7. Dezember
Es ist wie eine Explosion. Wie ein lauter Befreiungsschlag. Ich habe den ganzen Raum im Griff. Das Feuerzeug ist diesmal mein Leiter, eine Verlängerung meiner Hand. Die Energie der Menschen im Raum reicht problemlos, um die Holzwände zu entzünden. Die Kinder kreischen und die Frauen schreien. Ich spüre, wie die Macht mich durchfährt. Das ist besser als jeder Orgasmus. Ich lache lauthals. Mir ist warm. Aus Versehen sage ich diesen Satz laut. Ich habe mich nicht mehr unter Kontrolle.
„Mir ist warm!“, schreie ich wieder. Der Raum ist sehr viel heller geworden. Das Feuer schließt uns ein. Schon husten die Kinder im Rauch. Ich spüre ihn kaum. Ich atme den Rauch aus.
Das Feuer ist pure Energie. Es leckt über meine Arme wie eine hitzige Geliebte. Sie verbrennt mich nicht, denn ich gefalle ihr. Sie berührt mich, liebkost meine Haut, mein Gesicht und meine Seele.
Die Kerze auf dem Kuchen brennt ebenfalls, mein Hohn an diese Leute. Ich greife sie mir. Unter meiner Berührung wird das Wachs glitschig. Ich habe einen ganzen Raum in Flammen getaucht. Ein Meer, in dem alle außer mir verbrennen.
Ich führe die Kerze vor meine Lippen. Wachs tropft auf meine Finger. Die Schreie sind mein Geburtstagslied.
Ich werde die Kerze nicht auspusten, um mir etwas zu wünschen. Ich küsse die helle Flamme, nehme sie in mich auf. Ich atme die Hitze, gasförmiges Wachs und Rauch. Das Feuer erwidert den Kuss. Meine Geliebte hört den Wunsch, den ich nicht ausspreche.
Und sie erfüllt ihn mir. Feuer hüllt mich ein, ohne mich zu verzehren. Sie sterben, alle. Jakob, Michael, Patrick. Die Kleinen, die Bande der Zehnjährigen, die „großen Jungs“, die Erzieherinnen.
Frau Jäger kreischt wie am Spieß. Das verbrennende Fleisch riecht nach Braten.
Doch etwas verändert sich. Plötzlich reißt der Strom der Macht ab und ich stolpere nach vorne. Plötzlich zieht der ganze Raum an meiner Kraft, meiner eigenen. Ich strenge mein Bewusstsein an, die Kerze fällt auf den Boden. Doch ich kann die Kinder nicht erreichen. Sofort ziehe ich auch die ausströmende Macht zurück. Die Wände brennen trotzdem. Einmal gestartet ist der Brand nicht mehr aufzuhalten.
Ich halte das Feuer von mir fern, aber das kostet mich Kraft. Die Flammen habe ich selbst erschaffen. Ich kann ihre Energie nicht nutzen. An meinen Höhenflug schließt sich ein bitterer, dunkler Fall an, als ich verstehe, was passiert. Als das Feuer erlischt und sich von den brennenden Kindern zurück zieht. Als sie plötzlich nicht mehr brennen und schreien.
Ein anderer Magier. Jemand, der meine Gabe teilt. Ich sehe mich um, suche nach einem Gesicht, nach brennenden Augen.
Wie unvorsichtig ich doch war! Jetzt, verspätet, fällt es mir auf. Eine Person im Raum hatte ich nicht angezapft. Irgendjemand hat sich vor meiner Macht verborgen, wie ich mich vor dem Sternenlicht verborgen habe.
[style type="italic"]„Lass die Kinder ziehen“[/style], zischt das Feuer mit fremder Stimme. Die Stimme ist verzerrt. Der andere Magier spricht mit mir. Doch wer ist es? Jeder liegt auf dem Boden, das Gesicht abgewendet. Mein Widersacher verstellt sich. Ich wandere durch den Raum, trittsicher und doch taumelnd. Ich merke, wie ich schwächer werde. Wer blockiert mich? Wer fordert mich heraus?
„Ich gebe nicht auf!“, knurre ich. Ich suche nach dem Ursprung der Stimme. Niemand darf sich meiner Macht entgegen stellen!
Ich greife nach meiner Macht, sammele meine Kräfte, als sich das Feuer zurück zieht und ich für meinen Schutz nicht mehr so viel Energie brauche. Inzwischen haben sich manche Flammenzungen an dem von mir erschaffenen Feuer entzündet, obwohl das Feuer insgesamt auf dem Rückzug ist. Ich habe kleine Energiequellen, denn die neuen Flammen sind natürlich entstanden.
„Lass sie frei, sie haben dir nichts getan! Tu das nicht, denn sonst bleibt mir keine Chance, dich zu retten“, beschwört mich das Feuer.
„Sie haben mich frieren lassen!“, brülle ich laut. „Ich wäre erfroren! Und sie sind schuld. Sie alle werden brennen! Und jetzt zeig dich!“
Ich bin in Rage. Neues Feuer springt aus meiner Brust, mit der Kraft meiner Wut. Es fegt durch den Raum, über die Liegenden hinweg.
Und ich spüre den Widerstand. Dort, bei Patrick, ist er am höchsten. Ich zögere nicht, springe auf Patrick zu, will ihn mir schnappen: „Jetzt stirbst du!“, heule ich.
Da trifft mich etwas von der Seite. Ich habe es nicht kommen sehen, nicht gespürt. Jemand springt mich aus dem Rauch an. Licht explodiert in meinem Kopf. Eine Druckwelle reißt meinen Geist mit sich, weit, weit weg. Ich verliere das Gefühl für meinen Körper und spüre, wie mir auch das Bewusstsein entgleitet.
Eine Falle. Patrick war nur eine Ablenkung. Den Trick muss ich auch lernen. Das fährt mir durch den Kopf, dann wird alles schwarz.
„Es tut mir so leid“, erklingt die Stimme des fremden Magiers. „Doch das ist die einzige Chance. Verstehst du denn nicht, wie falsch deine Magie ist?“
Als ich die Augen öffne, bin ich gefangen. Dieser Ort ist schwarz und dunkel. Es gibt kein Licht.
Das hier ist nicht die Realität. Denn als ich Feuer entzünde, verbraucht es meine Kraft nicht. Doch das Licht erhellt die Nacht nicht. So weit ich sehe, existiert nur Schwärze.
„Wie du willst“, knurre ich, falls der unbekannte Magier mich hört. „Wo auch immer du mich eingesperrt hast: Ich finde den Ausweg!“
Und damit zünde ich den schwarzen Boden an, auf dem ich stehe. Es schmerzt mich, ein winziges bisschen. Aber das Feuer findet Nahrung. Und es wächst, langsam und stetig.
Ich gebe nicht auf, niemals. Ich bin das Feuer.