Im Jahr 2980
„Ich will aber!“, brüllte ich so laut, dass sich alle Menschen im Supermarkt zu uns umdrehten. Fordernd zeigte ich mit dem Finger auf das Regal mit den Süßigkeiten.
Ana riss meine Hand weg und beugte sich zu mir. „Hör auf zu quengeln!“, zischte sie mir ins Ohr.
Ich sah sie mit blitzenden Augen an: „Will Süßes!“
„Halt jetzt die Klappe!“, zischte Ana und wollte mich weiter ziehen, zu den Regalen mit Alkohol.
Plötzlich flackerten die Lichter. Mitten im Gebäude kam Wind auf. Ich öffnete den Mund, um auf der Stelle loszuheulen: „Wääääh!“
Blitze zuckten aus den elektrischen Lampen und schlugen in Regale ein. Menschen liefen schreiend durcheinander, klirrend zersprangen Gläser, der Geruch nach Verbranntem füllte die Luft.
Ana machte zwei Schritte nach vorne und schlug mir ins Gesicht: „Hör auf!“
Sie spukte mir die Worte ins Gesicht, doch so leise, dass kein Mensch sie hören konnte. Schlagartig hörten die Blitze auf, und ich hielt mir mit Tränen in den Augen die Wange.
Ana hob die Hand erneut, und bevor Ruhe einkehrte und die Menschen uns belauschen konnten, flüsterte sie: „Wenn das noch einmal passiert, bringe ich dich um, ich schwör's, du kleines Miststück!“
Ich schluchzte. Ana schlug mir erneut ins Gesicht. Dann wurde alles schwarz.
Als ich die Augen öffnete, lag ich auf den schwarz-weißen Fliesen, noch immer vor dem Regal. Rauch schwelte im Markt, das Regal mit den Schokoriegeln war schon längst durch die Blitze geschmolzen. Irgendwo erklang die Sirene der Feuerwehr.
Ana war nirgendwo zu sehen. Zwischen Regalen, die wie Berge aufragten, rappelte ich mich hoch. Trotzig griff ich in die flüssigen Schokoriegel und stopfte mir die Schokolade in den Mund. Braun verschmiert wankte ich los. Ich weinte nicht. Mein Blick war wütend. Ich war so sauer, dass ich nicht einmal nach meiner Mutter rief, sondern einfach durch die Reihen der Regale stolperte.
Ich fand sie bei den Weinen, umgeben von geöffneten Flaschen. Sie hatte das Durcheinander genutzt, ähnlich wie ich, um sich zu holen, was sie wollte. Und zwar in Mengen, die alles andere als vernünftig waren.
Ich trat vor sie, nur von Wut erfüllt.
„Ich hasse dich.“
Sie öffnete die Augen, als sie die Worte hörte. Und sah mich müde an.
„Du bist nicht mein Sohn“, sagte sie: „Ich habe dich aufgenommen, und zuerst habe ich dich auch geliebt. Doch du bist nicht mein Sohn. Ich habe dich nie in mir getragen.“
Das traf mich unvorbereitet. Ich hätte gerne geflucht, oder sie geschlagen. Doch ich taumelte zurück. Selbst, wenn sie wie jetzt auf dem Boden saß, an ein Regal gelehnt, völlig zerstört, war sie noch so viel größer als ich.
„Du bist ein Bastard. Du bist ein Monster. Ich liebe dich nicht“, lallte sie mir entgegen.
„Du bist ein Monster.“
Ich fiel, saß und sah. Sie redete immer noch. Ich höre ihr nicht zu.
„Mama!“, jammerte ich und streckte ein Hand aus. Alle Wut war verraucht. Jetzt hatte ich Angst und weinte.
Sie fixierte mich mit klarem Blick, als hätte sie mich vorher nicht wahrgenommen. Dann kreischte sie und sprang auf: „Verschwinde! Verschwinde einfach!“
Sie stieß mich mit einer Hand noch weiter weg.
Ich weinte. Hände umgriffen mich, umfassten auch meine Mutter. Die Feuerwehr war da.
Alle Menschen wurden aus dem Supermarkt gerettet. Ein Kurzschluss soll es gewesen sein. Die Sicherheitsmaßnahmen für die billigen Lampen wurden ein weiteres Mal besprochen.
Wir wurden alle nach draußen getragen, doch ich fühlte mich, als wäre ich gestorben. Nur mein Körper kam aus diesem Supermarkt heraus, und mein Geist war für immer verletzt.