Im Jahr 2985
Wir stehen in einer ordentlichen Reihe. Jeder von uns trägt die gleiche schwarze Kleidung: Dunkle Hose, schwere Stiefel, ein dunkles Oberteil und darüber einen billigen Ledermantel.
Zum ersten Mal in unserer Karriere bekommen wir echte Gewehre in die Hände gedrückt. Ich kaue auf meiner Lippe, während ich die Zielscheibe in 50 Meter Entfernung betrachte. Ehrfürchtig halten wir die Waffen in den Händen.
„Anlegen!“, befielt Garrik, der Anführer. Wie ein Mann legen wir sechs die Waffen an die Schulter, wie man es uns beigebracht hat. Doch diesmal ist die Waffe geladen.
Meine Hände sind schwitzig vom Schweiß. Dank der Ohrenschützer höre ich mein Blut in meinen Ohren rauschen. Garriks Befehle sind dafür undeutlich und kommen wie aus weiter Ferne.
„Zielen!“
Wir legen die Köpfe schief und suchen durch das Fadenkreuz nach der schwarzen Mitte der Zielscheiben. Ich halte den Atem an und kneife das Auge, mit dem ich nicht ziele, fest zu. Trotzdem zittert der schwere Lauf, und die Zielscheibe schwankt im Fadenkreuz wie betrunken. Als einziger der Gruppe ziele ich mit dem linken Auge und halte dadurch auch das Gewehr mit dem schwächeren Arm.
Ich atme noch einmal durch und lasse dann jede Angst abfallen. Ich fixiere mich ganz auf diesen schwarzen Punkt. Für mich gibt es nicht anderes mehr, sogar meine treuen Reiter der Apokalypse sind vergessen. Nur noch das Fadenkreuz und das Ziel.
„Feuer!“
Die sechs Läufe krachen fast gleichzeitig. Vögel fliegen krächzend auf. Unsere Zielscheiben schwanken unter der Wucht des Einschlags. Es waren menschliche Zielscheiben. Garrik holt sein Fernglas heraus und begutachtet den Schaden.
„Ihr habt genau das Herz getroffen. Sven, bei dir ist es knapp“, vermeldet unser Anführer.
Wir lassen die Gewehre sinken und atmen erleichtert durch.
„Anfängerglück!“, schimpft Garrik: „Anlegen!“
Am Abend schmerzen uns die Arme und wir fallen ohne große Worte in unsere Schlafsäcke. Seit fast einem Jahr bildet Garrik uns jetzt auf.
Es fing damit an, dass wir laufen mussten, während Garrik und die anderen Kopfgeldjäger auf Pferden geritten sind. Dann kam Krafttraining. Schließlich lernten wir, mit Händen und Füßen, dann mit Messern zu kämpfen. Jeder von uns kann im Dunkeln eine Armbrust spannen und auf 100 Fuß treffen. Wir haben unzählige Tiere geschossen, und jetzt lernen wir endlich, wie man Menschen schießt.
Gestern Abend kam Tobi zu mir. Wir waren müde, doch ich ließ ihn trotzdem in mein Zelt.
„Schon seltsam. Wir müssen Menschen erschießen, ohne mit der Wimper zu zucken“, erklärte der schüchterne Tobi.
Ich konnte nur mit den Schultern zucken: „Wo ist der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Wildschwein? Menschen zu töten wird bald unser Job sein.“
Tobi schwieg eine ganze Weile, dann sagte er leise: „Wie kannst du so denken? Willst du denn ein eiskalter Mörder sein?“
„Ich kann es mir nicht leisten, Mitleid zu zeigen.“
Da stand Tobi auf und sagte heftig: „Wenn du kein Mitleid zeigst, bist du kein Mensch.“
Er wandte sich zum Gehen und ich rief ihn nicht zurück. Ich wüsste nicht, wieso. Doch in der Tür blieb Tobi stehen. Er wusste nicht, was ich wusste. Er hatte noch Hoffnung und wollte etwas tun, was ihm in Zukunft helfen könnte.
Welche Zukunft, frage ich nur.
„Arved. Du weißt, dass ich dir vertraue. Aber du kannst nicht erwarten, dass ich immer deine Meinung teile. Es ist etwas anderes, ob du einen Menschen oder ein Tier tötest. Und ich werde niemals davon ausgehen, dass es gleich wäre.“
Damit ging Tobi.