Gut. Da war ich also. Mein erster Schultag. Yay!
Ich hatte eine Scheißangst.
Zum einen: Schon wieder neue Menschen, neue Umgebung, alles anders. Und da ich vom Kindergarten her keine Freundschaften aufgebaut hatte (aus bereits genannten Gründen, siehe dazu das vorherige Kapitel), war ich noch immer allein.
Aber das andere war noch viel schlimmer: Ich konnte jetzt scharf sehen. Das war beängstigend, weil plötzlich alles anders aussah. Und zwar überall! Auch daheim. Noch dazu hatte ich eine dieser hässlichen, runden, lila Kinderbrillen auf. Mit vier Jahren hab ich sie bekommen. Und seitdem trage ich Brille.
An etwas von meinem ersten Schultag erinnere ich mich besonders drastisch. Ein Junge aus meiner Klasse hat mich ausgelacht und Brillenschlange genannt. Das wars. Mein erster Kontakt mit anderen Menschen in der Schule. Toll, oder? Ich sollte dazu vielleicht erwähnen, dass der Junge selbst eine Brille trug. Leider hatte ich keinerlei Selbstvertrauen und keinen, der hinter mir stand. Also zog ich mich an den einzigen Ort zurück, an dem ich mich sicher fühlte: mich selbst.
Das war der Anfang. Ab jetzt ging es bergab. Langsam aber stetig Richtung Depression. Aber es sollte noch Jahre dauern, bis ich ganz unten war.
Da ich von zu Hause eine ordentliche Erziehung genossen hatte, waren Lehrer für mich Respektspersonen. Ich hörte auf das, was sie sagten und strengte mich im Unterricht an.
Alle Fächer, in denen ich nur zuhören, den Finger heben und etwas sagen musste, waren gute Fächer. Alle Fächer, in denen ich mit anderen zusammen arbeiten musste, waren schlecht.
Ich hasste Sport. Vor allem alles wo mensch mit anderen zusammen arbeiten musste. Ich weiß, das ist das typische Loserbeispiel, aber ich blieb bei der Mannschaftsauswahl immer übrig. Mich hat das aber nie gestört. Mir waren die anderen egal geworden. Ihre Hänseleien, ihre Sticheleien. Die Tatsache, dass der Ball beim Brennball spielen mehr als einmal meine Brille suchte, obwohl ich bereits ausgeschieden war. Egal. Ich kümmerte mich nur noch um mich selbst.
Im Nachhinein betrachtet waren es vielleicht unbeholfene Versuche der Anderen mich aus der Reserve zu locken. Aber da war keine Reserve mehr. Nur noch das blanke Ich und das hatte keine Lust mehr noch weiter verletzt zu werden. Also verkroch ich mich dahin, wo mich niemand treffen konnte.
In allen anderen Fächern hatte ich 1er und 2er. Das Lob meiner Lehrer und Eltern war mein Antrieb. Der einzige den ich hatte. Bis irgendwann mal eine Lehrerin ausgeflippt ist, weil ich so viele Fleißaufgaben brachte, die sie korrigieren musste. Es war nicht ihre Schuld. Sie war gestresst, überarbeitet, die Klasse war laut und nicht zu bändigen und ich wählte gerade diesen Moment um ihr stolz wie Oskar meine freiwilligen Schreibübungen zu präsentieren. Es war ihr einfach alles zu viel geworden.
Von da an war mir jedenfalls auch das Lernen egal. Nicht ganz, aber es war mir nicht mehr so wichtig immer alles richtig zu machen um nur ja gelobt zu werden. Meine Grundschulnoten waren dennoch bis zum Übertritt nie schlechter als 2er. Bis auf die Sportnote, versteht sich.
Etwa zu der Zeit fing ich an Gedichte zu verfassen. Kindliche Reime, die meine Einsamkeit und meinen Schmerz ausdrückten. Und den Hass, den ich empfand.
Ich las sehr viel. Irgendwann hat meine Mutter mal zu mir gesagt, das Bücher wie Freunde sind und mensch sie auch so behandeln sollte. Das war, als ich mal wieder in einem meiner vielen kindlichen Wutanfälle ein Buch in die Ecke geschleudert hatte.
Ich nahm die Aussage wörtlich. Bücher wurden meine einzigen Freunde. Bücher, Filme und Fernsehserien.
Und so verließ ich die Grundschule. Mit geringstmöglichem sozialen Kontakt und nur wenigen Menschen, die es dennoch geschafft hatten, durch die harte Schale zu mir durch zu dringen. Danke, dass ihr es versucht habt, Leute.