecht.“ Snape nahm gegenüber von Rudolphus Platz.
Dudley zerrte an seinen Ketten. Er hatte seit zwei Tagen nichts als Wasser bekommen. Snape rollte mit den Augen: „Seine Lordschaft läßt Dir ausrichten, deine Familie und du hättet ihn hungern gelehrt. Nun gibt er dieses Wissen an Dich weiter, Muggel.“ Dudley setzte an, etwas zu sagen. Der Silencio stellte ihn ruhig.
Die Hühnersuppe schmeckte köstlich. Das Gemüse, die Nudeln und das Fleisch waren genau auf den Punkt gegart. Die Brühe duftete nach frischen Kräutern und Gewürzen. Die Wärme breitete sich in Lestranges Körper aus. Sie belebte ihn deutlich. Nach Jahren saß er zum ersten Mal wieder, wie ein Mensch an einem Tisch. Die blütenweiße Tischdecke, das schlichte Porzellan und das Besteck gaben ihm ein Stück seiner verloren gegangen Würde zurück. Sogar an eine Serviette hatten die Elfen gedacht. Er bemühte sich nicht zu gierig zu erscheinen, aß mit fast vergessenen guten Manieren und trank den Kakao mit Genuss. Snape schwieg und überließ Rudolphus seinem ungewohnten Luxus. Auf seltsame Weise war Lestrange glücklich, dass seine Gattin nicht hier war. So musste er nicht teilen. Außerdem hatte Bellatrix die unangenehme Eigenschaft in jeder Situation Widerstand zu zeigen, was Rudolphus schon mehr als eine Vergünstigung gekostet hatte. Jetzt aber konnte er ruhig essen. Er war zufrieden.