Im Jahr 2981
Wir sitzen uns schweigend gegenüber. Ana trinkt einen Kaffee. Sie ist verkatert und reibt sich die Stirn. Die Küche ist abgedunkelt.
Vor mir steht ein Glas mit Milch. Sie riecht säuerlich, deshalb trinke ich nicht. Wozu auch?
„Ich werde dich an ein Internat geben“, sagt Ana zu mir: „Alle Formalitäten sind erledigt, in wenigen Tagen wirst du abgeholt. Du wirst dort wohnen, auch in den Ferien.“
Ich schweige. Auf dem Tisch liegen meine Hände, neben dem Glas. Sie sind dunkelbraun. Ganz anders als Anas blasse Haut.
„Du wirst dort bleiben, bis du 18 bist. Wir werden uns nicht wiedersehen.“
Immer noch schweige ich. Ana schlägt mit einer plötzlichen Bewegung auf den Tisch, dass ich fast aufspringe.
„Hast du mich verstanden, Missgeburt?“
Ich nicke.
Sie steht auf, lehnt sich über den Tisch und fasst mein Ohr. Sie zieht. Ich schreie protestierend auf: „Du wirst mit deinen absonderlichen Spielchen aufhören, kapiert? Du wirst nicht darum betteln, nach Hause zu dürfen. Du wirst auch nicht abhauen, verstanden? Denn dann hetzte ich dir die Polizei auf den Hals, du Miststück.“
Ich verziehe das Gesicht vor Schmerz: „Au!“
„Halt die Klappe!“, fährt Ana mich an.
„Du wirst nie wieder zurückkehren, ist das klar? Du Monster.“
Sie lässt mich los. Ich falle auf den Sitz zurück.
„Ist das klar?“, wiederholt sie.
„Ja“, sage ich tonlos. Ich sehe auf. Ana erschrickt vor dem Ausdruck in meinen Augen.
Ich balle die Hände zu Fäusten: „Ja, ich habe es verstanden. Auf Wiedersehen … Mutter.“
Dann schlägt ein Blitz in unserer Küche ein. Direkt in Anas Kopf, durch ihren Körper und in ihre Füße. Sämtliche Lampen brennen durch, der Geruch nach verschmortem Draht steigt mir in die Nase.
Nie werde ihr ihr Gesicht vergessen. Die weit aufgerissenen Augen, die in ihren Höhlen kochen, die Haut, die Blasen wirft und sich schwarz verfärbt. Ihr Schrei.
Meine Haare stehen mir vom Kopf ab. Sie sind blond, fast weiß. Meine Augen sind so hell blau, dass sie grau erscheinen. Ich lasse den Sturm verklingen und stehe in einer Küche voller Dampf. Das verbrannte Fleisch von Ana riecht, als würde jemand grillen.
Ich gehe in mein Zimmer und packe seelenruhig meine Taschen. Ich warte auf meinem Bett, bis die Polizei die Wohnungstür aufbricht, gefolgt von der Feuerwehr, gerufen durch den Feueralarm. Dann weine ich, und zittere, als würde ich unter Schock stehen. Ich und meine Schultasche werden aus der Wohnung gebracht. Nachbarn streicheln mich, trösten mich, versprechen mir Unterstützung und spenden Trost.
Ich ignoriere sie alle. Mein Herz schlägt schnell. Ich habe Angst vor mir selbst. Gleichzeitig erfüllt mich das Gefühl der Macht, die ich erreichen kann. Ich kann über die ganze Welt herrschen!
Und was würde es mir bringen?
Ich lasse mich weit fort bringen. Ich erzähle der Polizei stockend, was angeblich geschehen ist. Ich kann es mir nicht erklären, die Polizisten auch nicht. Unfall, zu den Akten gelegt.
Ich komme in das Internat. Wie es geplant war. Die ersten Wochen liege ich nur im Bett, träume meine Alpträume und verweigere jede Nahrung.
Dann klopft Tobi und lädt mich zur Mutprobe ein. Das war der Beginn meiner Herrschaft über die Jungen im Internat. Doch nur die Mutigsten nehme ich auf. Die, die Befehlen gehorchen. Wir tun nie, was man uns sagt.
Warum auch? Die Welt endet sowieso bald. Wir müssen nicht an unsere Zukunft denken.
Wir werden die sechs neuen Reiter der Apokalypse.
Sven ist der Krieg. Kalle der Hunger. Der immer kränkliche Lars ist die Pestilenz. Torben ist die Angst. Tobi ist der Tod. Und ich?
Ich bin der Sturm.