Mika ging im Palast umher, so wie er es früher oft getan hatte. Es war ein seltsames Gefühl, nach so langer Zeit wieder hier zu sein. Vor vier Tagen hatte Omnix sie gefunden und zurück zur japanischen Hauptstadt der Vampire gebracht. Yuu sträubte sich anfangs sehr mitzukommen, vor allem als er erfahren hat, dass Omnix, den er eigentlich die ganze Zeit auf seiner Seite geglaubt hat, eigentlich auf der Seite der Vampire stand. Letzten Endes hatte er sich allerdings überreden lassen, da er Mika vertraut hat, als er sagte, dass sie Krul vertrauen können. Der junge Vampir war bei einem der Fenster stehengeblieben und sah hinaus auf die unterirdische Stadt. Er war es gewohnt, zumindest eine blasse Reflektion von sich zu sehen, aber seit Yuu ihn dazu gezwungen hatte sein Blut zu trinken, um nicht zu verhungern, war er ein vollständiger Vampir. Es war das erste Mal, dass er vor einer reflektierenden Fläche stand und sein Spiegelbild nicht sah. Einerseits war es ein seltsames Gefühl, andererseits fand er es auch schade, weil er gerne gesehen hätte, wie er mit seinen roten Augen aussah. Plötzlich schrak er zurück, als eine blasse Reflektion vor ihm erschien. Es war Omnix, der ihn mit seinem leuchtenden Auge ansah. "Es ist ein seltsames Gefühl, wieder hier zu sein, hab ich recht?", fragte der Reinkarnitor. Mika entspannte sich wieder etwas und nickte. "Ja, es ist wirklich komisch. Sag mir Omnix, wann kann ich Krul wiedersehen?" "Das ist der Grund, warum ich hier bin. Krul möchte dich und Yuu heute Abend im Thronsaal sehen. Ich vertraue darauf, dass du ihn schon irgendwie dorthin bringen wirst." Mika nickte abermals, dann ging er weiter. "Mika", ertönte da Omnix Stimme hinter ihm und der Junge drehte sich um. Das sternenübersäte Wesen stand nun tatsächlich in dem Gang und musterte ihn interessiert. "Du bist nun also ein vollständiger Vampir", stellte er trocken fest. Mika wusste nicht warum, aber diese gleichgültige Art, mit der er es aussprach, machte ihn wütend. "Ja bin ich! Ich bin ein Monster! Ich habe solange kein menschliches Blut getrunken, nur damit ich Yuu nicht als Vampir unter die Augen treten muss! Und was passiert? Kaum treffe ich ihn wieder besteht er darauf, dass ich sein Blut trinke, nur damit ich nicht sterbe!", sprudelte es aus ihm heraus. Omnix sagte nichts, er stand nur still da und sah ihn an, bis er sich beruhigt hatte. "Du denkst, dass du jetzt schlechter bist? Du denkst, dass Yuu dich jetzt weniger wertschätzt?", fragte er ihn und Mika ließ seinen Kopf hängen. "Du bist ein Narr", fuhr sein Gegenüber fort, was bewirkte, dass der Junge ihn überrascht ansah. "Yuu wird dich immer als seinen Bruder wertschätzen, egal was du bist." Der Reinkarnitor drehte sich um, um zu gehen. "Du wirst bald schon merken, dass es gar nicht so schlimm ist, ein Vampir zu sein. Oh, und vergiss das Treffen heute Abend nicht." Damit verschwand Omnix und ließ ihn alleine zurück.
Yuu und Mika standen im Thronsaal vor Krul Tepes, der Vampirkönigin von Japan. Mika kniete vor ihr nieder und bedeutete Yuu, es ihm gleich zu tun, was der Junge, wenn auch äußerst widerwillig, tat. Krul saß in ihrem großen Thron, Omnix stand neben ihr und beobachtete die Szene. "Ich bin froh, dass ihr beide unverletzt seid", meinte Krul und lächelte, wobei ihre Eckzähne aufblitzten. "Erhebt euch ruhig." Die beiden Jungen standen auf. "Wie ich sehe bist du letzten Endes doch einer von uns geworden", meinte Krul, während sie Mika betrachtete. "Gezwungenermaßen Mylady", antwortete der blonde Vampir ihr. Seine Bedenken von zuvor waren verschwunden, seit er mit Omnix darüber geredet hatte. Vielleicht war es wirklich nicht so schlimm, ein Vampir zu sein. Er konnte spüren, dass Yuu ihn verwirrt und überrascht ansah. Offensichtlich hatte sein Bruder nicht damit gerechnet, dass er sie so respektvoll ansprechen würde. Doch es war nun mal wie es war. Krul hatte ihn gerettet, sie hatte ihn versorgt und aufgezogen. Sie war seine Königin, der er bis ans Ende folgen würde. "Interessiert seinem Beispiel zu folgen?", fragte Krul nun Yuu und riss ihn so aus seinen Gedanken. "Das soll wohl ein schlechter Scherz sein!", antwortete Yuu ihr und Mika zuckte zusammen. Er hoffte inständig, dass er seine Zunge etwas zügeln würde, doch Yuu fuhr fort: "Ihr habt Mika gegen seinen Willen verwandelt! Tut nicht so, als würdet Ihr Euch um mich kümmern! Ich weiß, dass Ihr nur an mir interessiert seid, weil ich ein Seraph bin!" Krul sah den schwarzhaarigen Jungen an. "Sieh mal einer an, du hast dich nicht wirklich verändert kleiner Yuu", meinte sie grinsend. "Ich kann mich nicht daran erinnern, Euch schon mal in dieser Stadt getroffen zu haben", widersprach er ihr. "Nein, natürlich nicht. Aber ich habe dich damals davor gerettet, getötet zu werden, genau wie ich Mika davor rettete. Ich habe euch immer im Auge behalten und ich wusste selbstverständlich von all deinen kleinen Dummheiten, die du dauernd getrieben hast." Die Vampirkönigin grinste von einem Ohr zum anderen. "Ist es denn zu viel verlangt, seiner Retterin zumindest etwas Respekt entgegenzubringen? Ich weiß, dass Ferid deine Familie getötet hat, aber sei versichert, dass er dafür bezahlt hat." Sie sah ihn kurz an, doch Yuu sagte nichts mehr. "Wie dem auch sei, mein Angebot steht noch, komm also jederzeit zu mir, falls du es einlösen willst. Omnix wird dich hinausbegleiten, Mika du bleibst noch hier", wies sie an. Der Reinkarnitor trat an Yuus Seite und nahm seine Hand, doch Yuu riss sich wieder los. "Nimm deine Pfoten weg! Du hast mich die ganze Zeit belogen! Du warst schon immer nur auf ihrer Seite!", rief er sauer und deutete auf Krul. Omnix sah ihn kalt an. "Früher oder später wirst du merken, dass das auch einen guten Grund hat. Du solltest aufhören, nur eine Sichtweise zu verfolgen, sondern dein Sichtfeld erweitern", meinte er. "Aber naja…du bist schließlich nur ein Mensch." Bevor Yuu etwas erwidern konnte kam Krul ihm zuvor. "Das bist du auch John, also mach ihn deswegen nicht nieder", meinte sie streng. "Vergiss das niemals." Der Reinkarnitor nickte. "Du hast recht. Ich bitte vielmals um Verzeihung." Damit schritt er voran und Yuu wollte ihm folgen, doch Mika hielt ihn am Arm fest. "Es wäre gut, wenn dein Verhalten etwas bessern würdest Yuu. Ich will nicht, dass dir etwas passiert", flüsterte er. "Ich kann nicht glauben, dass du eher auf ihrer Seite bist, als auf meiner", antwortete Yuu leise. "Tja, ob es dir gefällt oder nicht, ich stehe nun mal in ihrem Dienst. Und du wirst dich Sanguinems Regeln genau so beugen müssen, wie alle anderen auch", meinte der Vampir. Damit ließ er ihn los und drehte sich wieder zum Thron der Königin um.
Yuu folgte dem Reinkarnitor durch die Gänge des großen Schlosses. "Ich spüre, dass du unruhig bist", meinte Omnix plötzlich und drehte sich zu ihm um. "Was fühlst du gerade?", fragte er ihn. "Was ich fühle?", wiederholte Yuu verwirrt. "Ja. Ich kenne dieses Gefühl, das du gerade spürst, doch bitte sag mir nochmal, wie es heißt", bat das sternenübersäte Wesen. "Ich würde sagen, es ist…Enttäuschung", antwortete der Junge leise und senkte seinen Blick. "Natürlich, Enttäuschung!", rief Omnix begeistert aus und Yuu zuckte überrascht zusammen. "Warum bist du also enttäuscht?", fragte er dann. Yuu überlegte kurz, was er darauf antworten sollte. "Ich glaube es ist deswegen, weil Mika mich nicht unterstützt, sondern auf der Seite der Königin ist." Omnix Auge funkelte belustigt. "Ich verstehe. Du hast dein Leben lang gelernt, dass Vampire böse sind. Das wirkt sich jetzt nicht gerade gut auf dich aus. Daher hast du das Gefühl, dass Mika dich hintergeht." Yuu nickte langsam. "Mika hingegen hat gelernt, dass die Menschen die Bösen sind. Darum will er dich auch unbedingt vor ihnen beschützen", fuhr Omnix fort. "Und was denkst du?", fragte der Junge ihn. "Was gut ist und was böse ist liegt im Auge des Betrachters. Verschiedene Leute lernen verschiedene Dinge und glauben daher auch Verschiedenes. Ich persönlich denke, dass all jenes Böse ist, das ohne Grund Tod und Verderben bringt. Wer glaubst du ist schuld daran, dass die große Katastrophe überhaupt stattgefunden hat?" Yuu sah ihn entsetzt an. "Willst du damit etwa sagen…willst du sagen, dass die Menschen daran schuld sind?" Omnix nickte. "Sie haben ein Experiment mit dunkler Magie durchgeführt, welches so extrem schrecklich ist, dass ich jetzt lieber auf Details verzichte. Diese Experiment löschte fast die gesamte Erdbevölkerung aus. Darum habe ich mich für diese Seite entschieden. Die Menschen haben in ihrer Gier nach mehr und mehr Macht das Ende der Welt ausgelöst. Kein Grund, den ich verstehe. Darum sind sie für mich eher die Bösen", erklärte er dem Jungen. "Eher?", fragte Yuu ihn. "Ja. Denn weißt du Yuu, es gibt nichts wirklich Böses. Jeder denkt, dass das was er tut richtig ist. Den Menschen fehlt die Fähigkeit, innezuhalten und sich zu fragen, ob die anderen vielleicht recht haben könnten." "Ich verstehe", flüsterte der schwarzhaarige Junge. "Versprichst du mir etwas?", fragte Omnix plötzlich. "Kommt darauf an, was es ist", antwortete Yuu zögernd. "Bitte mach heute einen Spaziergang durch Sanguinem. Vielleicht wird er dein Sichtfeld erweitern." Yuu überlegte kurz, dann nickte er. "Von mir aus. Aber erwarte nicht zu viel", meinte er. Omnix Auge leuchtete erfreut auf, dann verbeugte sich der Reinkarnitor leicht und verschwand.