»Essen ist fertig!«. Ich schaue meinen Bruder an und wir stürmen in die Küche.
»Da seid ihr ja endlich«, lacht unser Vater. »Wenn es Essen gibt, seid ihr sofort da. Wenn es Arbeit gibt, seid ihr genauso schnell weg«.
»Was gibt es denn heute?«, fragt Max ihn.
Unser Vater lacht nur und deutet auf den Topf. »Das gleiche wie immer. Hier ein paar Pilze und ein wenig Fleisch«
Ich sehe ihn an. »Aber Fleisch gibt es doch gar nicht jeden Tag«
Doch er antwortet nicht, sondern verteilt nur das Essen auf dem Tisch.
»Isch...och...egal«, meint Max, der schon mit dem Essen begonnen hat. »Hauptsache es schmeckt!«
Ich lasse mich auf den Stuhl fallen und beginne auch mit dem Essen.
Mein Vater sieht Max fragend an. »Warum fragst du erst, wenn es dir doch völlig egal ist?«
Max schüttelt nur mit den Schultern und fängt an zu grinsen. Typisch Max.
»Ist das Ratte?«, unterbreche ist das Gespräch.
Ich deute auf das Stück Fleisch auf meinen Teller.
»Also für Made ist es zu groß«, erwidert mein Vater.
»Außer es war eine große Made«, wirft Max dazwischen. »Eine Monstermade«
Ich versuche Max streng anschauen, doch er zieht eine Grimasse und bringt mich zum lachen.
»Lass ihn doch mal. Solange eure Mutter nicht da ist. Da kann er doch ein bisschen Spaß haben«, verteidigt mein Vater ihn. »Und ja, es ist Ratte. Warum fragst du? Sie ist in die Falle gelaufen. Hatten wir schon lange nicht mehr«
»Nur so. Hätte ja auch eine Monstermade sein können«
Max fängt an zu prusten und sein Essen vor lachen auf den Tisch zu prusten.
»Ich sehe, ihr habt Spaß. Max, du machst das gleich noch sauber. Ich muss wieder zur Arbeit. Eure Mutter ein wenig unterstützen. Wir kommen wohl erst spät zurück. Geht nicht zu spät ins Bett. Bis morgen früh«.
Er geht zur Tür.
»Gute Nacht«, kommt es von Max, der sich mittlerweile schon beruhigt hat.
Unser Vater dreht sich um und meint: »Gute Nacht. Und das machst du weg!«
Ohne auf eine Antwort zu warten, geht er durch die Tür und verschwindet in der dunklen Nacht.
»Und nun ist er verschwunden. In der dunklen Nacht. Obwohl ist dunkle Nacht richtig? Schließlich ist es hier niemals wirklich dunkel? Die Wände senden Licht aus. Aber es ist auch nie wirklich hell. Oben soll es hell sein. Doch das Licht dort soll gefährlich sein. Wer will da schon freiwillig hin? Schließlich gibt es genug Geschichten darüber. Und es sind eh nur Märchen«
Ich merkte, erst dass ich es laut ausgesprochen habe, als Max mich fragend anblickte.
»Was erzählst du da?«
»Nichts«, ich stand auf und wollte gehen. »Nur Gedanken«
»Dann bleib hier und denk weiter. Aber rede lauter und deutlicher. Dein Gemurmel ist ja nicht zu verstehen«
Ich schüttelte den Kopf. Manchmal ist er echt verrückt. Ich drehe mich um, in dem Gedanken sein grinsen zu sehen. Ich kann sein lachen schon hören.
Doch er schaut mir nur an, als wäre es sein Ernst. »Dein Ernst? Oder willst du mich nur verarschen. Beim letzten Mal war dein Pokerface noch nicht so gut«
»Was?«, er schaut mich ernst an. »Ich würde dich doch nicht verarschen. Es interessiert mich einfach. Ehrlich. Warum glaubst du mir nicht?«. Er schaut mich unschuldigen Blick an. So unschuldig wie ein kleines Baby. Nicht das ich bisher viele Babys gesehen hätte.
»Aber es ist schon spät. Wir sollten bald schlafen gehen. Und du wolltest das noch wieder sauber machen«, ich deute auf den Tisch.
»Ich mache das noch« - »Die Frage ist nur wann«
»Du hast ja recht. Aber trotzdem. Noch ein bisschen weiter nachdenken?«. Schon wieder dieser Blick.
»Aber nur kurz. Und du machst das in der Zeit weg«
Er springt auf und fängt an den Tisch sauber zu machen.
Manchmal ist er wie ein kleines Kind. Aber man kann ihm niemals böse sein.
Immerhin macht er jetzt den Dreck wieder weg.
»Meintest du das eigentlich ernst mit der Monstermade?«, frage ich ihn, als ich mir erinnere wie es dazu gekommen ist.
»Irgendwer muss doch diese ganzen Tunnel hier gegraben haben. Wer wenn nicht die Monstermade. Sie hat sich hier unten durch gefressen. Wie durch einen Kadaver« - »Weißt du überhaupt was ein Kadaver ist?«. Woher weiß er was ein Kadaver ist?
»Warum sollte nicht wissen, was ein Kadaver ist?«. Er bringt den Lappen weg und setzt sich wieder hin. »Jedenfalls hat sich diese Monstermade durch die Erde gefressen, wie durch einen Kadaver. So sind diese ganzen Tunnel entstanden. Hast du dich nie gefragt, woher diese ganzen Tunnel kommen? Die können doch nicht alle gegraben worden sein. In manchen Tunneln war noch nie ein einziger Mensch«
Manchmal überrascht er mich wirklich mit seiner Fantasie.
»Wie ist diese Monstermade denn entstanden?«
Verwirrt blickt er mich an. »Woher soll ich das wissen?«
»Ich dachte nur. Vielleicht weißt du es ja«
Er schüttelt den Kopf. »Ich kann es ja gar nicht wissen. Ich habe da schließlich noch nicht gelebt«
»Aber den Rest kennst du ja auch«
»Aber das ist was anderes. Das weiß ich einfach«
»Ich verstehe«
Er schüttelt den Kopf. »Nein. Du tust nur so, als würdest du mich verstehen. Du kannst es gar nicht verstehen. Wie willst du es verstehen?«
»Keine Ahnung«. Ich zucke mit den Schultern.
»Siehst du«
»Nun müssen wir aber wirklich ins Bett«
Ich ignoriere seinen Blick und stehe auf. Doch er widerspricht mir nicht, sondern folgt mir. Ohne Protest. Manchmal verstehe ich ihn wirklich nicht.
»Bist du schon wach?«
»Was?«. Verschlafen öffne ich meine Augen. »Jetzt schon. Was ist los?«
»Nichts«. Er klingt erstaunlich wach. Im Gegensatz zu mir. »Wollte nur wissen, ob du wach bist. Und du bist ja schon wach. Dachte ich es mir doch«
»Weil du mich wach gemacht hast!«. Selbst um ihn böse anzuschauen, bin ich noch zu Müde.
»Gibt es wenigstens Frühstück?«
Ich setzte mich im Bett auf. Er steht in der Tür, hat sich schon umgezogen. Wie lange habe ich nur geschlafen. »Warum haben Mama und Papa uns nicht wach gemacht?«
»So viele Fragen am frühen morgen. Fragen sind immer gut. Ich liebe Fragen«
Ich versuche aufzustehen, aber es klappt erst im zweiten Anlauf. »Max, ich bin noch zu Müde dafür«
Er nickt. »Ich sehe es. Also Frühstück gibt es noch nicht. Mama und Papa sind nicht da. Und ich bin ja schon wach. Sie hätten dich wecken sollen. Aber das habe ich ja schon getan«
»Was?«. Fragend sehe ich ihn an.
»Hätte ich dich schlafen lassen so...« - »Das meine ich nicht!. Ich meine warum sie nicht da sind«
»Ach das meinst du. Sind nicht da«
Ich dränge mich an ihm vorbei durch die Tür. »Ich meine vielleicht weißt du ja wo sie sind«
»Woher soll ich das wissen?«, tönt es von hinten.
»Ja, woher sollst du es wissen. Ich hätte gar nicht fragen müssen. Warum frage ich auch? Du kannst es ja gar nicht wissen«
»Aber ich mag Fragen«
Ich ignoriere seine Bemerkung und schnappe mir etwas zu essen. Zum Glück ist noch was von gestern da. Nicht mehr so gut wie gestern, aber besser als nichts.
Auch Max ist still und schnappt sich was zu essen.
Schweigend sitzen wir am Tisch und essen.
Die Stille ist unangenehm, aber auszuhalten.
»Aber es doch wirklich merkwürdig, dass sie nicht da sind oder?«, unterbreche ich schließlich die Stille.
»Du hast recht. Es ist merkwürdig. Doch wir machen uns nur unnötig verrückt. Aber wir machen uns verrückt, weil wir die Antwort auf die Frage nicht kennen. Obwohl es nicht logisch ist, dass wir uns jetzt verrückt machen. Doch Emotionen sind wirklich merkwürdig. Sie machen einen völlig verrückt. Und erst dadurch entstehen die meisten Probleme. Weil man sich selbst verrückt macht«
Er macht sich nicht verrückt, er ist verrückt. Zumindest manchmal. Zum Glück habe ich das jetzt nicht laut gesagt. »Wow«, ich nicke ihm bewundernd zu. »Du hast es geschafft in den Sätzen so oft das Wort verrückt einzubauen. Respekt«
»Ich kann es halt«. Er versucht einen arroganten Blick. Doch es gelingt ihm nicht und ich muss lachen. Auch Max fängt an zu lachen.
Nach einiger Zeit beruhigen wir uns wieder.
»Sie sind noch immer weg«, stellte Max fest.
Ich stehe auf. »Macht dich nicht verrückt«
Er sieht mich an. »Als ob ich mich verrückt mache. Aber wir sollten langsam los«
»Stimmt. Wir müssen wirklich los. Aber zuerst gehen wir bei ihrer Arbeit vorbei. Das liegt fast auf dem Weg«
Ich beginne den Tisch abzuräumen.
»Du läufst hier die ganze Zeit hin und her. Du meinst, dass es auf dem Weg sei, doch es ist ein großer Umweg. Du redest die ganze Zeit von ihnen. Und dann sagst du, dass ich mich nicht verrückt machen soll? Wenn du zuerst dahin willst, solltest du auch losgehen und nicht erst noch hier alles aufräumen. Das ist doch jetzt sinnlos«
Dazu kann ich nichts sagen, deshalb lasse ich einfach alles liegen und gehe hinaus. Er wird mir schon folgen. Manchmal überrascht er mich wirklich. Er benimmt sich oft wie ein kleines Kind und erzählt irgendwas über Monstermaden. Nur er kommt überhaupt auf solche Ideen.
Und tatsächlich sehen die Tunnel durch die wir laufen aus, als hätte sich dort ein Tier durchgefressen. Eine Monstermade halt. Aber es muss eine verdammt große Made gewesen sein.
»Was macht ihr denn hier?«, reißt mich eine bekannte Stimme aus den Gedanken.
Ich habe gar nicht gemerkt, dass wir schon bei den Gewächshäusern sind.
»Also...ähm. Wir wollen nur wissen wo unsere Eltern sind«, antworte ich, bevor Max irgendwas sagen kann. Sie ist dünn. Ziemlich dünn. Und um ehrlich zu sein: Sie sieht krank aus. Erschöpft. Ausgelaugt. Noch viel mehr als alle anderen.
»Ich habe sie heute noch nicht gesehen. Aber eure Mutter, der ging es gestern Abend nicht so gut. Wahrscheinlich harmlos. Aber schaut doch trotzdem auf der Krankenstation vorbei«
»Das solltest du auch«, murmelte Max so leise, dass ich es gerade so verstehen konnte.
Sie schaut ihn an, fragend, sagt aber nichts.
»Nichts. Waren nur Gedanken«. Unauffällig schaut er mich an.
Ich versuche das Gespräch zu beenden, um nicht in Lachen auszubrechen: »Vielen Dank«
»Ich muss jetzt auch weiterarbeiten«. Und schon war sie weg.
Wir schauen uns an und prusten los. »Gedanken«, war das einzige, was ich hervorbringen konnte.
Doch viel zu schnell sind wir wieder ernst. »Auf zur Krankenstation«.
Still machen wir uns auf dem Weg. Ihr ging es nicht gut. Was hat sie? Hat sie das gleiche wie die Kollegin? Max hatte Recht. Ich mache mich nur unnötig verrückt. Doch ich kann es nicht ändern.