Im Jahr 2983
„Geh da rein“, sage ich.
„Aber da ist es dunkel!“, sagt Kiara und sieht mich aus aufgerissenen Augen an.
Ich lächele beruhigend: „Sonst wär es keine Mutprobe.“
Die fünf Jungs, die hinter Kiara stehen, nicken gemeinschaftlich.
Tobi schubst Kiara leicht in den Rücken: „Geh schon!“
Kiara hat ein einfältiges Gesicht, dicke Pausbacken, braune, vertrauensvolle Augen. Sie geht an mir vorbei. Ihre Hände kneten den Stoff ihres weißen Kleides.
Langsam klettert sie die Stufen hinab in die Tiefe. Stufe für Stufe, wobei ihre sauberen Strümpfe ganz dreckig werden.
Ich halte die schwere Tür auf, bis sie gerade durch den Rahmen ist, dann lasse ich sie zufallen.
Wir hören Kiaras erschreckten Ausruf von der anderen Seite. Mein kleines Gefolge aus Tobi, Lars, Sven, Kalle und Torben lacht hämisch.
Dann drehe ich den Schlüssel für die Tür um und ziehe ihn heraus.
Die Jungen lachen noch lauter. Von der anderen Seite hämmert Kiara gegen die Tür: „Hey! Lasst mich hier raus! Lasst mich hier raus!“
„Du musst so lange da drin bleiben, wie wir sagen!“, rufe ich ihr durch die geschlossene Tür zurück.
„Ihr seid doof! Ich will nicht mehr in euren Club!“, kommt die Antwort.
Ich muss lachen: „Feigling! Feigling!“
Die anderen nehmen meinen Ruf auf. Ich höre, dass Kiara weint.
Nach etwa zehn Minuten schicke ich Sven, Kalle, Torben und Lars weg. Tobi, der treueste meines kleinen Clubs, soll an einer Ecke Wache stehen. Ich stelle mich breit grinsend vor die Kellertür.
Als ich eine Hand auf das Metall lege, spüre ich schon dahinter die Glühbirne der alten Lampe im Keller. Als ich sie flackern lasse, kreischt Kiara auf.
Sie hat schon versucht, das Licht anzustellen. Jetzt bereut sie ihren Wunsch, denn sie wird schimmele Decken, alte Schaufeln und Ratten sehen. Ihr Quieken ist Musik in meinen Ohren – vermutlich glauben die Ratten, Kiara möchte mit ihnen kommunizieren.
„Arved! Bitte, lass mich raus! Bitte!“, heult das Mädchen. Ich schnaube nur. Als ich vor zwei Jahren hier angekommen bin, musste ich die Mutprobe auch machen. Damals war ich nicht älter, als sie jetzt ist. Gut, vielleicht gab es kein flackerndes Licht, aber das hätte mich auch nicht erschreckt.
Ich lache dreckig, dann bücke ich mich und schiebe den alten Schlüssel unter der Tür durch.
„Hier ist der Schlüssel, Kiara!“, sage ich freundlich, dann stoße ich den Schlüssel an.
Ich höre, wie das kleine Metallding über die Stufen hüpft und dann landet – mit einem ekeligen Platschen, genau in dem Eimer, den ich dafür präpariert hatte. Er ist voller braunem Wasser mit Entengrütze. Ich höre, wie Kiara verzweifelt aufschluchzt.
„Ups“, sage ich. „Ist er irgendwo rein gefallen?“
„Du Mistkerl! Das petze ich!“, schreit sie.
Ich schlage gegen die Tür, so laut, dass sie sich erschreckt. Den Geräuschen nach zu urteilen, hat sie bereits nach dem Schlüssel gefischt, ist dann gestolpert und hat jetzt den Eimer über sich ausgekippt.
„Ihhh!“, ertönt es.
„Nenn mich nicht Mistkerl!“, brülle ich ihr entgegen. „Niemals!“
„Lass mich endlich raus!“, heult sie.
Ich spüre, dass ich zu wütend werde. Mit einer ruckartigen Bewegung drehe ich mich um: „Du hast den Schlüssel“, sage ich und gehe.
Knapp zehn Minuten später erst klettert Kiara verheult und voller Entengrütze aus dem Keller. Da sind wir sechs Jungen schon in unserem Baumhaus und warten mit Eimern voller Wasser auf die Erzieherinnen und die unweigerliche Strafe.
Aber kampflos geben wir nicht auf.