Auch wenn Selina versuchte, bei mir zu bleiben, solange wir in der Klinik waren, wurde sie immer wieder weggerufen. Sie stand nunmal der Stiftung ihres Vaters vor und da Martin Bücker ja "verunglückt" war, lastete all die Verantwortung auf Selinas Schultern. Wie stark sie war. Die Tatsache, von ihr geliebt zu werden, ließ mich stolz und glücklich meine Schmerzen ertragen...
Die Zeit die ich alleine im Zimmer verbrachte, (Ich hatte Schwester Ines gesagt eine Rundumbetreuung wäre in meinem Fall nicht mehr notwendig, ich könnte ja läuten, wenn ich etwas brauchte) ließ mir Zeit, mir über einiges klar zu werden. Unglaublich, was in den letzten 36 Stunden alles passiert war, noch unglaublicher: Die Zusammenhänge, die zur jetzigen Situation meiner Person geführt hatten.
Die Welt ist grausam! Man stelle sich vor, ein Forscher entwickelt ein Heilverfahren, welches viele Menschen vor einem grausigen Tod retten kann, aber einen ganzen Zweig der Pharmaindustrie obsolet werden lässt. Das klingt oberflächlich sehr gut, aber was würde wirklich in weiterer Folge passieren. Für den sogenannten Gutmenschen steht im Vordergrund: Krebs ist heilbar! Und das auch noch zu einem Bruchteil der Kosten, die bisher verschlungen wurden.
Ganz so einfach verhält sich die Sache aber nicht! Auch wenn man die Kosten sehr gern an den Managergagen und Vorstandsprämien festmacht, so hängt an der ganzen Industrie nicht zuletzt der Arbeitnehmer! Weltweit. Wenn ich keine Zytostatika, keine Chemotherapie mehr brauche, schicke ich abertausende Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit. Ganze Konzerne könnte man damit in die Pleite jagen und wie immer, würde es am ärgsten den kleinen Mann treffen! Den, für den man im guten Glauben etwas entwickelt hat, das ihm eigentlich zu Gute kommen sollte. Wenn man die Wirtschaft schwächt, schwächt man auch den Konsumenten. Ob mit billigen Heilverfahren, und seien sie qualitativ auch noch so gut, oder mit billiger Energie, man könnte solche Errungenschaften nur langsam in die Weltwirtschaft einfließen lassen, ohne sie tödlich zu gefährden.
Als man Ende der Neunziger-Jahre stolz die Entwicklung des Drei-Liter-Autos propagierte, lagen die Pläne für Ähnliches schon seit mehr als zwei Jahrzehnten in den Schubladen der Konstrukteure! "Vernünftigerweise" nicht verwirklicht, abgegolten, oder aber von "verunfallten" Entwicklern "einkassiert".... Vielleicht waren Energie-Gewinnungs und -Speichermöglichkeiten wie die von mir Entwickelten schon lange in ähnlicher Weise erfunden worden. Wie ich aus erster Hand wußte, ja am eigenen Leib erfahren hatte, ist es ganz normal, weltbewegenden Erfindungen schlagartig Einhalt zu gebieten. Daran sind nicht nur Konzernbosse interessiert. Nein, das geht so bis hinauf in oberste Regierungs- und Wirtschafts-Kreise. Als Entdecker gefährdet man ohne es zu ahnen sehr leicht die Weltwirtschaft. Die Feinde, die man sich dabei macht, sind mächtiger als man sich vorstellen möchte...
Nun, so wie ich mein Leben lang aus allen meinen Erkenntnissen gelernt hatte, wollte ich auch diese Erkenntnis für Selina und mich in Zukunft nutzen. Sowohl mein, als auch nunmehr ihr Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität und Gesunderhaltung der Menschen musste einfach Eingang in den Alltag finden. Und wenn wir die Weltwirtschaft dazu unterwandern mussten, dann hatten wir dazu ja noch ein gemeinsames Leben lang Zeit. Nur: Irgendwo da draußen schärfte Viktor seine Krallen. Wie lange also, mochte unser gemeinsames Leben noch sein...?