8. Dezember
Ich laufe, schnell wie der Wind, leise wie die Nacht, ruhig wie gefrorenes Wasser.
Schneeflocken wirbeln um meine Füße. Sie tragen mich schneller vorwärts, als ich selbst je laufen könnte. Dichte Wolken ziehen über den Himmel.
Mir ist nicht kalt. Ich habe nicht einmal ein Problem damit, dass ich nur ein zerrissenes Kleid trage. Ein Nachthemd, um genau zu sein. Der Wind ist in meinen Haaren. Ich lache.
Shiriki ist tot. Er hat seine gerechte Strafe erhalten, bald werden seine Freunde folgen. Niemand verletzt mich und kommt ungestraft davon!
Ich erreiche eine Anhöhe im Wald. Einen Hügel, der nicht baumbewachsen ist. Von hier aus kann ich über das Meer aus schwarzen Baumwipfeln und dunkelgrünen Tannenspitzen blicken. Ich halte an, bleibe stehen und bade mich im Mondlicht.
Am Horizont, weit entfernt, steigt noch Rauch auf. Dort, wo die fünf Hütten der Baumfäller liegen.
Die Sonne geht unter. Hinter mir steigen die Berge auf, doch wo die Hütten liegen, fällt noch Sonnenlicht auf den Boden. Ich setze mich in den Schnee, plötzlich müde.
Ich bin seit gestern morgen gerannt. Zuerst im Schneesturm, dann allein. Jetzt ist meine Kraft verbraucht. Ich hebe den Blick in den Himmel, wo der Mond neben der Sonne steht. Der Vollmond ist um. Ich lege mich einfach mitten in den Schnee, schließe die Augen und träume.
Im Schlaf höre ich das Eis reden. Eine helle Stimme erzählt mir von der Kraft, die ich erlangen kann. Davon, wie ich balancieren muss, zwischen Kraft und Schwäche. Die Macht des Eises ist Gleichgewicht. Wenn ich meine Rache will, werde ich meinen Preis zahlen müssen.
Der Preis ist, dass sie mich jagen. Wenn ich meinen Weg weiter gehe, werde ich Dinge verlieren. Dinge wie Wärme. Freude. Liebe.
Ich brauche diese Dinge nicht. Sie sind bedeutungslos für mich.
Was ich brauche – was ich will – ist der Tod all jener, die mich gedemütigt haben.
Als ich die Augen aufschlage, ist es Tag. Ich weiß jedoch, dass ich mehr als eine Nacht geschlafen habe. Ich richte mich auf und bemerke ein Tier, dass mich beobachtet.
Zu meinen Füßen, so nah, dass ich ihn fast berühren könnte, steht ein Kojote. Als er meinen Blick bemerkt, springt er in den Wald und rennt außer Sicht.
„Nein, ich bin keine Beute“, flüstere ich ihm hinterher. Langsam setze ich mich auf und sehe auf dem Boden um mich herum mehrere Pfotenabdrücke. Ich verenge die Augen: Das sind nicht die Spuren eines Kojoten. Sie sind größer und tiefer in den Boden eingesunken.
Ich lege meine Hand in die Spur. Sind das Wolfsspuren? Die Vorstellung ist ein wenig unheimlich. Was hat mich noch alles betrachtet, während ich geschlafen habe? Und warum hat kein Raubtier versucht, mich zu töten?
Ich stehe auf. Dieses Geheimnis wird später Zeit haben. Jetzt habe ich einen weiten Weg vor mir.
Ich werde zurück gehen. Es muss Gerechtigkeit geschehen. Vier Jungen haben über mich gelacht und leben noch. Mit dem Fuß zeichne ich eine stilisierte Waagschale in den Schnee.
Die Gerechtigkeit wird kommen.
Kein Wald ist so still wie ein Wald in den Fängen des Winters. Meine Füße verursachen kein Geräusch. Ich gehe, ohne müde zu werden. Ich habe ein Ziel, und an diesem Ziel wartet Blut auf mich.
Blut im Schnee. Ich muss grinsen. Fehlt noch Ebenholz und ich habe Schneewittchen!
Ob ich auch meinen Prinzen finde? Energisch schiebe ich diesen Gedanken bei Seite. Ich habe mich entschieden. Ich bin Schnee und Eis. Ich brauche keine Liebe, keine Wärme. Mein Weg ist kalt und einsam. Ich werde von jetzt an keine 13 mehr sein.
Ab jetzt bin ich erwachsen.