Es wird schon nichts schlimmes sein. Was soll schon sein? Es sind nur meine Gedanken die mich verrückt machen. Sie sind schon merkwürdig. Ich weiß, dass sie mich verrückt machen, doch ich kann nichts dagegen tun. Ich kann die Gedanken nicht einfach abstellen.
Auch wenn ich es mir manchmal wünsche.
Wir eilen durch die Tunnel. Ich versuche mir das Bild der Monstermade vorzustellen. Wie sich die Made durch die Erde frisst. Das Bild wird kleiner. Es ist nicht die Erde, durch die sich die Made frisst. Es sieht so merkwürdig aus. Erst jetzt erkenne ich es. Es ist unsere Mutter. Die Made frisst sich durch ihren Körper.
»Nein! Das geht so nicht! Die Tunnel. Nicht sie. Das darfst du nicht tun! Das geht nicht«
Jetzt boxt sie mich in die Seite. Wieso hat sie Arme?
»Max! Max!«
Verwirrt schaue ich sie an. Wird ja immer merkwürdiger. »Das ist verrückt. Eben war die Monstermade da und dann...hat sie sich verwandelt. Erst Arme, dann die Stimme und schließlich der Rest. Und dann bist du entstanden«
Anna schüttelt nur den Kopf. Ich sage doch, dass du dich nicht verrückt machen sollst«
Ich bleibe stehen. »Ich habe es doch gesehen! Es existiert. Nur halt woanders. Nicht in deiner Welt. Aber in meiner Welt«
Langsam rutsche ich an der Wand herunter, bis ich sitze. »Ich weiß, dass ich mich verrückt mache. Ich weiß auch, dass es nichts schlimmes ist ». Ganz leise füge ich hinzu: »Aber was wenn es doch was schlimmes ist. Ich habe es gesehen«
Doch von Anna kommt keine Antwort. Ich spüre ihre Haut, an meinem Hals. Ich halte sie fest.
Tropfen fließen über meine Wange – doch es sind nicht meine Tränen.
Eng umschlungen verharren wir. Ohne etwas zu sagen. Einfach nur sie spüren und warten. Worauf? Das wissen wir selbst nicht.
»Aber vielleicht...Vielleicht sollten wir doch mal nachsehen. Dann wissen wir, dass es nichts schlimmes ist«, schlägt Anna schließlich vor. Sie versucht optimistisch erscheinen, doch ich spüre die Unsicherheit in ihrer Stimme.
»Warum machen wir uns hier eigentlich so fertig? Wegen nichts?«, frage ich nach, bedeute ihr aber nicht auf diese Frage zu antworten. Nicht jede Frage sollte eine Antwort haben.
Anna deutet nach vorne und meint: »Wir sind fast da. Nicht mehr lange. Hinter der nächsten Kurve«
Ich nicke.
»Wir suchen unsere Elten«, begrüße ich die Ärztin.
Sie schaut uns an und deutet auf die Steinbank. »Sie sind hier. Ihr müsst kurz warten«
»Was ist denn los? Was haben sie?«, fragt Anna nach, doch die Ärztin ist schon wieder weg.
Wir setzten und hin und warten erneut.
Sie greift nach meiner Hand und ich halte sie fest. Ich würde so gerne etwas tun. Doch hier zu sitzen und zu warten. Unsere Hoffnung sinkt, wie kaputtes Boot. Boote sinken immer. Wie kann man freiwillig auf ein Boot steigen? Entweder man fällt raus oder das Boot geht unter.
Man fällt oder sinkt, bis man irgendwann den Boden erreicht hat.
Schritte wecken mich aus meiner Trance. Ich springe auf, doch es ist nur die Ärztin.
»Wo sind sie?«, rufe ich ihr entgegen.
»Euer Vater ist dort«, sei deutete nach hinten. »Ich bringe euch hin«. Ihre Stimme ist so ruhig. So emotionslos. Ich will sie anschreien. Wieso ist sie so ruhig.
»Wo ist Mama?«, bringt Anna schließlich hervor.
Doch die Ärztin bleibt still. Ihr Blick verändert sich nicht. Bleibt kalt. Bleibt tot. Ich will sie am liebsten schütteln. Wollte eine Reaktion von ihr. Irgendwas. Doch nichts. Gar nichts. Draht sich einfach um und geht. Ohne ein einziges Wort. Etwas nasses läuft meine Wange herunter. Immer tiefer. Bis die Träne auf dem Boden landet.
»Was ist mit ihr?!«, brülle ich. Obwohl ich die Antwort schon kenne. Sonst hätte sie schon längst was gesagt.
Ich sehe meinen Vater auf dem Stuhl hängen. Er sieht völlig fertig aus. Ich schleiche auf ihm zu. An dem Bett vorbei. Die Decke versucht sie zu verdecken, doch man erkennt die Ausbuchtungen.
Automatisch bewege ich mich weiter. Nehme ihn in den Arm. Spüre Anna.
Leere. Nichts. Selbst die Gedanken verstummen.
Warum liegt sie dort und nicht ich?
Sie hat es nicht verdient.
Ich schon.
Alles tot.
Leblos.
Ich spüre eine Bewegung. »Sie hat eine unheilbare Krankheit«. Doch es ist seine Stimme.
Ihre Stimme. So weit weg. Die Stimme der Ärztin. Ich stehe auf und finde mich auf dem Boden wieder.
»Was kann man tun?«, höre ich Anna fragen. Doch keine Antwort. Ich bin zu weit weg. Sehe mich dort am Boden liegen. »Es...Möglichkeit...kein...Gegenmittel«, dringt die Stimme der Ärztin verspätet zu mir durch.
Anna öffnet den Mund, doch keine Worte kommen an.
Von oben herab blicke ich auf das Bett. Dort. Ein Schatten. Er steigt. Immer höher. Ich versuche ihm zu folgen, doch ich sinke immer tiefer herab. Verliere ihn aus meiner Sicht.
»Max! Max!«. Schmerzen an meiner Wange.
Vorsichtig öffne ich meine Augen und werde von dem Licht geblendet.
Anna liegt über mir gebeugt. Tränen tropfen auf meine Wange.
»Bitte. Bleibt hier!«, fleht sie mich an.
Ich will ihr antworten, doch es klappt erst beim zweiten Versuch. »War ich weg? Ich kann gar nicht weggehen«
»Max«
Ich zwinge mich dazu, meine Augen zu öffnen und setzte mich mühsam auf. Anna stößt mir in die Seite und deutete neben das Bett.
Mein Vater sitzt noch immer auf dem Stuhl und rührt sich nicht. Starrt nur auf das Bett.
Ich richte mich mühsam auf und torkele zu ihm hin.
»Wir müssen gehen«, erklärt Anna ihm. Doch er starrt weiter.
»Kannst du...?«. Sie schaut mich an. Statt einer Antwort helfe ich ihr, unseren Vater zu stützen.
Du dritt wanken wir aus dem Raum, den Gang entlang und schließlich durch die Tunnel.
Mit jedem Schritt werde ich klarer. Der Nebel in meinem Kopf beginnt sich zu legen.
Ohne Protest lässt er sich ins Bett bringen. Den ganzen Weg über haben wir kein einziges Wort gesprochen.
Wir sitzen in der Küche. Anna will was sagen, doch ich will nicht reden. Sie merkt es und bleibt Still. Sie stellt mir was zu Essen hin, doch ich beachte es gar nicht.
Wieso? Wieso traf es sie so schnell? Sie muss es doch gemerkt haben!
Meine Gedanken schweifen zu der Kollegin. Sie sah auch krank aus.
Sie hat es gemerkt und wollte es nicht zeigen.
Kein Heilmittel. Wusste sie es?
Es...Möglichkeit...kein...Gegenmittel.
Was genau wollte die Ärztin sagen?
Ich muss was tun!
»Ich gehe schlafen«. Ich spüre Annas Blick auf meinem Rücken, doch ich gehe einfach weiter.
Durch die Tür.
Doch ins Bett gehe ich noch nicht. Schlafen kann ich nicht.
Ich krabbel unter das Bett und hole meinen Rucksack hervor.
Es ist verrückt. Doch ich muss etwas machen. Was auch immer es bedeuten wird.
Alles noch da. Es ist zu viel drin, der Rucksack ist bis zum Rand gefüllt. Aber ich weiß nicht, was ich alles brauchen kann, deshalb lasse ich es drin. Vor einiger Zeit habe ich alles, was man so brauchen könnte in diesen Rucksack gepackt. Wofür? - Das war mir zu diesem Zeitpunkt selbst nicht bewusst. Ich quetsche alles wieder in den Rücksack und will ihn auf meinen Rücken setzen – doch halt. Ich kann Anna nicht wortlos alleine lassen.
Ich habe doch noch diesen alten Zettel von früher. Wieder einmal schaue ich unter das Bett. Tatsächlich. Eine Seite ist noch unbeschrieben. Ich habe immer gesagt, dass ihn ihn mir für einen Notfall aufhebe. Schließlich ist es das letzte Papier. So viele Wörter. Alles durcheinander geschrieben. Theorien, um die Geschichten zu erklären. Damals. Die Geschichten. Das waren Zeiten. So vieles hat sich verändert. Jetzt müssen sie zeigen, was sie können. Anna hat sich verändert. Jetzt ist ein Notfall.
Also setzte ich mich den Tisch und beginne zu schreiben:
Liebe Anna,
bitte mach dir keine Sorgen. Die mache ich mir schon genug. Ich bin unterwegs und werde einen Weg finden die Krankheit zu bekämpfen. Ich werde bald wieder da sein. Also bitte mach dir keine Sorgen. Ich mache nichts Gefährliches. Nichts so gefährliches. Vertrau mir. Ich weiß was ich tue. Sag Papa, dass ich ihn liebe und das ich wiederkommen werde.
PS: Bitte pass auf Papa auf. Ich werde bald wieder da sein. Mach keine Dummheiten, Schwesterchen. Bitte versuch mir nicht zu folgen. Das ist wichtig. Mach dir keine Sorgen.
Bis bald.
Dein Max
Ob sie es glauben wird? Ich lasse den Brief auf dem Tisch liegen. Ich glaube es mir ja nicht mal selbst. Und so wie ich Anna kenne...doch ich muss es wenigstens versuchen. Wie wird sie reagieren, wenn sie den Brief liest? Ich muss etwas tun.
Ich schnappe mir den Rucksack und schleiche zur Tür. Vielleicht schläft sie schon. Nichts zu hören. Hoffentlich schläft sie schon.
Ich schleiche mich hinaus.
Ruhe. Läuft besser als erwartet. Niemand zu sehen. Tür zu. Perfekt.
Ich laufe los, ohne den Weg zu kennen. Nur das Ziel. Immer weiter. Ich habe genug gehört, um zu wissen wo mein Ziel ist. Es ist die einzige Möglichkeit. Aber auch die gefährlichste.
Doch ich werde diesen Weg gehen – selbst wenn ich dabei sterben sollte.
Ich muss diesen Weg gehen.