Die Lupins, die froh waren, heute die Heimreise anzutreten, begegneten dem Dunklen Lord bereits in einem Korridor, im Gästeflügel, des Schwarzen Schlosses. Die Besuche zerrten immer an ihren Nerven, weil sie Harry aufrichtig gemocht haben. Sie hatten die Einladung zu Hermines Geburtstag natürlich angenommen. Wer hätte auch absagen wollen? Remus musste sich wegen seines Werwolfdaseins ohnehin dem Dunklen Herrn unterwerfen. Das Konkordat ließ in dieser Hinsicht keinen Spielraum zu. Er gab nur ungern zu, wie sehr er vom Lord Potters Gunst profitierte. Der frühere Lehrer arbeitete in der Redaktion eines Schulbuchverlages und leitete diese. Den Job hatte er auf Empfehlung des Ministeriums bekommen, dass sich um gute Beziehungen zu Lord Potters Vertrauten bemühte. Natürlich wusste man im Ministerium, dass Teddy Lupin das Patenkind des Dunklen Herrn war. Lord Potter zeigte sich dem Kind und seinen Eltern gegenüber ausgesprochen großzügig. Er hatte ihnen zum letzten Hochzeitstag ein schönes, kleines Haus in Gordic´s Hollow in der Lily-und-James-Potter-Straße geschenkt.
Tonks arbeitete in ihrem Traumjob. Sie leitete die Eventabteilung des Wizard World, eines außergewöhnlichen Veranstaltungshauses und erstklassigen Restaurants, dass Lord Potter mitten in London eröffnet hatte. Das junge Paar verfügte über Geld, Macht und Ansehen, trotzdem fürchteten sie sich oft in seiner Gegenwart. Sie hörten ihn nicht kommen.
Lord Potter tippte ihr leicht auf die Schulter. Unwillkürlich zuckte sie zusammen. „Guten Morgen, meine Liebe. Remus, ich bin erfreut, Euch beide so privat zu treffen. Wie geht es meinem Patenkind?“ Diese eisige Freundlichkeit des Dunklen Herrn löste bei Remus jedes Mal Übelkeit aus. „Guten Morgen, Mylord Potter. Vielen Dank der Nachfrage. Teddy ist bei seiner Großmutter. Sie hat ihn gern um sich.“ Seine Werwolfinstinkte warnten Remus vor dem leichten Unterton in der Nachfrage. Sein Nackenhaar sträubte sich unweigerlich, dennoch lächelte er verbindlich.
Auch seine Frau versuchte betont freundlich zu bleiben: „Mylord Potter. Guten Morgen, hatten Sie eine angenehme Nacht?“ Das Gesicht von Potter blieb undurchschaubar. „Danke. Ich wurde gut unterhalten. Aber kommen wir doch zurück zu Teddy.“ Der Magen von Tonks krampfte sich heftig zusammen. Sie ahnte worauf es hinauslief. Bereits beim letzten Besuch hatte er gesagt, er wolle das Kind sehen. „Wir vermissen den Kleinen bei Hofe. Bringt ihn bei Eurem nächsten Besuch mit! Ich will mein Patenkind sehen.“ Der Ton duldete keinen Widerspruch. Remus erbleichte und versuchte so etwas wie ein ermutigendes Lächeln zu seiner Frau. Ted ins Schwarze Schloss zu bringen war keine Option; es nicht zu tun, war auch keine Option. Das Ehepaar biss sich auf die Lippen. „Natürlich. Mylord.“, brachte Remus zwischen den Zähnen gepresst hervor. Er brauchte Hilfe bei diesem Thema – im schlimmsten Fall sogar von Severus Snape.
Ein riesiger Kronleuchter schwebte über dem Thron der Tränen. Genau 31 weiße Kerzen erhellten den Raum und gaben ein warmes Licht ab. Das einzige warme Licht im schwarzen Schloss strahlte über den Thronen. Lord Potter betrat den Saal lässig wie immer. Ginny, Ron und Hermine erhoben sich respektvoll und nahmen dann gleichzeitig mit Lord Potter wieder Platz. In diesem Moment verschwand eine weiße Kerze. Ihr helles Licht verlöschte und eine schwarze erschien. Sie entzündete sich selbst mit kalter, blauer Flamme. „Guten Morgen verehrte Gäste.“, lächelte Lord Potter kühl in den Saal. Sein Blick fiel auf Severus Snape und glitt dann über ihn hinweg zu Albus Dumbledore, der bis eben den Tagespropheten studiert hatte. „Hoffentlich hatten alle eine interessante Nacht. Das Ehepaar Lupin verläßt uns leider, ebenso Mrs. Zabini und Mr. Zabini. Auch Lord Weasley begibt sich auf einen kurzen Ausflug. Dafür besuchen uns neue Gäste, auf die ich mich bereits freue. Bitte vergessen Sie nicht bald wieder zu kommen. Spätestens an Samhain oder Halloween, wie manche sagen, feiern wir wieder ein unvergessliches Fest. Vor uns liegt der goldene Oktober.“ Blaise Zabini schüttelte fassungslos den Kopf. Lord Potter schickte ihn ohne ein persönliches Wort weg. Bis zu diesem Moment hatte der aktuelle Favorit von Lord Potter keineswegs vorgehabt, das Schloss heute zu verlassen. Er sah seine Mutter an, die genauso perplex war. Sie zuckte fassungslos mit den Schultern.
Der Bahnhof von Hogsmeade wirkte lebendig und hektisch. Das Dorf selbst hatte sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Es wuchs beständig an. Überall bauten Magier neue Häuser und eröffneten Geschäfte. Der Ort zog allerlei Kinder der Nacht an. Schwarze Magier, boshafte Kobolde, Vampire, Werwölfe und Ghule hatten in Hogsmeade ihre neue Heimat gefunden. Es gab viele Geschäfte, in denen offen mit schwarzmagischen Artefakten und mit giftigen Trankzutaten gehandelt wurde. Lediglich die kleine freundliche Filiale von Zauberhafte Zauberscherze, in der man auch Süßigkeiten erwerben konnte, erinnerte noch an die Zeit vor dem Konkordat. Mittlerweile fuhr auch eine zweite Verbindung am Tag nach London, die gut ausgelastet war. Der Nachtzug startete pünktlich um Mitternacht. Viele ehemalige Dörfler hatten sich allerdings in anderen Orten zum Beispiel Gordic´s Hollow, Shell Cottage oder London niedergelassen.
Die Karawane vom Schloss rollte vor dem Bahnhof ein. Die Reisenden machten respektvoll Platz. Die Kutschen wurden von zwanzig berittenen Schattenjägern begleitet. Die Kutsche stoppte vorsichtig und ein Diener öffnete die Tür. Ron stieg zuerst aus. In seiner Schattenjägerrobe mit dem gezackten silbernen Blitz wirkte er selbst bei strahlendem Sonnenschein düster. Die schwarzsamtene Robe hatte Applikationen aus rotem Drachenleder und wurde von einer goldenen Fibel in Löwenform zusammengehalten. Lord Potter mochte traditionelle Kleidung. Meistens achteten alle darauf. Rons einziges Statussymbol eine massive Goldkette lag offen auf der Brust.
Die Besucher des Schlosses warteten in kleinen Gruppen auf die Einfahrt des Zuges. Die meisten wollten nur noch fort von hier. Die Schattenjäger hielten respektvoll Abstand. Nicht nur auf Außenstehenden wirkten die bleichen, großen, langhaarigen Männer in den schwarzen Ledermänteln und hohen Stiefeln mit blutroten Ornamenten beängstigend. Ihre Anführer hatten Ähnlichkeiten mit dunklen Engeln. Ihre langen Haare fielen bis zu den Hüften und ihre tödliche Eleganz verbarg sich nicht.
Der Zug fuhr ein und eine schmale, ältere Dame stieg mit einigen obskuren Gestalten zusammen aus. Ron ging ihr lächelnd entgegen. Sie umarmten sich innig. Besorgt sah der junge Lord seine ehemalige Professorin an: „Was tust Du hier in Hogsmeade?“ Minerva McGonagall stellte zunächst eine Gegenfrage: „Was gibt es neues im Schwarzen Schloss? Mich erreichte eine Eule, dass Draco Malfoy gefangen wurde?“ Ron nickte und antwortete ihr: „Harry behält ihn derzeit als Spielzeug gegen die Langeweile. Hermine durfte für Malfoy wählen. Eigentlich wollte Harry ihn langsam verhungern lassen. Vielleicht hätte sie ihn sterben lassen sollen…“ Minerva hielt Ron noch immer im Arm. „Verhungern ist qualvoll. Vermutlich hätten Hermine oder Du ihn irgendwann erlösen müssen.“ Ron presste die Lippen zusammen und schluckte die Bitterkeit hinunter. Es stimmte, was Minerva sagte. Er hatte so etwas schon öfter getan. Es war jedes Mal entsetzlich, wenn ein Gefangener oder eine Sklavin sie um den Tod anflehten.
Die Schattenjäger verstauten das Gepäck im reservierten Abteil. Seitdem Hogwarts geschlossen war, arbeitete Professor McGonagall als Privatlehrerin für verschiedene Zaubererfamilien. Lord Potter hatte sie für einen Jungen engagiert, von dem sie bisher nichts wusste. Aus diesem Grund war sie hier. „Hältst Du das aus, Minerva? Es braucht im Moment Mut im Schloss zu sein. Er ist derzeit sehr schwierig und launisch.“
Minerva lachte freudlos auf: „Ich war lange Hauslehrerin von Gryffindor. Gryffindors haben immer ihren Mut bewiesen. Der mutigste Gryffindor, den ich je kannte, war Harry James Potter. Ich vermisse ihn sehr. Ihm habe ich geschworen stand zuhalten und diesen Schwur halte ich.“ Ron rang um sein Beherrschung: „Ich vermisse ihn auch. Jedes Mal wenn ich Lord Potter sehe, vermisse ich Harry.“ Alle anderen Passagiere waren längst eingestiegen. Der Schaffner kam auf das Paar zu. Er unterbrach den jungen Lord mitten im Satz: „Der Zug fährt gleich ab. Bitte steigen Sie ein, Mylord Weasley.“ Ehe jemand etwas sagen konnte, riss ihn der Anführer der Schattenjäger jäh zurück und schlug ihn ins Gesicht: „Die Lady und der Lord unterhalten sich noch. Der Zug kann warten.“ Ron hob leicht seine Hand: „Genug. Er hat es verstanden.“ Dann wandte er sich wieder seinem Gespräch zu: „Harry habe ich das letzte Mal vor zwei Wochen gesehen. Er hat Hedwig einen Eulenkeks gegeben und strich ihre Federn glatt.“ Er schluckte noch einmal. Dann stiegen er und sein Gefolge in den Zug und Professor McGonagall in die wartende Kutsche.