16. Februar
„Du willst mir helfen? Kannst du es?“, ich lasse meine Stimme bittend klingen. Der alte Hundeblick ist wie meine Maske. Ich strecke wie flehend eine Hand aus: „Kannst mich retten?“
Fenia schweigt. Ich sehe ihre Unschlüssigkeit. Langsam mache ich einen Schritt vorwärts.
„Bleib wo du bist!“, sagt Fenia nervös: „Ich glaube dir nicht, dass es dir leid tut.“
Ich atme tief durch. Wie sehr ich mich dafür hasse!
„Ich – ich konnte nicht anders“, gestehe ich. „Alles war so leicht. Bitte, Fenia. Ich – ich habe Angst vor mir selbst! Es war, als hätte ich mich nicht unter Kontrolle …“
Ich lasse mich auf die Knie sinken. Jetzt muss sie doch sehen, dass ich es ernst meine!
Fenia macht einen zögerlichen Schritt auf mich zu.
Ich senke den Blick, lasse meine Schultern beben, als würde ich ein Schluchzen unterdrücken.
„Ich höre ihre Schreie noch, Fenia!“, hauche ich. Sie muss näher kommen, um mich zu verstehen. „Ich höre sie schreien … sterben. Ich habe alles mitbekommen, jeden Menschen!“
Meine Augen sind vor Grauen weit aufgerissen. „Die Schreie schweigen nicht!“
Fenia sieht so traurig aus: „Es tut mir leid, Aiden. Ich hätte früher bei dir sein müssen. Dann wäre all das nicht passiert. Vielleicht hätte ich schon vor achtzehn Jahren bei dir sein müssen. Bei dir bleiben.“
Etwas an ihren Worten ist seltsam. Sie hätte bei mir bleiben müssen? Meint sie den Ausflug? Irgendwie spüre ich, dass es mehr ist. Fenia sieht mir in die Augen: „Ich war noch so jung, und du auch“, sagt sie leise: „Aber ich hätte etwas tun müssen. Du hättest ein anderes Leben gehabt. Du wärst ein ganz anderer Mensch geworden.“
Jetzt kribbelt mein Rücken. Wovon redet Fenia? Kennt sie mich? Woher?
Und viel wichtiger: Warum weiß sie so viel über mich?
„Es tut mir so leid, Aiden. Ich habe dich verraten.“
Aber ich spüre etwas. Lebewesen. Andere Menschen sind in dem Wald, sie nähern sich. Sie laufen.
Ich darf mich nicht umdrehen, aber ein Schauer läuft über meinen Rücken. Wenigstens zwei Leute kommen zu uns. War alles nur eine Falle von Fenia? Besser, ich tue, als würde ich es nicht merken.
„Aiden“, sagt Fenia mit todtrauriger Stimme: „Es ist okay. Alles ist okay. Du kannst es wieder gut machen.“
Sie kommt noch näher. Schritte hallen im Unterholz. Jetzt drehe ich mich doch um und auch Fenia sieht zum Rand der Lichtung.
Zwei Kinder kommen auf den Platz gestürmt. Sie atmen schnell vom Laufen. Ich erkenne ihre Gesichter, obwohl sie verbrannt sind.
Patrick und Michael. Sie haben den Brand im Waisenhaus also doch überlebt. Sie brauchen ein paar Sekunden, um mich zu erkennen. Dann schreit Michael: „Fenia! Geh weg von ihm!“
„Es ist gut, Michael“, sagt Fenia und kommt noch einen Schritt näher zu mir. Noch einen Schritt, und ich habe sie.
„Es ist gut. Er wird euch nichts tun.“
Michael und Patrick zögern und sehen mich an. In ihren Augen steht Hass. „Er ist ein Mörder“, sagt Patrick und zeigt mit dem Finger auf mich. Ich bleibe auf den Knien. Muss er Fenia ausgerechnet jetzt daran erinnern, wo ich sie beinahe in meinen Händen halte?
„Er war vielleicht ein Mörder“, sagt Fenia sanft und ich spüre, ohne sie anzusehen, wie sie mich betrachtet. „Aber das ist vorbei. Er bekommt eine neue Chance. Auch von euch beiden!“, den letzten Satz sagt sie streng zu den beiden Jungen.
Patrick und Michael verschränken die Arme. Ich sehe Fenia an: „Eine neue Chance?“, frage ich ungläubig.
Fenia nickt und tritt näher zu mir. Ihre Hand fällt auf meine Schulter und sie reicht mir die Hand, um mich hochzuziehen: „Du bekommst ein neues Leben, Aiden. Würde dir das gefallen?“
Ich ergreife ihre Hand und grinse bösartig: „Natürlich.“
Ich greife nach Michaels und Patricks Lebenskräften. Ihre Energie verschwindet wie eine eine durchbrennende Glühbirne in einem leisen Knall. Wie Marionetten, deren Fäden man durchgeschnitten hat, fallen die Jungen auf den Boden.
„Nein!“, schreit Fenia entsetzt. Sie ist abgelenkt und ich dringe in ihren Geist ein. Ich stehe auf, greife nach ihrem Gesicht, um ihre Energie zu absorbieren.
Fenia stößt mich von sich. Ihre Fackel fliegt in den Wald und sie reißt sich von mir los. Das weiße Kleid weht um ihre Füße, als sie in den Wald flieht. Ich folge ihr. Die Fackel findet auf dem trockenen Boden Nahrung.
Feuer steigt in den Himmel auf.