3. Februar (am gleichen Tag)
Ich hetzte durch den Park und unter Büschen hindurch, meine Kleidung fest im Arm. Es ist Abend. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. In einer Stadt, denn überall sind Lärm und Menschenmassen. Ich renne aus dem Park, über eine vielbefahrene Straße und immer weiter.
Werde ich verfolgt? Oder nicht? Ich kann es nicht sagen. Ich laufe und laufe, bis ich außer Atem bin. Mein Körper ist kräftig, aber ich bin verwirrt. Wie lange war ich bewusstlos? Was ist in der Zwischenzeit passiert? Und haben die Kinder aus dem Waisenhaus überlebt?
Endlich finde ich einen tiefen Schatten unter einer Brücke, am Ufer eines Flusses. Es ist kalt, aber es liegt kein Schnee mehr. Ich ziehe meine Hose unter dem Kittel aus dem Krankenhaus an und dann meine Jacke darüber. Mir ist immer noch kalt. Barfuß laufe ich weiter. Ich habe kein Hemd, doch das Papierkleid aus dem Krankenhaus will ich auch los werden. Ich halte mich in den Schatten. Das Sternenlicht kann ich von mir fort lenken, doch die Straßenlaternen lassen sich nicht belügen. Schon jetzt spüre ich, wie die Magie an meinen Kräften zerrt. Ich bin wieder in der realen Welt.
Es wird Nacht. Ich komme an einem Bekleidungsgeschäft vorbei und sehe ein rotes Hemd im Schaufenster, dass mir passen könnte. Ich schlage das Glas ein, verbrenne meine Wunden mit meinem Feuer, bis sie nicht mehr bluten, und nehme das Hemd. Ich gehe weiter, bevor die Polizei mich findet. Ich bin erschöpft. In einer Seitengasse ziehe ich das Hemd über und lasse den Kittel in einer Mülltonne zurück. Ich stolpere weiter. Mir ist kalt. Die Hände tief in den Taschen meiner Jacke vergraben, denke ich nach.
Draco hat mir etwas gezeigt, bevor er mich zurück schickte. Die Nacht meines 18. Geburtstages, in aller Klarheit. Ich sehe, wie ich den Raum in Flammen tauche, als hätte ich nur zugesehen.
Es ist Dracos Erinnerung. Vielleicht hat er mir zugesehen. Ich höre die Schreie wieder. Ich empfinde kein Mitleid. Nur Leere.
Und dann sehe ich, wie ich mich auf Patrick stürze, in dem Glauben, er sei der Magier.
Jemand rennt von der Seite in mich hinein. Das Aufeinanderprallen der Macht erschafft eine Explosion, die den Raum versengt. Leben um Leben erlöscht in einem Feuerball. Ich spüre einen Nachhall des Schmerzes, mit dem ich verbannt wurde. Kaum jemand überlebt den Schlag.
Eine Person richtet sich unbeschadet in dem Rauch auf und sieht auf meinen reglosen Körper. Alle anderen wälzen sich im Rauch oder hauchen ihr Leben aus. Diese Person steht.
Eine junge Frau, schön wie ein Sommermorgen. Mit blonden Haaren, blauen Augen, vollen Lippen, einer schlanken Gestalt, die darüber hinweg täuscht, wie viel Macht sie hat.
Fenia. Sie war die Magierin. Sie hat mich geschlagen und besiegt.
Sie sieht meinen Körper an, dreht mich auf den Rücken. Ihr Blick ist nachdenklich. Sie hilft den Überlebenden im Raum, verbindet Wunden und verteilt Salben. Sie ruft Polizei und Krankenwagen und letztendlich trägt sie meinen bewusstlosen Körper nach draußen in den Schnee, der vom Blaulicht beleuchtet wird.
Sie weint, stumm und wunderschön. Die Tränen glitzern auf ihren Wangen wie Diamanten.
Ich hasse sie. Sie hat mich aufgehalten. Wie konnte sie es wagen?
Sie wird dafür bezahlen müssen. Ich brauche einen Plan, doch ich bin jetzt zu müde. Ich wandere durch die Gassen, auf Wegen, die selbst die Obdachlosen meiden würden. Unter einem vereisten Strauch rolle ich mich zusammen, zu müde, um zu denken. Den Mantel lege ich um mich.
Ich falle in tiefe Schwärze und träume von dem Feuer. Ich bin ein Lehrling seiner Macht. Es bringt mir Vieles bei. Wie ich die Macht des Feuers nutze. Wie ich mich für Gerechtigkeit oder für Stärke entscheide. Das Feuer singt mir von Siegen und von Gleichgewicht, von Befriedigung und Frieden, von Böse und Gut.
Es erzählt mir, wie ich meine Rache erhalte. Und wie ich vergeben könnte.
Ich habe mich bereits entschieden, sage ich dem Feuer. Ich will kein Gleichgewicht, keinen Frieden. Ich will meine Gerechtigkeit.